Fahrgäste nehmen sie vor allem als optischen Makel wahr, für Verkehrsunternehmen sind sie ein Ärgernis mit massiven finanziellen Auswirkungen: Graffitis an Schienenfahrzeugen gelten als "Qualitätsproblem" im Zugverkehr. So werden die Schmierereien im jüngst veröffentlichten Jahresbericht zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bezeichnet. Dort heißt es zum Beispiel: "Alleine im Netz der Regio-S-Bahn werden vier Vollzeitpersonale ausschließlich zur Beseitigung von Graffitis eingesetzt."
Die Nordwestbahn (NWB), die neben der Regio-S-Bahn noch die Netze Weser-Ems und Ostwestfalen bedient, wendet nach eigenen Angaben jährlich einen Betrag im sechs- bis siebenstelligen Bereich auf, um Graffitis zu entfernen. 2023 hatte die NWB den Anteil bei der Regio-S-Bahn mit etwa 250.000 Euro beziffert. Dazu kommen Kosten durch Lackschäden an Fahrzeugen, die sich nicht genau beziffern lassen. Auch mögliche Vertragsstrafen fehlen in dieser Rechnung noch – die fallen an, wenn die Verkehrsunternehmen zu lange brauchen, um Graffitis zu entfernen.
Dem SPNV-Bericht zufolge sind die Regelungen in den Verkehrsverträgen, deutlich strenger geworden. Das sorgt dafür, "dass die Verschmutzungen sehr viel schneller beseitigt werden" und die Fahrzeugflotte insgesamt "einen sauberen Eindruck hinterlässt". Heißt auch: Dass die Fahrgäste verhältnismäßig selten Züge mit Schmierereien sehen, täuscht über das Problem hinweg. Tatsächlich seien Aufwand und Kosten für die Reinigung "erheblich". Den Angaben nach wurde in Bremerhaven-Wulsdorf eine zusätzliche Waschanlage eingerichtet – eigens für das Graffiti-Problem.
Aufgestockt wurde laut Bericht zudem die Reserveflotte, um Züge tagsüber reinigen und dafür Ersatz auf die Schiene bringen zu können. In Einzelfällen könne es auch zu Zugausfällen kommen, bestätigt Benjamin Havermann. Das betreffe vor allem sehr umfangreiche Graffitis, die eine intensive Reinigung erforderlich machten, erklärt der NWB-Sprecher. Ausfälle sind grundsätzlich auch denkbar, wenn sicherheitsrelevante Angaben auf den Zügen übersprüht wurden.
21.000 Fälle bei der DB
In der Vergangenheit haben mehrere Verkehrsunternehmen außerdem von indirekten Auswirkungen berichtet: Werden einzelne Wagen zur Reinigung abgekoppelt, sind kürzere und somit tendenziell vollere Züge unterwegs. Das Ein- und Aussteigen, so die Argumentation, könne sich dadurch verzögern. Verspätungen seien die Folge.
Anhaltend groß ist das Problem auch bei der Deutschen Bahn. Der jährliche finanzielle Schaden durch Graffitis liege bundesweit konstant bei rund zwölf Millionen Euro, erklärt eine Bahnsprecherin. Im vergangenen Jahr kam es demnach zu etwa 21.000 Graffiti-Beschädigungen. Sprich: Eine Schmiererei kostet durchschnittlich 571 Euro. Allerdings sind darin auch zahlreiche kleine Graffitis an Zügen sowie an den Bahnhöfen berücksichtigt.
Ein großflächig beschmierter Triebwagen werde in speziellen Werkstätten von zwei bis drei Fachkräften an einem Arbeitstag gereinigt, hatte eine Expertin der DB dem WESER-KURIER 2023 erklärt. Eine anschließende Neulackierung dauere eine Woche und koste bis zu 30.000 Euro. Regionale Zahlen zu Graffiti-Schäden legt das Unternehmen nicht vor. Der Sprecherin zufolge sind die Ballungsräume Schwerpunkte der Sprayer-Szene. Erfahrungsgemäß werden Nahverkehrs- und Güterzüge häufiger beschmiert als Fernverkehrszüge.
Nach früheren Angaben stellt die Bahn bundesweit jährlich rund 800 Sprayer und übergibt sie vor Ort an die Bundespolizei. Das Unternehmen weist außerdem darauf hin, konsequent Anzeige zu erstatten und Schadenersatzforderungen gegebenenfalls über Jahrzehnte hinweg geltend zu machen. Die NWB nennt keine konkreten Zahlen zu den gestellten Tätern. "Die Verfolgung erfolgt immer auf Einzelfallbasis und in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Strafverfolgungsbehörden", sagt Havermann.
Zurückhaltend geben sich die Verkehrsunternehmen bei der Frage, wie sie ihre Züge vor Sprayern schützen. Die NWB hat laut Havermann "verschiedene Sicherheits- und Schutzmaßnahmen implementiert", die den Zugang erschwerten. Die Deutsche Bahn setzt unter anderem auf Videoüberwachung, außerdem seien "speziell ausgebildete DB-Einsatz-Teams" unterwegs. Insgesamt zeigen die Zahlen deutlich, dass lediglich ein Bruchteil der Täter gestellt wird. Zum Vorgehen gehört auch deshalb Präventionsarbeit: DB und Polizei betonen immer wieder, dass sich Täter im Umfeld von Stromleitungen und fahrenden Zügen in große Gefahr begäben. Mehrere tödliche Unfälle sind bekannt.