Als der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil den Trainingsraum betritt, wird er begleitet von dem metallischen Geräusch herunterfallender Langhanteln und dröhnend lauter Rock-Musik: In der kurzen, grauen Sporthose und dem dunkelgrünen Adidas-Shirt fällt der sonst in Anzug und Krawatte gekleidete Politiker unter den übrigen Sportlern kaum auf. Zur Begrüßung klatscht er seinen Trainer ab, es kann losgehen: Anstatt einer Mittagspause will Klingbeil in dem Crossfit-Studio Heidekreis Athletik in Soltau bei Munster trainieren.
Munster in Niedersachsen. Dort ist der 44-Jährige aufgewachsen. Dort startete er seine politische Karriere, engagierte sich 17 Jahre lang in der Kommunalpolitik. Seit 2009 vertritt er seine Heimat im Bundestag, ist seit einem Jahr Partei-Chef der Sozialdemokraten. Trotz seines beruflichen Lebens im politischen Berlin ist Munster sein Hauptwohnsitz geblieben. Auch die Geburtsstadt Soltau besucht er regelmäßig. Insbesondere dann, wenn er seinem Hobby nachgeht: Klingbeil ist Crossfit-Enthusiast.
SPD-Chef ist Crossfit-Enthusiast
Crossfit ist eine Wettkampfsportart aus den USA, eine besonders harte Form des funktionellen Zirkeltrainings. Sie verbindet das olympische Gewichtheben mit gymnastische Körpergewichtsübungen und Ausdauersportarten. Die Leistungen der Athleten sollen so in insgesamt zehn Fitnessbereichen verbessert werden – darunter Stärke, Kraft, Beweglichkeit, Gleichgewicht und Kondition. Alle Übungen haben klar definierte Standards, die jeder Athlet einhalten muss. Ein ständiger Ansporn: das Überschreiten der eigenen körperlichen Grenzen.
Klingbeil schätze das besonders an dem Sport: "Ich habe schon häufig gedacht, dass mein Körper bestimmte Übungen nicht schaffen wird. Aber es hat dann doch jedes Mal geklappt." Ihm gehe es also auch um die Herausforderung, sagt er. Vor zwei Jahren habe er sogar mal eine Wette mit seinem SPD-Kollegen Carsten Schneider gehabt: "Ich sollte bis Ende des Jahres 100 Kilogramm im Bankdrücken schaffen", berichtet Klingbeil. Nach langem Training habe er die Marke kurz vor Weihnachten 2020 geknackt.
Der Kraftraum hat eine industrielle Optik, sieht nicht aus wie das klassische Fitnessstudio. Crossfitter nennen ihre heilige Halle auch liebevoll "Box" (zu deutsch: Kasten), denn der Sport lebt von der Idee, den eigenen Körper in einer Garage zu Höchstleistungen zu treiben – und zwar mit dem, was gerade so da ist an zusammengeschweißtem Material. Auch deshalb ist die Box der Heidekreis Athletik nicht mit hochmodernen Fitnessgeräten, sondern eher mit dem Nötigsten an Equipment bestückt: Lang- und Kurzhanteln, Seile, Gewichtsscheiben, Rudergeräte, Klimmzugstangen, Medizinbälle. Ein Teil davon soll auch in der heutigen Einheit zum Einsatz kommen.

Nach rund eineinhalb Stunden Sport hat es Lars Klingbeil geschafft, das Crossfit-Training ist vorbei.
"Bereit?", fragt Trainer Valentin Horstmann. Der 33-Jährige ist der Inhaber des Gyms. Mit seinen langen blonden Haaren und dem Vollbart sieht er aus wie ein muskelbepackter Wikinger. Man erahnt: Im Training kann er seine Athleten hart rannehmen. "Auf jeden Fall", antwortet Klingbeil, wenn auch zögerlich.
Der SPD-Politiker ist etwas angeschlagen. Er hat seit drei Wochen mit Halsschmerzen zu kämpfen. Das heutige Programm ist entsprechend seichter als normalerweise, "wir machen locker", wie Horstmann es formuliert. Das Training ganz ausfallen zu lassen, sei für Klingbeil jedoch keine Option gewesen. Also sagt er "halb so wild, das geht schon" und zeigt sein spitzbübisches Lächeln, für das er in Politikerkreisen bekannt ist. Er lässt keine Ausreden gelten, will sich durchbeißen.

Während der Erwärmung auf dem Fahrrad-Ergometer erklärt Trainer Valentin Horstmann (r.) seinem Athleten Klingbeil (l.) das anstehende Work-out.
Horstmann führt durch die Trainingseinheit. Bevor es so richtig ans Eingemachte geht, muss sich sein Schützling aufwärmen: 500 Meter auf dem Fahrrad-Ergometer, Mobilisieren mit der Kettlebell – einer gusseisernen, runden Hantel – und einem Theraband, anschließend Variationen der klassischen Kniebeuge. Der SPD-Politiker erledigt alles, ohne Murren, dafür mit den ersten Schweißperlen auf der Stirn.
Vom starken Raucher zum Hobby-Athleten
Die zwei Stunden Crossfit in der Woche seien Klingbeil heilig. Er trainiert entweder in der G3 Box in Berlin oder eben bei Heidekreis Athletik in Soltau. Wenn er zu lange keinen Sport macht, fehle ihm etwas, bekomme er schlechte Laune, sagt er. Der Sport sei zu seiner Leidenschaft geworden. Eine Entwicklung, die vor einigen Jahren noch undenkbar schien.
Klingbeil war mal starker Raucher und hatte keinerlei sportlichen Ausgleich zum stressigen Alltag. Nachdem er vor rund zehn Jahren rauchfrei wurde, sei der Weg in den Sport zunächst steinig gewesen: "Beim Joggen habe ich gerade mal 300 Meter geschafft." Inzwischen geht er regelmäßig laufen, zweimal die Woche bis zu zehn Kilometer – meistens morgens oder an den Wochenenden. Um zusätzlich Kraft- und Ausdauer zu trainieren, habe er 2016 mit Crossfit angefangen. Seit der Pandemie ist noch ein weiteres Hobby dazu gekommen: das Rennradfahren. Auf seine sportlichen Fortschritte sei er stolz, das Training mache ihm Spaß, und abgenommen habe er dadurch auch. Selbst im Wahlkampf hätte er zwei- bis dreimal in der Woche das Crossfit-Training "durchgezogen".

Lars Klingbeil (l.), SPD Co-Bundesvorsitzender, während einer Crossfit-Einheit unter den Augen von Trainer Valentin Horstmann (r.).
"Ich bin nach einer Stunde Sport viel fokussierter und wacher. Es hilft mir, im Job besser zu sein", so Klingbeil. Ehrgeizig sei der 44-Jährige sowohl im Training als auch im Beruf. Disziplin und Konzentration halte er in beiden Bereichen für wichtig. "Sonst verbockt man es." In seiner Karriere hat er schon einige größere Erfolge gefeiert. Immerhin ist er in seinen – nach Maßstäben der Politik – jungen Jahren bereits SPD-Parteivorsitzender, und folgt man der Ansicht vieler Sozialdemokraten, hatte Klingbeil als damaliger Generalsekretär und Wahlkampfleiter auch seinen Anteil am Wahlsieg von Olaf Scholz bei der vergangenen Bundestagswahl. Sportlich gesehen, seien es aber die kleineren Triumphe, die zählten – wenn er es beispielsweise schaffe, morgens um halb sieben in der Box zu stehen, wenn er es schaffe, sich trotz wenig Schlaf aufzuraffen. Auch jetzt muss er sich wieder aufraffen, es geht weiter.
"Ihr habt gleich zwei kleinere Work-outs, jeweils 40 Sekunden Arbeit und 20 Sekunden Pause zwischen den Übungen", erklärt Trainer Horstmann in seiner ruhigen, aber bestimmten Art. Work-out Nummer eins: Acht bis zwölf Kalorien auf dem Fahrrad-Ergometer, 15 bis 20 schnelle Kniebeugen, zehn bis 16 Wiederholungen einarmiges Reißen einer Kurzhantel mit 22,5 Kilogramm für den 1,96 Meter großen Klingbeil. Das Ganze zwölf Minuten lang, denn im Crossfit trainiert man gegen die Zeit. Die zuvor leichten Schweißperlen auf der Stirn beginnen jetzt, sich ihren Weg über das Gesicht zu bahnen. Klingbeil schnauft. "Gleich geschafft", motiviert ihn sein Trainer.
Doch die zweite Einheit wartet schon. Gleicher Work-out-Modus, andere Übungen: Rudern an den Ringen, Schulterdrücken mit einer zehn Kilogramm schweren Kurzhantel pro Arm und auch die Kettlebell aus der Erwärmung feiert ihr Comeback. Dieses Mal wird das 20 Kilogramm schwere Gerät explosiv aus der Hüfte auf Brusthöhe katapultiert: Kettlebell Swings nennen das die Crossfitter. "Drei, zwei, eins, time!", brüllt Horstamnn. Der schrille Piepton der Stoppuhr ertönt: Die zwölf Minuten des zweiten Komplexes sind abgelaufen. Nach rund eineinhalb Stunden Training lehnt sich der Politiker erschöpft an die Wand, setzt sich vorsichtig hin. Trotz der Belastung kann Klingbeil noch scherzen: "Von wegen locker", sagt er grinsend zu seinem Coach. Dieser nickt ihm anerkennend zu.
Die gute Laune scheint sich der Sozialdemokrat selten nehmen zu lassen. Auch nicht von fiesen Sportübungen wie einem Intervalltraining auf dem Assault Bike – einem Trimmrad mit beweglichen Handgriffen, bei dem der Sportler gegen Windwiderstand arbeitet. Das sei eine seiner Hass-Disziplinen im Crossfit, gibt er zu und wirkt erleichtert, dass die heutige Einheit ohne jenes Trimmrad ausgekommen ist. "Lars ist schon sehr fit, den unterschätzt man schnell", sagt Trainer Horstmann. Aber Klingbeil ist nicht ganz zufrieden mit seiner Leistung, eigentlich kann er mehr.
"Beim nächsten Mal wieder", sagt der Coach. Erst wieder vollständig gesund werden, erst wieder in die Routine finden. Ein langfristiges Ziel hat Klingbeil trotzdem: "Ich würde gerne einen Klimmzug können." Dass er dafür den nötigen Willen mitbringt, hat er jedenfalls schon mal unter Beweis gestellt.