Gehört das Straßenbahnprojekt Querverbindung Ost wegen der drastischen Kostensteigerungen grundsätzlich auf den Prüfstand? Nein, meint die zuständige Behörde. Nein, sagen auch Fachleute aus der Verkehrswissenschaft. Dass sich das Vorhaben mindestens um die Hälfte verteuert, begründe keinen Ausstieg.
Wie berichtet, geht das Verkehrsressort auf der Grundlage einer aktualisierten Kostenschätzung davon aus, dass der Bau der Straßenbahnverbindung zwischen den Haltestellen Bennigsenstraße (Linien 2 und 10) und Julius-Brecht-Allee (Linie 1) gut 64,2 Millionen Euro kosten wird. Damit hätten sich die Prognosen gegenüber der letzten Kalkulation aus dem Jahr 2019 um ziemlich genau die Hälfte erhöht. Jeder Meter der gut 1,5 Kilometer langen Neubaustrecke würde demnach mit circa 42.800 Euro zu Buche schlagen – wobei ein Ende der Preissteigerungen bis zur Fertigstellung kaum abzusehen ist. Weitere Mehraufwendungen seien "aktuell nicht belastbar zu prognostizieren", wie es in einer vertraulichen Vorlage aus dem Haus von Verkehrssenatorin Özlem Ünsal (SPD) heißt.
Bund trägt größten Anteil an Kostensteigerung
Den weitaus größten Anteil an den bisherigen Kostensteigerungen trägt der Bund aus verschiedenen Fördertöpfen. Bremen wird gut 2,1 Millionen Euro auffangen müssen. Der Sprecher der Verkehrsbehörde, René Möller, verweist auf gefasste Beschlüsse und die bereits erfolgte Kosten-/Nutzen-Rechnung für das Projekt. Ein spezialisiertes Gutachterbüro habe in der Planungsphase nachgewiesen, dass die sogenannte Querspange Ost gesamtwirtschaftlich sinnvoll sei. Die aktuellen Preissteigerungen führten "nicht zu einer maßgeblichen Verschlechterung des Nutzens und sind durch den Förderbescheid des Bundes auch weiterhin abgedeckt", stellt Möller fest. Wegen der großen Bedeutung für den öffentlichen Nahverkehr in Bremen werde der Streckenausbau weiter vorangetrieben. Es gebe "keinen Anlass, das Vorhaben infrage zu stellen".
Den sieht auch Markus Hecht nicht. Der Experte für Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr der Technischen Universität Berlin bestätigt dem WESER-KURIER "großes Nutzenpotenzial für die Verbesserung der Verkehrssituation durch die Straßenbahn". Es gebe daher auch keinen Grund, warum der Bund den Löwenanteil der zusätzlichen Kosten nicht übernehmen sollte. "Der Bund fördert ja gerade, weil es Sinn macht", sagt Hecht. In Frankreich investiere der Staat noch deutlich stärker in neue Straßenbahnverbindungen. Dort sei vor zwei Jahrzehnten "ein regelrechter Tram-Boom ausgebrochen, der weiter anhält", so Hecht.
Der Verkehrswissenschaftler Carsten-Wilm Müller, der bis ins vergangene Jahr eine Professur an der Fakultät für Architektur, Bau und Umwelt der Hochschule Bremen innehatte, sieht in dem Kostensprung bei der Querspange Ost zwar eine "bittere Pille", empfiehlt aber, sie zu schlucken. Das Projekt, das die Linie 2 in die Vahr und weiter Richtung Blockdiek führt, "macht für den Bremer Osten richtig Sinn", ist Müller überzeugt. Er belegt seine These mit Zahlen aus dem aktuellen Verkehrsentwicklungsplan. Demnach nutzen im östlichen Stadtgebiet gegenwärtig deutlich mehr Menschen das private Auto als im Schnitt der Gesamtstadt (46 gegenüber 38 Prozent), der Anteil der Bus- und Bahnpassagiere sei entsprechend geringer. Mit einer attraktiveren Straßenbahnverbindung in die Innenstadt könnten mehr Menschen für umweltfreundliche Mobilität gewonnen werden.
Die Frage, ob sich eine Investition in den öffentlichen Nahverkehr "lohnt", lässt sich aus Müllers Sicht ohnehin nicht auf Heller und Pfennig berechnen. Er verweist auf das Beispiel Hannover. Dort habe man sich vor Jahrzehnten entschlossen, ein kombiniertes Stadtbahnsystem zu schaffen, das im Innenstadtbereich als U-Bahn unterwegs ist, in den Außenbezirken als Straßenbahn. "Das war wahnsinnig teuer, aber heute ist man in Hannover heilfroh, dass man es gemacht hat."
Die Verbesserung für die Vahr ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Denn wenn die Linie 2 in einigen Jahren an der Bennigsenstraße anders abbiegt, verschlechtert sich die Anbindung nach Sebaldsbrück – weshalb der Beirat Hemelingen dem Vorhaben in der Vergangenheit auch ablehnend gegenüberstand. "Für die Vahr mag das Sinn machen", sagt Hemelingens Beiratssprecher Uwe Jahn (SPD), "aber für Hemelingen ist es eine massive Verschlechterung".