Herr Dubbers-Albrecht, Herr Bremermann, was spricht dagegen, wenn Bremen sich auch beim Bauen um den Klimaschutz bemüht? Allein die Zementindustrie erzeugt ähnlich viele klimaschädliche Gase wie der weltweite Flugverkehr.
Eduard Dubbers-Albrecht: Im Prinzip spricht gar nichts dagegen, denn Sie haben recht: Das Bauen und die Gebäude sind ganz wesentliche Treiber der CO2-Emissionen, das ist überhaupt keine Frage. Wir sind deshalb dafür, möglichst viele Dächer zu begrünen oder mit Photovoltaik zu bestücken. Die Latte, die in dieser Hinsicht vom sogenannten „Bremer Standard“ gelegt wird, ist aber entschieden zu hoch. Da kommt schlicht kaum jemand drüber.
Marco Bremermann: Für uns sprengen die neuen Regeln jede Verhältnismäßigkeit. Sie treffen auf eine Branche, die wegen der gestörten Lieferketten, den höheren Zinsen und dem Fachkräftemangel ohnehin arg in Bedrängnis ist. Jetzt kommen durch den „Bremer Standard“ bei den Kosten noch einmal 25 bis 30 Prozent obendrauf.
Klimaschutz ist teuer, gewiss, hat aber einen nachhaltigen Nutzen und spart am Ende Kosten.
Bremermann: Wir haben in Deutschland doch aber schon viele Auflagen, insbesondere beim Energieverbrauch. Wo wollen wir eigentlich noch hin? Sinnvoller wäre es, statt bei den Neubauten beim Bestand anzusetzen und dort vor allem bei den öffentlichen Gebäuden. Das hätte deutlich mehr Effekt.
Dubbers-Albrecht: Weil Herr Bremermann gerade von der Verhältnismäßigkeit sprach – das ist genau der Punkt. Mit einem Aufwand, der im Grunde nicht zu leisten ist, wird ein nur geringer Nutzen erzielt. Im Ergebnis erleidet die Bauwirtschaft massive Einschränkungen oder kommt gar zum Stillstand, weil die Preise explodieren und Aufträge ausbleiben. Dabei benötigt Bremen nach den Bekundungen des Senats dringend neuen und möglichst auch günstigen Wohnraum. Wie passt das zusammen?
Beim Bauen also gar nichts zusätzlich fürs Klima tun?

Eduard Dubbers-Albrecht (64) ist seit einem knappen Jahr Präses der Handelskammer Bremen. Als Unternehmer führt er die Ipsen Logistics Holding GmbH & Co. KG. Der gebürtige Texaner war Bankkaufmann und hat Betriebswirtschaftslehre studiert.
Dubbers-Albrecht: Aber nein, und so ist es ja auch nicht in der Praxis. Wie ich vorhin sagte, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, die vertretbar sind. Darauf legen Auftraggeber und Auftragnehmer heute schon aus Eigeninteresse wert, weil sie ihr Geld buchstäblich nicht zum Schornstein hinausjagen wollen. Der „Bremer Standard“ erzwingt aber etwas, das jenseits der Möglichkeiten liegt.
Bremermann: Genau, und das nicht nur wegen der Kosten. Die Regeln sind oft wirklichkeitsfremd und nicht praktikabel. Wir Bauentwickler sind ratlos, wie wir sie umsetzen sollen. Ich sage Ihnen zwei Beispiele: Baustoffe aus recyceltem Material – das geht beim Straßenbau, aber nicht im Wohnungsbau. Wir wissen doch gar nicht, was in diesem Material alles drin ist. Wie steht es dann mit der Gewährleistung? Oder der Zwang, pro Bewohner sechs Quadratmeter Grünfläche zu schaffen, die öffentlich zugänglich sein muss. Wer, bitte, pflegt diese Flächen? Das werden schnell Müllhalden sein, da bin ich mir sicher.
Ihren Kolleginnen und Kollegen vom Fach wird nicht jede der neuen Regeln gefallen, wohl aber die meisten. Die beiden Kammern der Ingenieure und Architekten haben wegen der Klimakrise zur Bauwende aufgerufen. Sind die ebenfalls schief gewickelt?

Marco Bremermann (49) ist in Bremen geboren und studierte nach einer Ausbildung Kunstgeschichte und Immobilienökonomie. Seit 2003 leitet er das Familienunternehmen Müller & Bremermann, das bundesweit Wohn- und Geschäftsimmobilien entwickelt und verwaltet.
Bremermann: Mehr Auflagen, mehr Arbeit, mehr Honorar für die Ingenieure und Architekten. So einfach.
Herr Bremermann, ein Kollege von Ihnen beklagte unlängst, dass die Bauunternehmen in Bremen bereits seit einiger Zeit Bebauungspläne akzeptieren müssten, von denen sie wüssten, dass sie nicht komplett umsetzbar sind.
Bremermann: Das ist richtig. Wir sollen städtebauliche Verträge akzeptieren, die mit allen möglichen und unmöglichen Details gespickt sind.
Der „Bremer Standard“ ist also längst da.
Dubbers-Albrecht: Richtig. Schon jetzt werden Bestandteile des „Bremer Standard“ im Verfahren zur Erlangung einer Baugenehmigung gefordert. Dadurch wird etwas festgeschrieben. Die Bauunternehmer und -entwickler haben gar keine Wahl, und es gibt schon jetzt kaum noch Spielraum für weitere Verhandlungen.
Weshalb regt sich Ihr Widerstand eigentlich so spät, erst nach dem Senatsbeschluss?
Bremermann: Wie kommen Sie darauf? Im Juli hat es zum „Bremer Standard“ den ersten Aufschlag gegeben, mit einer nur sehr kurzen Präsentation des Entwurfs. Danach haben wir mündlich und schriftlich unsere massiven Bedenken vorgetragen.
Öffentlich war davon aber nichts zu hören. Warum?
Bremermann: Weil das nicht unser Stil ist. Wir haben das Gespräch gesucht, zuletzt beim Bürgermeister. Andreas Bovenschulte hatte uns darum gebeten, kompromissbereiter zu sein. Wenige Tage später gab es den Senatsbeschluss, ohne dass wir Einfluss nehmen konnten.
Dubbers-Albrecht: Die Bauwirtschaft mit ihren Tausenden Arbeitsplätzen ist im Grunde vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Das war ein Schnellverfahren. Doch auch wenn der Senat bereits entschieden hat – die Handelskammer wird nicht aufgeben, sich für sinnvolle Rahmenbedingungen für das Bauen in Bremen einzusetzen.