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Bundestagswahl Ein langer Abend zwischen Beifall und Bangen

Jubel bei SPD, FDP und den Grünen, die laut den ersten Hochrechnungen Zugewinne feiern dürfen. Mucksmäuschenstill ist es dagegen auf den Wahlpartys von CDU und den Linken.
26.09.2021, 21:56 Uhr
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Von Frank Hethey Timo Thalmann Nina Willborn Jürgen Theiner Marc Hagedorn Sabine Doll

SPD

Das Pathos in den Worten von SPD-Landeschef Reinhold Wetjen war der Stimmungslage in der Ständigen Vertretung angepasst. Hierhin, in die StäV in der Böttcherstraße, hatte die SPD zur Wahlparty geladen, und als um Punkt 18 Uhr die Sozialdemokraten in den ersten Prognosen zur stärksten Partei ausgerufen wurden, brandete großer Jubel auf, und wenige Minuten später sagte Wetjen: „Ihr seht vor euch eine stolze Sozialdemokratie.“ Die beiden Bremer SPD-Bundestagskandidaten Sarah Ryglewski und Uwe Schmidt applaudierten, auch die Alt-Bürgermeister Carsten Sieling und Henning Scherf strahlten. Scherf, 82 Jahre alt inzwischen, war nach eigener Aussage erstmals seit 2003 wieder bei einer Wahlparty. „Weil diesmal die Aussichten endlich wieder sehr gut waren“, sagte er mit einem Augenzwinkern und spielte damit auf die guten Umfrageergebnisse für die SPD in den vergangenen Monaten an. Für Ryglewski sind die Zugewinne für die SPD ein klares Plädoyer für einen Kanzler Olaf Scholz. Sie sagte: „Seine Idee vom Respekt und von einer Gesellschaft des Zusammenhalts war das, was die Menschen überzeugt hat.“

CDU

Dass es wenig zu feiern geben würde, darauf waren die rund 50 Bremer Christdemokraten, die sich zur Wahlparty vor der Parteizentrale am Wall eingefunden hatten, wohl innerlich schon eingestellt. Als dann aber um 18 Uhr der schwarze Balken auf den TV-Schirmen auf 24 Prozent zusammenschnurrte, mussten viele der Gäste doch schlucken. „Das ist ja schlechter als unser letztes Bremer Ergebnis“, seufzte ein führender Funktionär. Die Mitglieder der Parteiführung, die vor dem Monitor aufgereiht standen, nahmen die erste Prognose äußerlich regungslos auf. Nach zwanzig Minuten ergriff Landesvorsitzender Carsten Meyer-Heder das Mikrofon und bemühte sich um einen Stimmungsumschwung. Es gebe keinen Grund, die Köpfe hängen zu lassen, sagte Meyer-Heder. Die CDU könne im Laufe des Wahlabends immer noch stärkste Partei werden. „Wenn die Briefwahl ausgezählt wird, gibt es jede Stunde ein halbes Prozent mehr“, zeigte sich der CDU-Landeschef überzeugt. Spitzenkandidat Thomas Röwekamp lobte den Kampfgeist, den die Christdemokraten an den Tag gelegt hätten. Diesen Schwung gelte es mitzunehmen in die Bürgerschaftswahl 2023, „damit wir in 18 Monaten im Rathaus sitzen“, feuerte er das Parteivolk an.

GRÜNE

Freude und Frust lagen bei den Grünen in der Alten Werft in der Überseestadt ganz nahe beieinander, als die ersten Zahlen auf dem großen Monitor an der Bühne angezeigt wurden. Freude darüber, dass die Grünen ihr Ergebnis der Bundestagswahl 2017 fast verdoppeln konnten. „Das ist das beste Wahlergebnis, das wir jemals auf Bundesebene erreicht haben“, sagte Landesvorstandssprecher Florian Pfeffer. Frust darüber, dass es nicht zu einer grünen Bundeskanzlerin gereicht hat. „Wir sind mit dem Führungsanspruch angetreten, das ist uns offensichtlich nicht gelungen“, so Pfeffer. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Kirsten Kappert-Gonther, sitzt seit 2017 im Bundestag. Die Gesundheitspolitikerin setzt ganz klar auf eine Regierungsbeteiligung: „Wir sind nicht aus Jux und Dollerei angetreten; wir werden alles dafür tun, die Klimakrise aufzuhalten und Deutschland gerechter und gesünder zu machen. Ganz offensichtlich haben wir aber unser Ziel nicht erreicht, die erste Klimakanzlerin zu stellen. Aber wir haben ein historisches Ergebnis erreicht.“

FDP

Gute Aussichten für Bremens FDP-Spitzenkandidat Volker Redder: Die Liberalen hatten für ihre Wahlparty das Hotel „Überfluss“ an der Schlachte ausgewählt, sechste Etage, mit Balkonen und Weserblick. Als ab 18 Uhr die ersten Zahlen über den Bildschirm flimmerten und Redders vorab „gutes Gefühl“ bestätigten, dass er der erste Bremer FDP-Abgeordnete im Bundestag seit Torsten Staffeldt (er hatte das Mandat von 2009 bis 2013) werden könnte, jubelten die knapp 100 Gäste. „Ich finde das Ergebnis großartig“, sagte Redder. „Wir haben die Option Rot-Grün-Rot verhindert, das war wichtig. Dieses Mal wollen wir dabei sein. Wir wollen regieren.“ Als „historisch“ bezeichnete er die Tatsache, dass die FDP zum zweiten Mal in Folge mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einziehen wird. Für Redder wurde es ein langer Abend. „Ich gehe davon aus, dass ich irgendwann in der Nacht einen Anruf aus Berlin bekomme mit der Information, ob ich es geschafft habe oder nicht“, sagte er. Was Koalitionen angeht, wollte sich bei der FDP niemand festlegen. Jamaika oder Ampel – die Bremer Liberalen können sich beides vorstellen. „Wir wollen möglichst viele unserer eigenen Inhalte durchsetzen“, sagte Landeschef Thore Schäck.

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LINKE

Die rund 100 Mitglieder und Mitarbeiter der Linkspartei machten kein Geräusch in der Union-Brauerei in Walle, als der erste Trend verkündet wurde und die Linkspartei bei der Fünf-Prozent-Hürde hängen blieb. Und da verharrte das Ergebnis auch die nächsten zwei Stunden. Das dämpfte die Stimmung auf der Wahlparty. Aus der Ahnung, dass ein langer Wahlabend bevorsteht, wird die Gewissheit, dass es dauern wird, bis „belastbare Ergebnisse“ vorliegen, wie es Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt formulierte. Ob die Bremer Spitzenkandidatin Doris Achelwilm wieder in den Bundestag einziehen kann, war zu diesem Zeitpunkt offen. Es hängt an vielen Variablen, nicht nur an der Fünf-Prozent-Hürde. Außerdem gibt es ja auch eine Vertretung im Parlament, wenn eine Partei drei Direktmandate erobert. Das hat bei der Linken immer geklappt. Damit die Nummer eins der Bremer Landesliste im Bundestag zum Zug kommt, muss das Bremer Ergebnis aber deutlich über dem Bundesergebnis liegen. Zwischen Bier, Frikadellen und Falafel war das Handy daher das am meisten gebrauchte Gerät am Abend. Die Blicke und Klicke wechselten zwischen den Hochrechnungen im Fernsehen und der Webseite des Bremer Landeswahlleiters.

AfD

Sehr familiär ging es bei der AfD-Wahlparty in der Gaststätte des SFL Bremerhaven zu: Gerade mal 16 Anhänger hatten sich eingefunden, um die Wahlergebnisse zu verfolgen. Unter ihnen die beiden Bundestagskandidaten Thomas Jürgewitz als der Mann, der den Beamer bediente, und auf der gegenüberliegenden Tischseite Spitzenkandidat Olaf Kappelt. Als um kurz nach 18 Uhr die erste Prognose über die Wand flimmerte, war eine Reaktion kaum wahrnehmbar. Die kam erst, als das starke Abschneiden der Grünen bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin bekannt wurde – angesiedelt irgendwo zwischen Aufstöhnen und Hohngelächter. Zu seinen persönlichen Aussichten wollte sich Kappelt noch nicht äußern. Wohl aber zum Ergebnis der linken Konkurrenz: „Andere wollten uns aus dem Bundestag rausjagen, jetzt sind sie selber so stark gefallen.“ Unterdessen fand Jürgewitz nichts zu mäkeln am Ergebnis seiner Partei: „Mit zehn oder elf Prozent können wir zufrieden sein.“

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