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Bremer Haushalt 2024/25 "Extrem schwierig": Wie der Finanzsenator die Lage einschätzt

Haushaltsnotlagen dürfen nicht "das neue Normal" werden, meint Bremens Finanzsenator Björn Fecker. Im Interview beschreibt er die finanzielle Lage des Stadtstaates als "extrem schwierig".
18.04.2024, 05:00 Uhr
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Von Jürgen Theiner

Herr Fecker, Bremen ist pleite, oder?

Björn Fecker: Wir sind in einer schwierigen, ich würde sogar sagen: extrem schwierigen Situation. Aber wir sind weiterhin handlungsfähig. Das belegt ja auch unser Haushaltsentwurf.

Wenn jemand dauerhaft mehr ausgibt, als einnimmt und keine Besserung in Sicht ist, würde man im Privatleben von pleite sprechen. Beim Land Bremen ist das so ähnlich. Notlagenkredite müssen inzwischen auch für reguläre Ausgaben herhalten. Etwa für den Landesanteil am Wohngeld oder neue Stellen im Bürgeramt.

Richtig ist, dass in Krisenzeiten Ausgaben und Einnahmen nicht im Gleichgewicht sind. Wir reagieren mit Notlagenfinanzierungen ganz gezielt auf Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine und die Folgen der Corona-Pandemie. Deshalb werden beispielsweise im Bürgeramt auch nicht alle zusätzlichen Stellen über den Notlagenbeschluss finanziert, sondern nur jene, die mit der Betreuung von Geflüchteten aus der Ukraine zu tun haben.

Notlage scheint das neue Normal zu sein. Seit 2020 hat der Senat jedes Jahr die Haushaltslöcher über Notlagenbeschlüsse der Bürgerschaft gestopft, um die Schuldenbremse in der Landesverfassung nicht zu verletzen. So können Sie nicht dauerhaft weitermachen.

Die Notlage darf nicht das neue Normal werden. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht untermauert. Es hat aber auch gesagt: Notlagenkredite sind nicht nur zur Bekämpfung von Krisen zulässig, sondern auch für die Nachsorge, also um Nachwirkungen von Krisen zu bewältigen. Genau hierauf stellen wir ab, wenn wir im Haushalt 2024 neue Schulden aufnehmen. Ukraine-Krieg, Energiekrise und die Folgen der Pandemie belasten uns nach wie vor erheblich.

1,3 Milliarden Euro an neuen Krediten sollen 2024 hinzukommen. Das ist enorm für Bremer Verhältnisse. Dabei hat der Stabilitätsrat von Bund und Ländern eigentlich ein Sanierungskonzept von Bremen eingefordert. Haben Sie gar keine Angst vor Sanktionen?

Wir sind sehr transparent gegenüber dem Bundesfinanzministerium und erklären dort auch ausführlich, was wir hier tun. Wir müssen etwa in den Industriestandort investieren. Deshalb nehmen wir in diesem Jahr gut 300 Millionen Euro in die Hand, damit die Energieversorgung des Stahlwerks auf Wasserstoff umgestellt werden kann und so über 3000 Arbeitsplätze gesichert werden. Das schützt auch das Klima. Was wären wir für eine Regierung, wenn wir das nicht unterstützen würden? Über den normalen Haushalt ist das allerdings nicht finanzierbar.

Wenn Sie sich jetzt weitere 1,3 Milliarden Euro pumpen, müssen Sie diesen Kredit in den nächsten Jahren tilgen – genau wie die Corona-Kredite und die sonstigen Altschulden. Das schmälert die finanziellen Spielräume immer weiter. Ist Ihnen das egal?

Nein, ganz und gar nicht. Wir investieren ja gerade in die Zukunft, damit Unternehmen gut aus der Krise kommen und der Wirtschaftsstandort Bremen stabil bleibt. Es geht uns darum, Arbeitsplätze zu sichern, neue zu schaffen und damit auch künftige Steuereinnahmen zu ermöglichen. Wir wollen also gerade künftige Spielräume sichern. Deshalb wäre es völlig falsch, jetzt in der Krise nicht zu investieren.

Im regulären Haushalt wird aber seit Jahren immer weniger investiert. Stattdessen wachsen die Personalausgaben überproportional. Über 2000 Stellen sind in den Bremer Behörden seit 2018 hinzugekommen.

Die Personalausgaben steigen auch wegen der Tarifergebnisse. Beim Personalzuwachs geht es um wichtige Bereiche wie Polizei, Feuerwehr und Schulen.

Aber eben nur zum Teil.

Richtig. Die Aufwärtsentwicklung bei den Beschäftigtenzahlen kann so auch nicht fortgesetzt werden. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode versucht, in der Finanzbehörde eine Fachstelle für Personalbedarfsplanung für die gesamte Verwaltung einzurichten. Das ist seinerzeit an starken Widerständen gescheitert. Dabei kann es nicht bleiben. Wir müssen diesen Faden wieder aufnehmen.

In den nächsten Jahren warten große Investitionsaufgaben. Etwa der Umzug des Klinikums Links der Weser nach Mitte sowie die Kajensanierung und der Energy-Port in Bremerhaven. Woher wollen Sie das Geld dafür nehmen?

Bei der Häfeninfrastruktur müssen wir mit den anderen Hafenstandorten weiter dafür kämpfen, den Bund auch finanziell stärker in die Verantwortung zu nehmen.

Das versucht Bremen sei Jahren. Klappt nicht.

Aber das kann noch nicht bedeuten, dass man diese Bemühungen einstellt! Wir werden die großen Infrastrukturprojekte bei den Häfen nicht ohne Unterstützung des Bundes stemmen können. Unsere Finanzlage gibt das schlicht nicht her.

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Brauchen wir eine Reform der Schuldenbremse, die kreditfinanzierte Investitionen ermöglicht, aber überbordenden Ausgaben im konsumtiven Bereich weiterhin einen Riegel vorschiebt?

Ich bekenne mich klar zum Instrument der Schuldenbremse. Sie braucht aus meiner Sicht aber ein Update. Schuldenaufnahme für konsumtive Ausgaben und mehr Personal führen uns in den finanzpolitischen Abgrund. Es muss eine Konzentration auf notwendige Investitionen in die Infrastruktur wie die Häfen geben. Und ich sehe noch eine zweite Notwendigkeit.

Die wäre?

Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeschlossen, dass parlamentarisch beschlossene Notlagenkredite über mehrere Jahre hinweg genutzt werden können, um Krisen zu bekämpfen. Die Praxis war bisher eine andere. Wir brauchen diese Möglichkeit. Mein Appell geht deshalb an den Bundesgesetzgeber, die Schuldenbremse entsprechend zu überarbeiten.

Das Gespräch führte Jürgen Theiner.

Zur Person

Björn Fecker

ist seit Juli 2023 Senator für Finanzen. Der 46-Jährige war zuvor Vorsitzender der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft.

Zur Sache

Reaktionen auf Neuverschuldung

Die neue Schuldenaufnahme hat für unterschiedliche Reaktionen gesorgt. „Vor dem Hintergrund der schwachen Konjunkturentwicklung und stagnierender Prognosen für die Beschäftigungsentwicklung auch für das Land Bremen darf jetzt nicht in die Krise hineingespart werden", sagte Peer Rosenthal, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer. Bei Verdi wird die Notfinanzierung für die BSAG und die Geno ebenfalls begrüßt. „Dieses Problem ist kein Bremer Problem, sondern ein bundesweites. Deshalb fordert Verdi, dass der Bundesverkehrsminister und der Bundesfinanzminister Mittel zur Verfügung stellen, damit das Angebot bundesweit ausgebaut werden kann", erklärte Bezirksgeschäftsführer Markus Westermann. Für SPD-Landesgeschäftsführer Roland Pahl offenbart die massive Kritik der Opposition "ihren ganz offensichtlichen Realitätsverlust". Es sei richtig, dass Bremen eine eigene Gesellschaft für Zukunftsinvestitionen in Bildung und Betreuung schaffe.

Auf Konfrontation geht Bündnis Deutschland. Aus Sicht des Fraktionsvorsitzenden Piet Leidreiter lasse die Regierung keinerlei Sparbemühungen erkennen. Überflüssige Projekte in der aktuellen Haushaltslage, wie der Ausbau des Osterdeichradweges zu einem Premiumradweg, zeugten nur von Ideologie. "Neue Schulden würden die Belastungen für künftige Generationen massiv erhöhen. Auch der Bund der Steuerzahler übt Kritik. „In seinem maßlosen Schuldenwahn verspielt der Senat die Gestaltungsfähigkeit künftiger Generationen“, warnt Vorstand Carl Kau.

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