Herr Stoevesandt, als Vorstandssprecher des Zentralelternbeirats (ZEB) sind Sie vor allem in der Corona-Zeit einem größeren Publikum bekannt geworden. Nun hören Sie auf – warum?
Martin Stoevesandt: Falls Sie meinen, ich würde damit die Konsequenzen aus einer bestimmten Situation ziehen, täuschen Sie sich. Irgendwann ist auch mal gut. Fast elf Jahre war ich im Vorstand des ZEB, davon vier Jahre als Vorstandssprecher. Jetzt kommt was anderes dran.
Anders gefragt: Was halten Sie von den bildungspolitischen Aussagen im neuen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken?
Aus meiner Sicht wird da nichts Konkretes benannt. Da gibt es blumige Ankündigungen wie für den Ausbau der Ganztagsbetreuung. Aber an keiner Stelle findet sich ein Plan, ein wirkliches Konzept. Es fehlen sechs bis sieben Grundschulen und acht Oberschulen, und zwar sofort. Da kann man doch nicht über qualitativ hochwertig gebundenen Ganztag fabulieren, wenn man weiß: Aktuell fehlen in Bremen mindestens 15 Schulen.
Das klingt jetzt aber doch so, als würden Sie frustriert das Handtuch werfen.
Frustriert würde ich es nicht nennen, eher ernüchtert. Drei Jahrzehnte gingen die Schülerzahlen nach unten, in dieser Zeit wurde das Bildungssystem totgespart. Doch seit 2014 steigen die Schülerzahlen, 2015 kam die Flüchtlingswelle. Räume und Personal wurden knapp, aber Bremen hat darauf bis heute nicht angemessen reagiert.
Und was folgern Sie daraus?
Offenbar ist der politische Wille nicht da, etwas zu ändern. Für den notwendigen aktuellen Schulbau müssten 350 bis 450 Millionen Euro investiert werden, mit Sanierungsstau sind wir weit über eine Milliarde Euro. Und nein, dafür müsste man die verfassungsrechtlich vorgesehene Schuldenbremse nicht aufheben, wenn man geschickte PPP-Modelle (Abkürzung für Public Private Partnership, eine öffentlich-private Partnerschaft, Anm. d. Red.) wählt. Aber im Koalitionsvertrag fehlt wohl aus ideologischen Gründen diese Option. Einen Plan, wie es weitergehen soll, vermag ich an keiner einzigen Stelle zu erkennen.
Anders als in Hamburg...
Allerdings. Aber in Bremen ist das System Politik anscheinend viel zu träge, bei uns denken Politiker immer nur in Legislaturperioden. Da manifestiert sich schon eine vollständige Unbelehrbarkeit. Und mich beschleicht die sarkastische Erkenntnis: Die SPD erreicht bei den letzten Wahlen knapp 30 Prozent, obwohl sie in 75 Jahren Bildungsarbeit bundesweit den letzten Platz gefestigt hat, dann eben weiter so.
Als ZEB-Sprecher haben Sie mehrfach kräftig auf die Pauke gehauen, zuletzt im Streit um die Finanzierung der freien Schulen.
Für mich ist das eine Art Klassenkampf, ideologisch verbrämt. Den Schulen in freier Trägerschaft kurz vor der Wahl vorzuwerfen, eine Parallelwelt zu konstruieren – in dieser Hinsicht war Bildungssenatorin Aulepp ein Totalausfall. Da kommt dann eben doch Frust auf, wenn man feststellt, dass die zuständige Senatorin zumindest in diesem Bereich Ideologie vor Wissen stellt. Dazu passt, dass Grundschulen etwa in Horn oder Schwachhausen versagt wird, Ganztagsschule zu werden, weil sich dort Eltern und Kinder selbst helfen könnten.
Das war nicht die einzige Differenz. Um die Lehrerversorgung an unterbesetzten Schulen zumeist in prekärer Lage sicherzustellen, haben Sie früh das beamtenrechtliche Instrument der Abordnung ins Spiel gebracht.
Dass jetzt doch Abordnungen vorgenommen werden, ist maßgeblich auf Betreiben des ZEB zurückzuführen. Aulepp hat sich mit Händen und Füßen dagegengestemmt, weil die SPD und am Anfang auch die Gewerkschaft das nicht wollten. Das führt dann tatsächlich zu einem gewissen Frust, wenn die SPD ihre ureigenen Sozialthemen nicht verfolgt.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Sie hätten mit Amtsvorgängerin Bogedan ein besseres Arbeitsverhältnis gehabt.
Der Eindruck täuscht nicht. Ein namhafter Vertreter der CDU hat mich in der Bürgerschaft als Bogedans roten Lakaien bezeichnet. Das hatte damit zu tun, dass wir in der Corona-Zeit gemeinsam der Meinung waren, die Schulen müssen offenbleiben. Bogedan und damit Bremen hat damals, gegen viel Widerstand, einen Sonderweg beschritten, den der ZEB voll unterstützt hat. Ich glaube heute noch, wir hatten mit diesem Sonderweg recht.
Künftig wird Pierre Hansen allein als Vorstandssprecher agieren – ein SPD-Mitglied. Droht ein Interessenskonflikt?
Bei diesem Amt geht es nicht ums Parteibuch. Aber natürlich dürfen die politischen Positionen nicht mit den Eltern- und Schülerinteressen kollidieren. Diese Interessen hat der ZEB immer sehr gut vertreten. Ich wünsche Pierre Hansen viel Glück und Kraft, sein Amt durchzustehen. Und den sechs Fachvorständen genauso. Sie werden es brauchen, denn nicht nur der Koalitionsvertrag verheißt wenig Positives.
Was fangen Sie denn jetzt an mit Ihrer Freizeit?
Sie können sich darauf verlassen, es bleibt genug zu tun. Zum Beispiel in meiner Funktion als Verwaltungsrat bei der Inneren Mission. Vor allem aber ist jetzt auch mal die Familie dran.
- Das Gespräch führte Frank Hethey.