Diese Frau hatte wirklich niemand auf dem Zettel, als Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) im Sommer vergangenen Jahres das sozialdemokratische Regierungspersonal für die neue Legislaturperiode vorstellte: Özlem Ünsal, eine in Bremen völlig unbekannte schleswig-holsteinische Landespolitikerin, übernahm das neue Ressort für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung.
Die Öffentlichkeit nahm das erstaunt zur Kenntnis, die SPD-Bürgerschaftsfraktion murrte sogar vernehmlich. Statt des Eigengewächses Falk Wagner sollte – der Geschlechterquote folgend – eine ortsfremde Funktionärin die Bau- und Verkehrspolitik verantworten. Müsste man ihr wohl erst mal erklären, dass Bremerhaven nicht der Bremer Hafen ist?
Nein, musste man nicht. Ünsal hat ihren neuen Beritt zwar noch nicht bis in die letzten Verästelungen durchdrungen. Nach einem halben Amtsjahr kann das auch gar nicht anders sein. Aber sie hat mit ersten Weichenstellungen deutlich gemacht, worauf es ihr ankommt: Das Kerngeschäft muss anständig erledigt werden, alles andere hat sich dem unterzuordnen.
Ünsals Pragmatismus hebt sich wohltuend ab von der Verkehrswende-Ideologie ihrer Vorgängerin Maike Schaefer (Grüne). Die Grünen-Senatorin gefiel sich darin, in der Autostadt Bremen die Pkw-Besitzer zu vergraulen. Großräumige Parkplatzreduzierungsprogramme wurden aufgelegt, weil das Auto an sich ja von Übel sei. Dass ein bedeutender Logistikstandort am Fluss wie Bremen intakte Brücken braucht, wurde konsequent ignoriert – mit der Folge, dass Özlem Ünsal nun kurzfristig hohe Millionenbeträge mobilisieren muss, um den Kollaps der maroden Weserquerungen abzuwenden. Ünsal spricht in diesem Zusammenhang von einem "ganz klaren Strategiewechsel". Deutlicher kann man die Abkehr von einer als falsch empfundenen Politik nicht formulieren.
Dass sich unter der neuen Behördenchefin etwas ändern würde, war schon nach kurzer Zeit zu spüren. Ünsal stockte die personellen Kapazitäten für die Bearbeitung von Wohngeldanträgen auf und sorgte dafür, dass der Aktenstapel rasch schrumpfte. Konzentration auf das Wesentliche und Sinn für Realitäten kennzeichnen auch die Haushaltsplanungen für 2024/25. Mittel für den Erhalt vorhandener Infrastruktur werden erhöht. Was wünschenswert, aber momentan nicht bezahlbar ist, wird zurückgestellt. Dazu gehören sowohl die geplanten Fahrradbrücken als auch der weitere Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
Natürlich wäre es schön, wenn das Bus- und Straßenbahnnetz noch dichter und der Takt der Verbindungen kürzer würde. Aber es ist eben nicht ratsam, solche Versprechungen zu machen, wenn man weder das notwendige Geld noch genügend Fachkräfte für den Expansionskurs hat. Grüne Verkehrspolitik hat das verkannt und letztlich nur Verdruss erzeugt.
Özlem Ünsal zieht daraus ihre Lehren. Sie weiß auch, dass es nicht sinnvoll ist, Verkehrspolitik gegen die große Mehrheit der Bevölkerung zu machen. Denn auch wenn immer wieder suggeriert wird, dass viele Menschen liebend gern auf den ÖPNV oder aufs Rad umsteigen würden, wenn es ein attraktives Angebot gäbe – die nackten Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die Zahl der Kfz-Zulassungen hat in den vergangenen Jahren weiter zugenommen, und zwar auch in einem städtisch verdichteten und von Bus und Bahn vergleichsweise gut erschlossenen Raum wie Bremen. 247.326 Personenwagen waren am 1.1.2023 in der Stadtgemeinde registriert. Ein historischer Höchststand. Die Leute haben es eben gern bequem.
Was soll man da machen? Das grüne Konzept – die Verkehrswende mit der Brechstange – ist bei der Bürgerschaftswahl 2023 krachend gescheitert. Sozialdemokratische Verkehrspolitik kann nur heißen: mehr Ünsal wagen. Also pragmatisch vorgehen, Realitäten anerkennen und versuchen, deutlich behutsamer und langfristiger umzusteuern. Konkret heißt das beispielsweise: Bevor großflächig Parkplätze am Straßenrand abgeräumt werden, sollten alternative Stellflächen in Quartiersgaragen bereitstehen. Wer sich um Akzeptanz bemüht, hat in der Politik auf die Dauer mehr Erfolg.