- Motivation und Verantwortungsbewusstsein
- Anerkennung für das Pflegepersonal
- Bonus der Ampel-Koalition
- Fluktuation bei den Pflegekräften
- Belegung mit anderen Patienten
- Aufnahme von Patienten aus anderen Ländern
- Impfquote in den Kliniken
- Berufsbezogene Impfpflicht
- Finanzielle Folgen der Corona-Krise
- Sanierung der Geno trotz der Pandemie
- Bilanz nach einem Jahr im Amt
- Aussichten für 2022
Frau Dreizehnter, vor einem Jahr haben Sie in einem Interview mit dieser Zeitung als Bilanz des Jahres 2020 festgehalten, dass es „zwei Phasen größter Sorge“ gegeben habe. Sie haben von den enormen Belastungen für das Personal geredet. Hat sich die Lage seitdem nicht eher verschlechtert als verbessert?
Dorothea Dreizehnter: Das kann ich nur bestätigen. Damit hat niemand gerechnet. Wir sind im 22. Monat der Pandemie. Es hat in den Krankenhäusern kaum Phasen zum Ausruhen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegeben. Wenn Sie mich vor einem Jahr gefragt hätten, ob das durchzuhalten ist, hätte ich größte Zweifel gehabt. Das heißt, dass meine Hochachtung vor den Beschäftigten weiter gewachsen ist, angesichts ihrer Geduld, ihres Durchhaltevermögens und ihrer Einsatzbereitschaft.
Motivation und Verantwortungsbewusstsein
Wie haben sie es durchgehalten?
Die Motivation und das Verantwortungsbewusstsein in den Teams ist sehr, sehr hoch. Die Teamleiterinnen und -leiter sowie die Ärztinnen und Ärzte leisten unglaubliche Arbeit, sie organisieren und motivieren. Die Monate, in denen die Zahl der Patienten niedriger war, haben immer wieder Anlass zur Hoffnung gegeben. Aber ich muss wirklich gestehen, dass es mich immer wieder erstaunt, woher die Kraft genommen wird.
Was ist anders als vor einem Jahr?
Ich glaube, dass die Situation heller war. Die ersten Menschen wurden geimpft, es gab die große Hoffnung, dass man mit dem Impfstoff die Pandemie in den Griff kriegen würde. Aber es ist anders gekommen. Die vierte ist die bislang schlimmste Welle, obwohl wir über Impfstoffe verfügen. Die Omikron-Variante löst neue Sorgen aus. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit in den Krankenhäusern nicht nur physisch, sondern auch psychisch herausfordernd – niemand weiß, ob der vierten auch noch eine fünfte und sechste Welle folgen werden.
Anerkennung für das Pflegepersonal
Der Respekt vor der Arbeit des medizinischen Personals sollte mit jeder Pandemie-Woche wachsen. Tatsächlich standen die Menschen schon Ende vergangenen Jahres nicht mehr auf den Balkonen, um zu klatschen. Nicht mal das ...
Wir dürfen nicht aufhören, an diese Menschen zu denken und ihnen unseren Respekt zu zollen. Aber die Politik muss auch einen Anteil leisten und über anständige Boni nachdenken. Es gab zwar bereits im vergangenen Jahr Anerkennung in finanzieller Form, das war vor allem ein Symbol.
Bonus der Ampel-Koalition
Die Ampel-Koalition hat sich darauf verständigt, dass im nächsten Jahr ein Corona-Bonus in der Pflege beschlossen und ausbezahlt werden soll. Bis zu 3000 Euro sind im Gespräch.
Das wäre ein Betrag, der über den symbolischen Wert hinausgeht. Ich wäre froh, wenn wir einen Bonus in dieser Höhe ausschütten könnten.
Fluktuation bei den Pflegekräften
Es heißt, es gebe eine hohe Fluktuation unter Pflegekräften, sowieso, aber die Härten der Pandemie erhöhten den Wunsch nach einem Berufswechsel. Macht sich das bei der Geno auch bemerkbar?
Ich würde nicht davon sprechen, dass sie auffallend hoch ist, möchte aber auch nicht verleugnen, dass es auch bei uns eine gewisse Fluktuation gibt. Allerdings können wir die Stellen in der Regel wiederbesetzen. Aber nicht die Fluktuation macht uns zu schaffen, sondern der hohe Krankenstand. Daran erkennt man, wie 22 Monate Pandemie ihren Tribut fordern. Insofern ist unsere Lage schwieriger als im Dezember vor einem Jahr. Die Pandemie zehrt an den Kräften. Wir sind gezwungen, das Angebot an Betten zu reduzieren, um den Belastungspegel nicht zu hoch werden zu lassen. Wir betreiben derzeit etwa 15 Intensivbetten weniger als vor einem Jahr.
Belegung mit anderen Patienten
Wo bleiben die Patienten, die sonst in diesen Betten lägen?
Sie werden auf andere Kliniken verteilt, unter den Standorten in unserem Verbund, notfalls auch bremenweit. Wenn es hart auf hart kommt, steuern Krisenstäbe die Verteilung. Wir reden intern von einem atmenden System. Wir haben lange versucht, Standorte wie das Krankenhaus Links der Weser covidfrei zu halten, damit wir dort weiterhin Herzoperationen durchführen konnten. Durch die intensive Zusammenarbeit der Häuser halten wir immer noch die Balance, um trotz hoher Belegungsquote so wenig Patienten wie möglich abweisen zu müssen. Wir entscheiden täglich, ob es dabei bleiben kann, ob wir Operationen verschieben oder absagen müssen. Wir tun unser Bestes, um das so gut es geht zu vermeiden. Die Prozesse werden aber eindeutig enger, unsere Spielräume werden schmaler, und irgendwann stoßen wir an unsere Grenzen.
Aufnahme von Patienten aus anderen Ländern
Momentan nehmen Sie Patienten aus anderen Bundesländern auf, die dort nicht behandelt werden können.
Wir können die Schwerkranken nicht sich selbst überlassen. Wir tun, was wir können, um Menschenleben zu retten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ressourcen bei uns knapp sind.
Vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass Sie wenig Verständnis für Menschen aufbringen, die sich nicht an die Corona-Regeln halten. Wie ist es um Ihr Verständnis für Ungeimpfte bestellt?
Es ist höchste Zeit, alles dafür zu tun, dass unser Gesundheitssystem nicht kollabiert. Aus meiner Sicht ist es höchste Zeit, alles dafür zu tun, dass unser Gesundheitssystem nicht kollabiert. Das heißt, dass alles dafür getan werden muss, um alle vom Impfen zu überzeugen, sofern es keine medizinischen Gründe gibt, die gegen eine Immunisierung sprechen. Mein Verständnis für diejenigen, die sich problemlos impfen lassen könnten, es aber nicht tun, ist entsprechend gleich null. Das liegt sicher auch an meiner Tätigkeit. Wer sieht, welche Arbeit hier geleistet werden muss, weil Ungeimpfte mit Covid-19 auf der Intensivstation mit dem Tod ringen, dem kommt das Verständnis irgendwann abhanden.
Impfquote in den Kliniken
Die Politik sieht sich offenbar genötigt, in einigen Berufsgruppen nachzuhelfen – das gilt auch für Pflegeberufe. Sollte man nicht selbstverständlich davon ausgehen können, dass alle Geno-Beschäftigten geimpft sind, die mit Patienten zu tun haben.
Wir haben eine sehr hohe Impfquote. Sie liegt bei allen Beschäftigten – inklusive Verwaltung – bei mehr als 90 Prozent.
Berufsbezogene Impfpflicht
Was halten Sie von der berufsbezogenen Impfpflicht?
Ich persönlich habe eine klare Haltung: Wer Kontakt zu Patienten hat, als Arzt, Ärztin, Pflegerin oder Pfleger hat zwei Aufgaben – sich und die ihm Anvertrauten zu schützen. Ich persönlich bin mittlerweile sogar für eine allgemeine Impfpflicht. Das scheint mir nötig, um das Gesundheitssystem zu entlasten und langfristig eine Perspektive entwickeln zu können, die ein Ende der Pandemie ermöglicht. Ich hoffe allerdings sehr, dass sich die meisten noch überzeugen lassen und sich freiwillig impfen lassen.
Wie gehen die Mitarbeiter auf den Covid-Stationen damit um, dass sie Ungeimpfte versorgen müssen?
Unsere Teams gehen mit der Lage professionell um. Wenn jemand unsere Hilfe braucht, fragen wir nicht nach dem Warum. Natürlich weiß man nicht, was in den Köpfen vorgeht. Ich kann mir gut vorstellen, dass es Enttäuschungen und Frustrationen gibt. Wer wollte das einer Intensiv-Krankenschwester oder einem Arzt verdenken, die quasi keine ruhige Minute haben, weil die Pflege von Infizierten sehr aufwendig und körperlich anstrengend ist?
Finanzielle Folgen der Corona-Krise
Welche Folgen hat die Corona-Krise finanziell?
Alle Krankenhäuser sind durch Covid-19 finanziell belastet. Es gibt bundespolitische Überlegungen zur Entlastung und einen pauschalen Zuschlag für die Behandlung von Covid-19-Patienten. Auch die Bremer Politik, das muss man anerkennen, stützt uns sehr. Wir wissen, dass wir von dort Hilfe erwarten können. Das ist nicht selbstverständlich und schon viel wert.
Unglücklich ist, wenn Corona-Ausgleichszahlungen nicht ordnungsgemäß verwendet werden, wie offenbar in einem Sonderfall der städtischen Kliniken Bremerhaven der Fall.
Dazu kann und möchte ich mich nicht äußern. Nur so viel: Niemand hatte für diese Situation eine Blaupause. Alles musste sehr schnell gehen, niemand konnte sich viel Zeit nehmen, um sich intensiv mit den Anforderungen auseinanderzusetzen. Dabei kann auch mal was schief gehen. Das muss glatt gezogen und korrigiert werden, keine Frage. Aber es gibt aber keinen Grund, das Vertrauen in das System zu verlieren.
Sanierung der Geno trotz der Pandemie
Ihnen wird vorgeworfen, trotz der Corona-Krise Stellen abzubauen. Wie passt das zusammen?
Wir müssen tatsächlich einen Spagat hinlegen: Auf der einen Seite stehen die Covid-Belastungen, auf der anderen die Sanierungsbemühungen. Wenn wir in absehbarer Zeit eine schwarze Null vorweisen sollen, um mittelfristig ohne weitere Zuschüsse der Stadt auskommen zu können, müssen wir Strukturen überprüfen, Reformen angehen und – außer in der Pflege – Stellen abbauen. Das fällt uns nicht leicht. Es ist eine ständige Gratwanderung und wird vorerst eine bleiben. Wenn sich die Lage durch Covid-19 weiter zuspitzt, werden die Sanierungsbemühungen hinten anstehen müssen. Dass uns allen dieser Kurs sehr viel abverlangt, auch mental und emotional, ist keine Frage.
Könnten Sie nicht wie beispielsweise ein staatliches Theater selbstbewusst sagen: ohne staatliches Geld wird das nie funktionieren, wenn eine gewisse Qualität erwartet wird?
Es wäre schön, wenn es so einfach wäre, aber wir müssen uns mit anderen messen lassen. Es gibt kommunale Krankenhäuser, die eine schwarze Null erwirtschaften. Ich bin davon überzeugt, dass das auch bei der Geno möglich ist. Allerdings kann ich auch jetzt schon sagen, dass ich dabei von normalen Bedingungen ausgehe, nicht von pandemischen Ausnahmejahren. Wenn sich dieser Notstand verlängert, verlängert sich auch die Phase, in der wir darauf angewiesen sind, dass die Stadt unsere coronabedingten Verluste ausgleicht.
Bilanz nach einem Jahr im Amt
Sie sind seit gut einem Jahr im Amt – welche Bilanz ziehen Sie?
Ich kann mich nicht beklagen. Ich bin gerne hier, obwohl die Pandemie alles auf den Kopf gestellt hat.
Bremen gilt als speziell, was beispielsweise die Verbreitung von Interna betrifft oder die Länge des Arms der Politik.
Es mag sein, dass hier das eine oder andere anders ist als anderswo. Ich habe hier und da Lehrgeld bezahlen müssen. Das Interesse an den bremischen Krankenhäusern ist sehr groß, aber das ist auch von Vorteil. Die Zusammenarbeit mit der Gesundheitssenatorin, dem Bürgermeister und beispielsweise den Deputationsmitgliedern erlebe ich als gedeihlich und positiv.
Aussichten für 2022
Wie schauen Sie auf das nächste Jahr?
Mit gemischten Gefühlen. Ich bin immer zuversichtlich, das liegt in meinen Naturell. Ich habe großes Vertrauen in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber ich mache inzwischen ernsthaft Sorgen, wie lange das Personal noch durchhalten kann.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.