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Klimawandel und die Folgen Der neue Sound des Sommers

Neun Monate Winter und dann keinen Sommer? In Deutschland ist das längst nicht mehr so. Damit hat sich auch die Wahrnehmung der vermeintlich schönsten Jahreszeit geändert. Der Sommer ist zum Problem geworden.
18.06.2023, 09:28 Uhr
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Der neue Sound des Sommers
Von André Fesser

Der Sommer hat ein Problem. Oder mehr noch: Er ist es. Galt die Zeit zwischen Juni und September vielen Generationen als Jahreshöhepunkt, als Aufwärmphase nach nassem Frühling und vor dem nächsten kalten Winter, hat dieses Image gelitten. Manchem ist der Sommer nicht mehr Energiespender, sondern Stressbringer. Eine Zeit der Entbehrung und Belastung. Darf man sich auf so jemanden noch freuen?

In Opas Erzählungen ist das noch so: Als er ein Junge war, gab es mit etwas Glück ab und zu hitzefrei. Darum zog er morgens stets seine Badehose unter die Shorts, um nach der Schule mit den anderen aus der Klasse zum See zu radeln. Dort lagen sie den ganzen Tag über am Ufer, lästerten über ihre Lehrer oder die Mädchen aus der Parallelklasse und sprangen ab und zu vom Steg ins Wasser. Stunden später schlenderten sie erschöpft wieder nach Hause, natürlich nicht, ohne beim Nachbarn noch ein paar der dicken, süßen Kirschen vom Baum zu klauen. Nach dem Abendbrot fielen sie selig in ihre Betten und träumten vom nächsten Mal Hitzefrei.

Veränderte Rahmenbedingungen

Es ist ganz normal, die Vergangenheit zu verklären und so könnte das auch bei dieser Erinnerung passiert sein. Derartige Episoden aber sind auch heute noch denkbar. Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen verschoben. Wer zum See will, braucht nicht nur eine Badehose, sondern auch ein UV-Shirt. Der Junge soll sich eincremen und seine Kopfbedeckung nicht vergessen. Und bloß nicht vom Steg ins Wasser springen! Denn vielleicht liegt auf dem Grund des Sees ein Fahrrad herum oder sogar ein E-Scooter, an dem man sich verletzen könnte. Obendrein ist der See nicht mehr so tief wie einst, da es seit Wochen nicht geregnet hat und die sengende Sonne den Wasserspiegel drückt. Und weil ein paar Kilometer entfernt der Wald oder die Heide brennt, riecht die Luft nach Rauch. Ganz normal im heutigen Sommer, aber was soll's, die Kids kennen es ja nicht anders.

Mit dem Klima hat sich auch der Sound des Sommers verändert. Klar doch, die lauen Nächte mit Cocktail am Wasser feiert man noch heute. Das Drumherum aber gibt zu denken: Die Sommer sind trockener und heißer als früher. Manch einer leidet darunter, schaltet die Klimaanlage ein und befüllt den Gartenpool. Wasser ist in unseren Breiten zwar nicht knapp, aber es wird knapper. Einige Gemeinden auch in Niedersachsen haben das Maß der zulässigen Trinkwassernutzung bereits eingeschränkt.

Beispiellos trocken

In Südeuropa kennt man das, dort mussten die Menschen in diesem Frühjahr mit einer beispiellosen Trockenzeit klarkommen. Man ahnt: Das bleibt jetzt so. Dennoch machen sich in diesem Sommer wieder Hunderttausende Deutsche, Briten oder Niederländer auf, um genau dort Urlaub zu machen. Sie reisen in Regionen voller Probleme und bringen noch ein weiteres mit: Der Klimaschaden, den die Ferienflieger mit ihren Emissionen anrichten, ist beträchtlich.

Doch ihren Urlaub lassen sich die Menschen nicht nehmen. Die Buchungszahlen haben mit Abflauen der Corona-Pandemie wieder deutlich angezogen, koste es, was es wolle. Und als folgte er einem Instinkt, zieht es den Mitteleuropäer nach wie vor bevorzugt gen Süden, den 40-Grad-Phasen in Griechenland oder der Türkei zum Trotz. Die Tour ans Mittelmeer ist von Kindesbeinen an gelernt, auch Opa hat dort mal Urlaub gemacht, als er nicht mehr täglich zum See radeln wollte.

Warum noch "in die Sonne"?

Dabei gibt es zumindest aufs Wetter bezogen dafür eigentlich keine Notwendigkeit mehr: Diente der Trip in die Sonne früher auch als Flucht vor den wechselhaften Ferienmonaten eines nicht strandwettersicheren Deutschlands, besteht für eine Reise "in die Sonne" seit einigen Jahren kein Anlass mehr. Auch hierzulande zeigte sich das, was man Sommer-Wetter nennt, zuletzt schon zuverlässig im Mai. Soll noch Napoleon festgestellt haben, dass die Deutschen "neun Monate Winter und drei Monate keinen Sommer" hätten, können sich Sonnenfreunde mittlerweile auch im eigenen Garten erwärmen. Die Klimaforschung zeigt, dass die Zahl der jährlichen Hitzetage längst deutlich über jener früherer Jahrzehnte liegt. Kaum ein Jahr, dass nicht irgendeinen Hitze- oder Trockenheitsrekord hervorbringt. Einige Experten prophezeien Deutschland in klimatischer Hinsicht schon Mitte des Jahrhunderts italienische Verhältnisse.

Das mag jene freuen, die es sich leisten können, am See zu liegen, die Füße im Wasser. Oder die Radiomoderatorin, die jeden Morgen aufs Neue von "schönem Wetter" redet, obwohl die Prognose einen weiteren Hitzetag verspricht und wieder keinen Regen. Wer aber im nichtklimatisierten Büro arbeiten oder in einer schlecht gedämmten Wohnung leben muss, wer wie ein Landwirt aufs passende Wetter angewiesen ist, wer alt ist oder krank und sich nicht einfach eine Lösung gegen die Wärme suchen kann, für den werden die neuen Bedingungen zur Qual. Erst in der laufenden Woche hatten Ärzte auf die akuten Gefahren hingewiesen, die von der Hitze ausgehen und die Ausarbeitung kommunaler Schutzpläne angemahnt. Nach Schätzungen der Bundesregierung sterben in Deutschland jährlich zwischen 5000 und 20.000 Menschen an den Folgen der Hitze.

Uneins und unentschlossen

So spaltet das Wetter das Land: Steigen die Temperaturen über 28 Grad, haben die einen Sommer, die anderen Hitze. Und da die Menschheit bislang nicht einig und entschlossen gegen den selbstgemachten Klimawandel vorgeht, wird sich an dieser Entwicklung in absehbarer Zeit kaum etwas ändern. Gewiss gibt es immer jene, die sich über milde Winter und heißere Sommer freuen. Oder die sich hinstellen und den Klimawandel für nicht existent erklären, weil man ihn ja gerade nicht sehen könne. Je stärker der Klimawandel aber voranschreitet, umso größer wird aber die Zahl derer, die unter der Hitze leiden.

Doch es gibt keinen Grund, in Weltuntergangsstimmung zu verfallen. Die Temperaturen steigen zwar, die Meeresspiegel auch. Der menschengemachte Klimawandel lässt sich aller Voraussicht nach aber auch vom Menschen wieder eindämmen. Allerdings muss er damit auch mal anfangen. Die Fortschritte erschöpfen sich in Deutschland derweil in lähmenden Debatten über Heizungswenden und Tempolimits. Zwar haben, abgesehen von den Klimawandelleugnern, die meisten erkannt, dass man etwas tun muss, um die Welt zu retten. Bei sich selbst anfangen und den eigenen Lebenswandel ändern wollen viele dann aber doch nicht. Zumindest nicht in dem Maße, das es braucht, um eine Wirkung zu erzielen.

Den Sommer mies machen lassen sollte man sich davon aber nicht. "Natürlich", so schrieb die "Zeit" im vergangenen Jahr, "ist es möglich, sich ernste Gedanken zur Klimapolitik zu machen und sich gleichzeitig darüber zu freuen, dass man jeden Tag schwimmen gehen kann." Und vielleicht lässt sich auch beides verbinden. Opa jedenfalls hat dem Klima an den Nachmittagen am See nicht geschadet. Er war zufrieden, wenn er ab und zu mal ein Eis bekam und an einem lauen Sommerabend mit Freunden am Deich kicken konnte. Er hat sich auch nicht beklagt, wenn er nicht in jedem Jahr in den Süden fliegen konnte. Auch für ihn war der Sommer die schönste Zeit des Jahres. Eine, auf die er sich noch gefreut hat.

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