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Situation in der Pflegebranche "Es wird weitere Insolvenzen geben"

Der Bremer Unternehmer Rolf Specht baut und betreibt seit 30 Jahren Pflegeeinrichtungen. Er verteidigt die Renditeerwartungen privater Investoren und fordert zugleich wieder mehr staatliche Förderung.
19.03.2023, 11:16 Uhr
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Von Timo Thalmann

Die Probleme in der Altenpflege sind aktuell ein großes Thema, hier in Bremen nicht zuletzt durch mehrere Insolvenzen von Pflegeanbietern, zuletzt die Hansa-Gruppe mit sechs Häusern in der Stadt. Mit der Convivo-Gruppe hat es zudem einen großen Betreiber getroffen, der in bundesweit über 100 Einrichtungen fast 18.000 Pflegebedürftige betreut. Ist die Branche in der Krise?

Specht: Solche Ereignisse bringen zweifellos Unruhe in die Branche. Von einer generellen Krise würde ich aber nicht sprechen. Allerdings trifft es zu, dass ein Pflegeheimbetreiber sich nicht viele wirtschaftliche Fehler leisten kann, weil die Kostenentwicklung gerade gegen ihn läuft. Das betrifft steigende Lohnkosten, wie auch steigende Betriebskosten. Die Neigung der Pflegekassen, in ihrer Funktion als Kostenträger darauf entsprechend zu reagieren ist nicht sonderlich hoch. Bei einer durchschnittlichen Marge von zwei bis vier Prozent bleibt dann für den Betreiber nicht viel Manövriermasse. Es wird weitere Insolvenzen geben, da bin ich mir sicher. Aber wir sehen die Situation als Herausforderung, die wir mit unserer 35-jährigen Erfahrung annehmen wollen.

Womöglich fällt Ihnen das leichter, weil sie sich auf den Bau der Pflegeimmobilien konzentrieren und mit anderen Gewinnmargen arbeiten können.

Das wäre schön, aber auch bei den Bauprojekten laufen einem gerade an vielen Stellen die Kosten davon. Außerdem betreiben wir zusammen mit einem Partner zahlreiche Pflegeeinrichtungen und wollen das künftig sogar wieder verstärkt tun. Wir machen also beides: Bau und Betrieb. Das erlaubt uns im Übrigen, den Investoren für unsere Pflegeeinrichtungen den Betrieb zu garantieren, denn sollte ein Träger einmal ausfallen, können wir einspringen. Erst kürzlich haben wir eine Einrichtung in Bremen Oberneuland übernommen, die wir gebaut haben. Eine weitere in Weyhe wird hinzukommen.

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Investoren ist ein gutes Stichwort: Sie gelten als Erfinder der Pflegeimmobilie, also der Idee, eine Pflegeeinrichtung wie ein Mehrfamilienhaus aufzuteilen und gewissermaßen einzelne Zimmer und Apartments ähnlich wie Eigentumswohnungen zu verkaufen. Allerdings nicht an den späteren Bewohner, sondern an einen Investor, der ausschließlich Renditeabsichten verfolgt. Verteuern solche Geschäftsmodelle die Pflege nicht übermäßig?

Aus meiner Sicht nicht. Ob eine Pflegeimmobilie nun einen großen Eigentümer hat, der seine Renditeziele verfolgt oder sich die gleiche Rendite auf mehrere Eigentümer verteilt, macht eigentlich keinen Unterschied. Aber durch die Aufteilung können sie mehr privates Kapital mobilisieren, um überhaupt Pflegeeinrichtungen zu bauen. Das war Ende der Achtzigerjahre der eigentliche Antrieb, dieses Modell zu entwickeln. Bis dahin war der Bau von Pflegeeinrichtungen ja eine rein kommunale öffentliche Angelegenheit.

Dann ist eine Ursache für die hohen Kosten der stationären Pflege offenbar das Grundprinzip, dass die Pflege Rendite erwirtschaften soll. Wie stehen Sie zu Forderungen, den Markt für Pflegeeinrichtungen stärker zu regulieren?

Ohne private Investitionen wären in den vergangenen 30 Jahren nicht Hunderttausende der dringend notwendigen Pflegeplätze entstanden. Und bis 2040 wird ein Bedarf von weiteren über 300.000 Plätzen prognostiziert. Dabei geht es nicht um künstlich erzeugte Nachfrage, sondern das ist einfach das Ergebnis der demografischen Entwicklung in einer alternden Gesellschaft. Wer soll all diese Seniorenresidenzen bauen? Gemeinnützige Betreiber aus der Wohlfahrt haben häufig weder das Kapital noch das Know-how dafür. Die öffentliche Hand hat sich seit fast zwei Jahrzehnten aus dem Bau von Pflegeeinrichtungen zurückgezogen. Aktuell bleiben dann nur private Investitionen, die es ohne Aussicht auf Rendite aber nicht geben wird.

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Und wenn der Staat wieder in den Ausbau investiert? Das war mal der ursprüngliche Gedanke, als die Pflegeversicherung eingeführt wurde: Die Sozialkassen der Länder und Kommunen werden durch die Versicherung entlastet, sodass Mittel für Investition frei werden.

Stimmt. Wir haben auch schon Pflegeimmobilien mit staatlicher Förderung gebaut. Das ist für die Bewohner natürlich günstiger, weil weniger Kosten auf den Einzelnen umgelegt werden. Verstehen Sie mich darum nicht falsch. Ich bin überhaupt nicht gegen staatliches Engagement, im Gegenteil: Der Staat muss dringend handeln. Wir sind in Sachen Pflege gerade in einer extrem schwierigen Situation. Den großen Bedarf an Pflegeplätzen habe ich ja erläutert. Das trifft derzeit auf sich verschlechternde Rahmenbedingungen: Die Zinsen steigen, die Preise für Baustoffe ebenso. Staatliche Förderung wäre hilfreich. Ich bin nur nicht dafür, dass die öffentliche Hand selber als Bauherr oder Betreiber auftritt. Das wird erfahrungsgemäß noch mal etwas teurer.

Im SPD-Wahlprogramm für Bremen findet sich der Passus, das Land soll wieder in die Investitionsförderung für die Pflege einsteigen. Da steht aber nichts über die Methode. Was wäre aus ihrer Sicht eine gute Variante?

Ach, das ist die alte Diskussion, ob man die Investition direkt beim Bauherrn fördert oder im Nachhinein die Bewohner bezuschusst, etwa in Form eines Pflege-Wohngeldes, wie Nordrhein-Westfalen es macht. Ich hätte einen viel einfacheren Vorschlag, mit deutlich weniger Bürokratie.

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Ich bin gespannt.

Für den Neubau von Gesundheitsimmobilien schlicht die Mehrwertsteuer streichen. Damit wäre der Bau auf einen Schlag 19 Prozent günstiger. Der Staat müsste nicht extra etwas dazugeben, sondern einfach auf Einnahmen verzichten. Es hätte sogar eine inhaltliche Logik, denn der Betrieb von Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen oder Kliniken ist bereits von der Mehrwertsteuer befreit. Warum also nicht der Bau?

Das allerdings könnte das Land Bremen nicht umsetzen, die Steuergesetzgebung ist Sache des Bundes.

Die künftigen Senioren-Residenzen werden ja auch in der gesamten Bundesrepublik gebraucht.

Sie vermeiden sehr sorgfältig den Begriff "Pflegeheim."

Das tue ich tatsächlich, denn der wird den Häusern, die wir bauen und betreiben nicht gerecht. Das sind keine Heime, sondern komfortable Wohnhäuser mit vielen Gemeinschaftsflächen. Dazu Flächen für Dienstleister und ­Einzelhandel. Das abgeschirmte Heim am Rande der Stadt, das will niemand mehr, das bekommen Sie auch nicht vermarktet.

Der Trend lautet stattdessen Service-Wohnen, im Grunde normale, wenn auch altersgerecht konzipierte Wohnimmobilien, bei denen notwendige Pflegeleistungen von ambulanten Diensten erbracht werden.

a, vor allem die jetzt insolvente Convivo hat stark auf dieses Konzept gesetzt. Ich bin da ehrlich gesagt etwas skeptisch. Die Pflege mag auf dem Papier als ambulante Leistung erbracht werden, aber viele Betreiber haben vormals stationäre Einrichtungen in solches Service-Wohnen umgewandelt, ohne dass sich baulich groß etwas geändert hätte. Bei ambulanter Pflege sind sie im Vergleich zur stationären Pflege aber von vielen Auflagen befreit, etwa in Sachen Personalschlüssel und Fachkraftquote. Das macht den Betrieb einfacher und mutmaßlich auch billiger. Weil im Gesetz steht, ambulant vor stationär, schaffen sie so ein scheinbar fachgerechtes Versorgungsnetz.

Aus unternehmerischer Sicht müsste das doch attraktiv sein. Woher die Skepsis?

Ich fürchte das Risiko, dass der Gesetzgeber hier irgendwann regulierend eingreift und ambulante Pflege enger definiert. Momentan genügt es meistens, wenn die Bewohner in diesen Senioren-Wohnparks formal das Recht haben, ihren Pflegedienst frei zu wählen. Aber jeder nimmt eben den vor Ort installierten, weil es so praktisch ist. Doch wie ambulant ist das dann wirklich? Da genügt ein Federstrich des Gesetzgebers und dann ist das eine stationäre Einrichtung. Damit ist sofort die gesamte Kalkulation gesprengt, das Geschäftsmodell über den Haufen geworfen und der Betreiber ist in Schieflage. Pflegeimmobilien brauchen langfristige Sicherheit. Da wohnen alte Menschen. Da arbeiten Menschen.

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Auch ein gutes Stichwort: die Arbeitskräfte in der Pflege. Sie haben vorhin von über 300.000 notwendigen zusätzlichen stationären Pflegeplätzen in den kommenden rund 15 Jahren gesprochen. Woher sollen die Fachkräfte dafür kommen?

Das ist tatsächlich ein Problem. Die gleiche Prognose geht von rund 500.000 zusätzlichen Pflegekräften aus. Aber da sind auch wir als Arbeitgeber in der Pflicht. Der Arbeitsmarkt ist jetzt eben so, dass der Arbeitnehmer viele Konditionen bestimmen kann. Wir müssen unser Angebot entsprechend attraktiv machen, von der Bezahlung bis zu den Arbeitsbedingungen. Viel wäre schon gewonnen, wenn es gelingt, die vorhandenen Pflegekräfte zu halten, denn es gibt eine große Abwanderung in andere Bereiche. Deswegen bekommen bei uns zum Beispiel nicht nur Neueinstellungen verbesserte Lohnangebote, sondern immer auch die Stammbelegschaft. Pflege braucht funktionierende Teams. Das funktioniert nicht, wenn die Löhne auseinanderdriften. Und schon vor über einem Jahrzehnt haben wir direkt zusammen mit den Pflegeeinrichtungen auch Kindergärten geplant und gebaut. Die werden genauso gebraucht. Die Kinderbetreuung ermöglicht vielen Pflegekräften außerdem, überhaupt weiterhin ihrer Arbeit nachzugehen.

Noch einmal zu den von ihnen beklagten schlechter werdenden Rahmenbedingungen für die Bauwirtschaft: Werden Sie deswegen Projekte fallen lassen oder verschieben? Sie haben ja zum Beispiel das Gelände von Rickmers Reismühle in der Überseestadt gekauft und planen dort bis zu 300 Wohnungen - auch für Senioren.

An dem Plan hat sich nichts geändert. Es geht um rund 30.000 Quadratmeter Wohnraum mit Schwerpunkt Seniorenwohnen, eher komfortabel mit Schwimmbad, Sauna und Wellnessbereich, ergänzt um Gastronomie, Gewerbe und tatsächlich wieder einer Kita. Aber auch 30 Prozent geförderter Wohnraum ist dabei, was nahezu 100 Sozialwohnungen entspricht. Alle übrigen angefangenen Planungen und Projekte treiben wir ebenfalls weiter ­voran. Wir sind aber aktuell etwas zurückhaltender geworden, was den Kauf weiterer Grundstücke betrifft. Da könnten wir täglich irgendwo etwas erwerben, aber das prüfen wir momentan noch sorgfältiger als ohnehin schon. Bauen ist ja das letzte große Abenteuer in dieser Welt.

Das Gespräch führte Timo Thalmann.

Zur Person

Rolf Specht (70) ist Inhaber der nach ihm benannten Unternehmensgruppe, die seit über 30 Jahren in ganz Deutschland Pflegeeinrichtungen baut und teilweise auch betreibt. Aber auch regulärer Wohnungsbau, Kindergärten, Schulen oder Spezialaufträge wie aktuell der Bau des Haven-Hospiz in Bremerhaven gehören zu seinem Portfolio. In Bremen gehören ihm außerdem so prominente Immobilien wie das Metropol-Theater und die Reha-Klink am Sendesaal, die er ebenfalls betreibt.

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