Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will die Deutsche Bahn zukunftsfähig machen. Angekündigt sind zunächst konzerninterne Umgestaltungen – unter anderem soll eine gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte gegründet werden. Damit, so die Hoffnung, könnten Sanierung und Neubau im Schienennetz schneller vorangehen. Die Herausforderungen sind nach jahrzehntelanger Vernachlässigung groß – auch in Bremen und Niedersachsen. Wie sehen Experten und Initiativen aus der Region die Zukunft der Bahn? Was muss sich dringend ändern? Ein Überblick.
Die neuen Bahn-Pläne: Zum 1. Januar 2024 sollen die DB Netz AG und die DB Station und Service AG zu einer neuen Infrastrukturgesellschaft verschmolzen werden. Die Gewinnmaximierung soll in dieser Gesellschaft keine Rolle mehr spielen. Eine bereits auf den Weg gebrachte Änderung am sogenannten Bundesschienenwegeausbaugesetz hängt eng mit den Plänen zusammen. Maßnahmen könnten dank der Gesetzesänderung künftig optimierter und gebündelt umgesetzt werden, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium. Zudem soll der Bund zukünftig mehr Spielräume bei der Finanzierung bekommen, beispielsweise auch die Instandhaltung von Bahnhöfen unterstützen können.
So reagieren Fahrgastvertreter: Fahrgastverbände reagieren vorsichtig optimistisch auf Wissings Pläne. Die Gründung einer gemeinwohlorientierten Gesellschaft sei "wichtig und richtig", sagt Malte Diehl. Der Landesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn Bremen/Niedersachsen erhofft sich eine verbesserte Kommunikation innerhalb des Konzerns. Die bisherige Trennung zwischen der DB Netz AG, die für das Schienennetz zuständig ist, und der DB Station und Service AG (verantwortlich für die Bahnhöfe) sieht er kritisch. Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, sagt: "Die Gesetzesnovelle ist der erste Schritt der versprochenen Bahnreform. Bislang hörte die Finanzierungsverantwortung des Bundes an der Bahnsteigkante auf."
Was für Skepsis sorgt: Auch in einer gemeinwohlorientierten Struktur sei nicht garantiert, dass Projekte schneller geplant würden, sagt Diehl. Unklar ist weiterhin die finanzielle Ausstattung der Deutschen Bahn. Laut Ampel-Koalition benötigt der Konzern zur Deckung des Investitionsbedarfs bis 2027 rund 45 Milliarden Euro. Erhebliche Zweifel an einer echten Bahnreform hegt Carsten-Wilm Müller, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule Bremen. "Die Botschaft höre ich wohl, aber mir fehlt der Glaube", sagt Müller. Für echte Fortschritte seien große Summen gefragt. Dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) "20, 30 oder 40 Milliarden Euro lockermacht", könne er sich nicht vorstellen. Auch Diehl bezweifelt, dass Lindner das Bundesverkehrsministerium von seinem Sparkurs ausnimmt.
Das kommt auf Fahrgäste zu: "Alle Verkehrsminister in den vergangenen 20 Jahren haben die Bahn massiv vernachlässigt", sagt Malte Halim vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Bremen. Halim, Müller und Diehl sind sich einig, dass Versäumtes nicht kurzfristig aufzuholen sei. Fahrgäste müssen demnach auch in den nächsten Jahren mit unpünktlichen und ausgefallenen Zügen leben. Diehl sagt sogar eine weitere Verschlechterung voraus – wegen des jahrelangen Sanierungsstaus werden sich ihm zufolge demnächst die unbedingt notwendigen Bauarbeiten häufen. Das ohnehin überlastete Netz würde dann noch stärker beansprucht. Mittelfristig, so Diehl, gebe es aber Aussicht auf Besserung. Er nennt das Jahr 2030 als Anhaltspunkt.
Wünsche für Bremen und die Region: Als dringendes Infrastrukturprojekt gilt das dritte Gleis zwischen Bremen-Burg und dem Hauptbahnhof – der Abschnitt ist notorisch überlastet. Seit Jahren wird der Ausbau gefordert, einen Termin gibt es bislang nicht. "Mittlerweile könnte man sogar über ein viertes Gleis nachdenken", sagt Diehl. Ein drittes Gleis bringe 20 Prozent mehr Kapazität, während vier Gleise einen Zuwachs von 90 bis 100 Prozent bedeuteten. Grundsätzlich müsse der Knotenpunkt Bremen weiter ausgebaut werden. Halim fordert zudem eine bessere Verbindung nach Bremerhaven – vor allem für den Güterverkehr. Müller nennt keine konkreten Projekte, plädiert aber generell für mehr Realismus. Große Zukunftsvisionen mit jahrzehntelangen Vorlaufzeiten seien unzuverlässig; vielmehr müsse man "sich ehrlich machen und manchmal auch einen Schritt zurückgehen". Einer seiner Vorschläge: Im Zweifelsfall lieber einen weniger dichten Takt anbieten, der dafür zuverlässig umgesetzt werden kann.