Die Grippewelle nimmt Fahrt auf: In seinem aktuellen Wochenbericht meldet das Robert Koch-Institut (RKI) einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen. In der ersten Kalenderwoche des Jahres wurden 5852 Influenzafälle an das Institut gemeldet, seit Mitte Dezember sind es damit knapp 15.500. Wegen der Feiertage und der Schulferien seien die Zahlen nur eingeschränkt bewertbar. Das Besondere an der diesjährigen Grippewelle: Sie betrifft vor allem Kinder im Schulalter und junge Erwachsene.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte plädiert dafür, alle Kinder und Jugendlichen gegen Grippe zu impfen – was ist der Grund?
„Die aktuelle Impfempfehlung gegen Influenza zielt nur auf Kinder mit Risikofaktoren. Das ist aus unserer Sicht falsch“, sagte Verbandspräsident Michael Hubmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Oft komme es vor, dass ein infiziertes Enkelkind nur leicht erkranke, aber etwa seine Großeltern anstecke. Menschen ab 60 Jahren gehören zur Risikogruppe für einen schweren Krankheitsverlauf, daher wird ihnen die Impfung von der Stiko empfohlen. „Unser Ziel muss es sein, die Ausbreitung des Virus durch Impfung zu verhindern und damit die Krankheitslast für alle zu mindern. Dafür wäre eine breite Impfung ab dem Kleinkindalter medizinisch sinnvoll“, sagte Hubmann.
Warum erkranken vor allem Kinder und junge Erwachsene?
Ein Grund könnte der aktuell grassierende Virustyp sein, vermuten Experten. Laut RKI werden am häufigsten Influenza A(H1N1)pdm09-Viren festgestellt. Dieser Subtyp sei erstmals während der Grippe-Pandemie 2009 aufgetreten – der sogenannten Schweinegrippe. Der Virustyp zirkuliere seitdem auch saisonal in Deutschland, zuletzt deutlich in der Saison 2018/19. Bei Grippewellen, in denen dieser Erreger dominiere, sei zu beobachten gewesen, dass auch Kinder und jüngere Erwachsene schwer erkrankten.
„Viele Erwachsene beziehungsweise deren Immunsystem hatten schon einmal Kontakt mit diesem Virustyp, das von Kindern nicht. Auch dies könnte ein Zusammenhang sein“, nennt der Bremer Kinderarzt Marco Heuerding als mögliche Erklärung, warum bislang vorwiegend Jüngere erkrankten.
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Wie macht sich die Grippewelle in Bremen bemerkbar?
Die Zahl der an das RKI gemeldeten Influenzafälle steigt: Im November waren es laut Gesundheitsbehörde sechs, im Dezember 48 und in der ersten Kalenderwoche des neuen Jahres bislang 22 Fälle.
In den Kinderarztpraxen mache sich die Welle bemerkbar: „Von 14 getesteten Kindern mit entsprechenden Symptomen in einer Referenzpraxis für das RKI-Überwachungssystem wurde innerhalb einer Woche bei sieben Patienten eine Virusgrippe nachgewiesen“, so Heuerding. Typisch sei ein plötzlicher Symptombeginn, auch mit etwa fünf bis sieben Tagen Fieber. „Ansonsten gesunde Kinder erkranken in der Regel nicht schwer“, so der Arzt. „Manche haben auch gar keine Symptome.“
Sollten alle Kinder und Jugendlichen geimpft werden?
Der Ruf nach einer Ausweitung habe mit Blick auf vulnerable Gruppen sicherlich eine Berechtigung, kurzfristig sei dies aber auch aus logistischen Gründen schwierig umzusetzen, sagt Heuerding. Er rechne nicht damit, dass es in dieser Saison dafür eine Empfehlung der Stiko gebe. Der Bremer Hausarzt Holger Schelp sagt: „Ein gesundes Immunsystem kommt in der Regel mit einem natürlichen Influenzaviruskontakt gut klar.“
Bei Impfempfehlungen für bestimmte Gruppen würden der individuelle und der Nutzen für die gesamte Bevölkerung sowie Faktoren wie die Impfstoff-Verfügbarkeit einbezogen, teilt die Gesundheitsbehörde mit. „Dabei folgen die Impfempfehlungen der Stiko einer vorsichtigen Abwägung von Risiken und Nutzen. Die Gesundheitsbehörde folgt der Bewertung der Stiko“, so Behördensprecherin Kristin Viezens.
Natürlich könnten an Influenza erkrankte Kinder auch Erwachsene wie Großeltern anstecken. „Das Argument, deswegen ein Impfprogramm mit den nicht sehr befriedigend wirksamen Impfstoffen für Kinder etablieren zu müssen, ist angesichts der Tatsache, dass gerade gefährdete ältere Menschen die Möglichkeit haben, sich durch Impfung – besser als Kinder – selbst gegen Influenza zu schützen, schwach und überrascht“, kommentiert der ehemalige Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mainz, Fred Zepp, den Vorstoß.
Wie wird die Grippeimpfung von Risikogruppen angenommen?
Tatsächlich werde die Influenza-Impfung von Menschen über 60 Jahren nur von etwa 30 bis 40 Prozent wahrgenommen, berichtet Zapp, der auch Mitglied der Stiko ist. „Fehlendes oder unzureichendes Schutzverhalten von älteren Erwachsenen ist kein gutes Argument für eine medizinische Intervention mit vergleichsweise geringem eigenem Nutzen in jüngeren Altersgruppen.“
Das RKI hat seit Oktober 67 Todesfälle mit Grippeinfektion erfasst, heißt es im aktuellen Bericht. 78 Prozent gehörten demnach zur Altersgruppe ab 60 Jahre. „Alle Personen, für die die Stiko die Grippeschutzimpfung empfiehlt, sollten sich möglichst bald noch impfen lassen, falls dies noch nicht geschehen ist“, betonen die Experten.