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Kolonialismus Dunkle Wolken über dem Afrika Archiv

Aus Sicht des Historikers Norman Aselmeyer könnte das Bremer Afrika Archiv als Grundstock für ein Dokumentationszentrum Kolonialismus dienen. Doch stattdessen droht dem Bestand der Müllcontainer.
16.12.2023, 05:00 Uhr
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Dunkle Wolken über dem Afrika Archiv
Von Frank Hethey

In rund 250 Umzugskartons lagert das Material des Bremer Afrika Archivs. Ob Bücher, Zeitschriften, Poster, Fotos, Protokolle oder Briefwechsel – was sich in Jahrzehnten angesammelt hat, schlummert zu großen Teilen unberührt vor sich hin. Meterhoch stapeln sich die Kisten im GW1-Gebäude der Universität Bremen, in einem Abstellraum des Fachbereichs Rechtswissenschaften. Nur einen Bruchteil konnten Norman Aselmeyer und seine Mitstreiterin Caro Schäfer in den vergangenen Monaten sichten. Nun droht den zeithistorischen Dokumenten das Ende im Müllcontainer. "Das Gebäude muss geräumt werden, wenn die Juristen in die Innenstadt umziehen", sagt Aselmeyer. "Unsere Sorge ist, dass dabei das Archiv unter die Räder kommt."

Aus Sicht des 40-jährigen Historikers hätte das Archivmaterial etwas Besseres verdient. "Es müsste der Grundstock sein für ein Dokumentationszentrum Kolonialismus." Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag von 2019 sei es versprochen worden – ein zentraler Erinnerungsort mit einem Dokumentationszentrum für die Opfer des Kolonialismus. Doch im neuen Koalitionsvertrag sei davon keine Rede mehr. Für Aselmeyer eine verpasste Chance, das Bremer Erinnerungskonzept Kolonialismus mit Leben zu erfüllen. Immerhin habe die Bürgerschaft die Fortsetzung und Intensivierung des Konzepts im Februar 2021 beschlossen. "Aber seitdem ist überhaupt nichts passiert. Wozu Entscheidungen treffen, wenn sie keine Konsequenzen haben?" 

Dass Aselmeyer sich so sehr für den Erhalt des Afrika Archivs einsetzt, hat seine guten Gründe. Zusammen mit der Masterabsolventin Caro Schäfer hat der wissenschaftliche Mitarbeiter im Bereich Neuere und Neueste Geschichte die Aufgabe übernommen, das Afrika Archiv gründlich unter die Lupe zu nehmen. Im August konnten die beiden loslegen, zum Jahresende läuft das Kurzzeitprojekt schon wieder aus. Die Fragestellung: Das Bremer Afrika Archiv und die frühe Zusammenarbeit zwischen Namibia und Bremen. "Wir schreiben gerade den Abschlussbericht", sagt Schäfer, die ihren Master in transkulturellen Studien gemacht hat. "Es wäre aber wichtig, weiter zu forschen." Weil eine brauchbare Bestandsübersicht fehlt, kann man das allerdings nicht. "Bis jetzt haben wir nur eine grobe Liste", sagt Aselmeyer. "In fünf Monaten schafft man wahnsinnig wenig."

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Etwas irreführend ist die Bezeichnung Afrika Archiv. Unter diesem Namen wurde es zwar 1975 von einer Gruppe norddeutscher Wissenschaftler ins Leben gerufen. Allerdings mit der Absicht, weit mehr zu sein als nur ein Archiv. "Es bündelte alle Initiativen, die einen Bezug zu Afrika hatten", sagt Aselmeyer. Entsprechend vielfältig ist das Archivmaterial. Die Sammlung umfasst nicht nur Kontakte zur Swapo, der Unabhängigkeitsbewegung in Namibia, zu der das offizielle Bremen seit Mitte der 1970er-Jahre enge Verbindungen unterhielt – als moralische Wiedergutmachung für die Rolle, die Bremen bei der Errichtung der Kolonie Deutsch-Südwestafrika gespielt hatte. Zum Bestand gehören auch Unterlagen des Vereins "Freiheit für die West-Sahara". Als Sammlung sei das Bremer Afrika Archiv "ein Zeugnis des frühen Engagements Bremens mit dem globalen Süden und des Bewusstseins Bremens um sein koloniales Erbe", sagt Aselmeyer.

Deshalb sieht der Historiker auch gute Anknüpfungspunkte an den Forschungsverbund zur Globalen Solidarität, einem der Exzellenzcluster, mit denen die Uni Bremen den verlorenen Exzellenzstatus wiedererlangen will. "Ich versuche, das Afrika Archiv in den Exzellenzcluster zu integrieren", sagt der 40-Jährige. Schließlich belege das Archivmaterial eindrucksvoll, dass globale Solidarität schon vor 50 Jahren in Bremen praktiziert wurde. Cora Schäfer berichtet, sie habe Gespräche mit Naturwissenschaftlern und Ethnologen geführt. "Etliche Wissenschaftler könnten mit dem Archivmaterial historisch arbeiten", sagt die 28-Jährige. "Es braucht eigentlich nur einen Raum und eine Hilfskraft, die das Archiv zugänglich macht", so Aselmeyer. 

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Doch die Zeichen sind nicht gerade ermutigend. "Es gab wenig Bereitschaft, das Projekt zum Laufen zu bringen", sagt Aselmeyer. Was auch daran liegen könnte, dass das Afrika Archiv bei den Juristen eigentlich nichts zu suchen hat. Der Grund dafür, dass es doch so ist: Einer der Väter des Archivs, Manfred Hinz, ist von Haus aus Rechtswissenschaftler. Bis heute ist Hinz zweiter Vorsitzender des Vereins Bremer Afrika Archiv, sein Historikerkollege Thomas Gatter steht an der Spitze. Große Hoffnungen auf eine Zukunft des Archivbestands macht sich Aselmeyer nicht mehr. "Das Archiv so zu erhalten wie es jetzt ist, wird kaum möglich sein", sagt er. Ein Lichtblick indessen, dass das Uni-Archiv Teilbestände übernommen hat und laut Hinz noch weitere beherbergen will. 

Das Schicksal des Afrika Archivs bringt Aselmeyer auf die Palme. Darum auch der Forderungskatalog, den er unlängst als Mitinitiator der Tagung "Der Elefant im Raum" dem Senat präsentiert hat. Wenn man es ernst meine mit dem Erinnerungskonzept und Hamburg als überregionaler Impulsgeber Paroli bieten wolle, müssten auch konkrete Schritte unternommen werden. "Das ist wichtig, um Bundesmittel zu erlangen. Man braucht etwas zum Vorzeigen", sagt Aselmeyer. "So ist es einfach nur ärgerlich, dass man so viel Arbeit in das Projekt steckt und nichts weiter passiert."

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