Meistens geht es ums Bauen. Wo Häuser entstehen sollen, dauert es nicht lange, bis sich Widerstand regt. Zu viel, zu hoch – und warum gerade hier? Wertvolle Natur geht verloren, klagen Bürgerinitiativen. Sie sehen die Harmonie in Gefahr, das Gesamtbild, wenn mit eigenwilliger Architektur geplant wird – in Vegesack zum Beispiel, als am Weserufer vor Jahren ein 13 Stockwerke hohes Wohngebäude mit ungewöhnlicher Glasfassade entstehen sollte. Der Entwurf war im Sturm der Entrüstung schnell Makulatur. Schade eigentlich.
Proteste allenthalben auch gegen die Bremer Bäderpolitik, gegen Verkehrsprojekte oder Fällaktionen – der Streit um den Erhalt von 136 Platanen am Neustädter Deich ist geradezu uferlos geworden. Nach sechs Jahren laufen die Vorbereitungen für einen Volksentscheid – so wie es ihn zur geplanten Bebauung der Galopprennbahn gegeben hat. Ergebnis war damals, dass das Gelände im Bremer Osten frei von Wohnungen bleibt. An einem "Runden Tisch" mit mehr als 30 Interessengruppen wurde danach ausgeknobelt, was stattdessen mit dem Areal passieren soll. Zur Auftaktveranstaltung für das anschließende Werkstattverfahren kamen 150 Bürgerinnen und Bürger.
So viel Teilhabe, so viel Mitsprache: Da sind die Initiativen, 17 davon haben sich in Bremen zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Sie werden vom Senat und der Bürgerschaft gehört, einbezogen, bekommen auch in den Medien viel Aufmerksamkeit. Es gibt die Beiräte in den Stadtteilen, kleine Parlamente, die zwar nur selten nach eigenem Gusto entscheiden dürfen. Sie haben bei hinreichendem Geschick aber durchaus Einfluss. Immerhin sind die Fraktionen in den Beiräten die politische Basis der Parteien, an der man nicht ohne Weiteres vorbeiregieren kann. Die Bremische Bürgerschaft leistet sich seit 15 Jahren einen Ausschuss für Bürgerbeteiligung, bürgerschaftliches Engagement und Beiräte. Schließlich arbeitet im Parlament auch noch der Petitionsausschuss, an den sich die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Anliegen wenden können.
So viel Teilhabe, so viel Mitsprache – und doch ist das vielen immer noch nicht genug. Klar, sagen die Kritiker, alles das gibt es: die Foren, Runden Tische, Anhörungen, Podiumsdiskussionen und formalen Beteiligungsrunden. Oft, nein meistens, so die Beschwerde, seien das aber Muster ohne Wert. Reine Alibiveranstaltungen. Letztlich würden ja doch "die da oben" ihren Willen durchsetzen. Und das sei: undemokratisch.
Doch erstens stimmt das nicht, wie an vielen Beispielen abzulesen ist. Das Hochhaus im Viertel wird zwar gebaut, nach den Einwänden der Anwohnerinitiative aber in gestutzter Form. Ein Ergebnis übrigens, das Bremen zum Schaden gereicht. Der ursprüngliche Entwurf war deutlich besser, hier hätte der Senat im gesamtstädtischen Interesse mal den Rücken gerade machen sollen. An der sogenannten Stadtstrecke am Neustädter Deich sind Nachbesserungen geplant – mehr Grün, weniger Beton. Und auf dem Stadtwerder, das ist lange her, wurde nach Protesten komplett darauf verzichtet, für eine Sichtschneise Bäume zu opfern. Diese Reihe ließe sich fortsetzen.
Und zweitens gelten bei aller Mitsprache immer noch die Regeln einer repräsentativen Demokratie. Sie ist der Ausdruck von Volksherrschaft, in ihr drückt sich die wahre Bürgerbeteiligung aus. Was ist gut für ganz Bremen?, sollen sich die gewählten Parlamentarier fragen und danach handeln. Was ist gut für die Gesellschaft und nicht nur für Teile davon, zumal, wenn es sehr kleine sind.
Das Gemeinwohl speist sich zwar immer aus Teilinteressen, die in Einklang gebracht werden müssen. Insofern ist jedes Engagement von Einzelnen und Gruppen unbedingt zu begrüßen, denn das erst macht Demokratie lebendig. Sich selbst und die eigene Meinung absolut zu setzen, nichts anderes gelten zu lassen, widerspricht aber den Prinzipien des parlamentarischen Systems.
Joachim Lohse, Bremens ehemaliger Bausenator, hat es mal so gesagt: "Wer meint, er sei erst beteiligt worden, wenn er zu 100 Prozent seinen Willen bekommt, der hat die Demokratie nicht verstanden."