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Schließungen drohen Zwei Insolvenzen in Bremen: Was treibt Pflegeheime in die Pleite?

Insgesamt sind Insolvenzen von Pflegeheimen selten, in Bremen kam es nun dennoch zu zwei Fällen binnen kurzer Zeit. Lesen Sie hier, wie es am Kirchweg und bei Convivo dazu kommen konnte.
27.01.2023, 05:00 Uhr
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Zwei Insolvenzen in Bremen: Was treibt Pflegeheime in die Pleite?
Von Timo Thalmann

Die kurze Abfolge von zwei Insolvenzen von Pflegheimbetreibern in Bremen ist auffällig. Bislang sind Insolvenzen, die wie beim Haus am Kirchweg in der Neustadt zur Schließung führen, aber die Ausnahme: Seit 2019 wurden bundesweit jedes Jahr zwischen 100 und 140 Häuser aufgegeben. Und nicht alle diese Fälle beruhten auf einer Insolvenz. Bei mehr als 15.000 Pflegeheimen insgesamt entspricht das weniger als einem Prozent. Ähnlich sieht die Relation zwischen den dadurch verloren gegangenen Pflegeplätzen und der Gesamtzahl der Bewohner aus. Den konkret von einer Schließung Betroffenen hilft das indes wenig: Sie müssen – wie im Fall der Einrichtung am Kirchweg – umziehen.

Warum können Pflegeheime insolvent werden?

Kurz gesagt, weil 1995 zusammen mit der Einführung der Pflegeversicherung die Grundsatzentscheidung getroffen wurde, die Pflege für den Markt zu öffnen. Seitdem agieren die Anbieter nach dem Prinzip des freien Wettbewerbs, unabhängig davon, ob sie gemeinnützig oder gewinnorientiert arbeiten. Zu diesem Prinzip gehört das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und damit die Möglichkeit der Insolvenz.

Gelten Pflegeheime nicht als absolut sichere Unternehmung?

"Bis 1995 musste man sich tatsächlich anstrengen, um eine Pflegeeinrichtung gegen die Wand zu fahren", sagt der Bremer Arbeitsrechtler Bernhard Baumann-Czichon, der als Berater der Arbeitnehmerseite bereits mehrere Insolvenzen von Sozialunternehmen begleitet hat. Seit der Marktöffnung habe sich das gewandelt. Wenn es zu Problemen kommt, liege das nach seiner Einschätzung zumeist an schlecht geführten Pflegesatzverhandlungen der Einrichtungen. "Wer als Betreiber seine Forderungen dabei nicht gut genug belegen und durchsetzen kann, hat schnell ein Defizit."

Wie werden die Pflegesätze verhandelt?

Laut Baumann-Czichon müsse man sich das wie hart geführte Tarifverhandlungen vorstellen. Die Betreiber wollen möglichst hohe Pflegesätze durchsetzen, Pflegekassen und Sozialhilfeträger möglichst wenig Geld ausgeben. Die für jeweils zwölf Monate ausgehandelten monatlichen Beträge, die ein Betreiber pro Bewohner von den Kostenträgern erhält, sowie die ebenfalls von den Kassen zu genehmigenden individuellen Zuzahlungen der Bewohner für Pflege, Investitionskosten und Unterbringung sind die einzigen Einnahmen, die ein Pflegeheim zur Verfügung hat. Sie müssen darum unbedingt auskömmlich sein. "Große Pflegekonzerne haben spezialisierte Abteilungen dafür sowie eine Buchführung mit genauen Kennziffern für die wirtschaftliche Lage in jedem Einzelnen ihrer Häuser", weiß Baumann-Czichon.

Müssen die Pflegekassen die Kosten der Betreiber immer vollständig übernehmen?

Prinzipiell ja, dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. "Dafür müssen diese Kosten allerdings in einem üblichen Rahmen im Vergleich zu allen anderen Betreibern bleiben", sagt Baumann-Czichon. Das bedeutet, wer außergewöhnlich hohe Kosten geltend machen will, muss diese sehr gut belegen und begründen. "Damit tun sich kleinere Anbieter schon mal schwer, insbesondere wenn sie ihre Buchführung nicht im Griff haben". Dies sei wohl eine Ursache der Insolvenz des Pflegeheims am Kirchweg gewesen. Notwendig sei es aber auch, den üblichen Kostenrahmen überhaupt zu kennen, um innerhalb seiner Grenzen zu wirtschaften. "Das ist schwer, wenn man nur ein einzelnes Haus betreibt und sich als Betreiber in der Vergleichsregion nicht auskennt", benennt Baumann-Czichon einen weiteren Umstand der Kirchweg-Pleite.

Was ist mit den Kosten, wenn Plätze in den Heimen nicht belegt werden können?

Das ist das unternehmerische Risiko jedes Heimbetreibers. Die Kostenerstattung der Pflegekassen geht immer von einer Belegung von 90 bis 95 Prozent der Plätze aus. Bleiben Betten und Zimmer leer, fehlen den Betreibern darum fest einkalkulierte Einnahmen. Die Convivo-Gruppe hat eine zu geringe Auslastung von rund 70 Prozent als Hauptgrund für die Insolvenz genannt. Plätze konnten nicht angeboten werden, weil aufgrund eines Fachkräftemangels sowie eines hohen Krankenstandes die Beschäftigten fehlten, um die gesetzliche vorgeschriebenen Personalschlüssel zu erfüllen. "In Zeiten, in denen die Pflegekräfte sich im Grunde aussuchen können, wo sie arbeiten, ist die Attraktivität als Arbeitgeber ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg", kommentiert Baumann-Czichon.

Die Einnahmen der Pflegeheime werden für jeweils zwölf Monate im Voraus verhandelt. Was passiert, wenn in dieser Zeitspanne die Betriebskosten unerwartet steigen, wie aktuell durch die Energie- und Lebensmittelpreise?

Wenn Betreiber dadurch drohen, in eine wirtschaftliche Schieflage zu kommen, können sie jederzeit Nachverhandlungen einfordern. Das Gesetz sieht das vor bei "unvorhersehbaren wesentlichen Veränderungen der Annahmen, die der Vereinbarung der Pflegesätze zugrunde lagen". In der Praxis blocken die Kostenträger so ein Anliegen aber schon mal ab und wollen keine wesentliche Veränderung anerkennen. Bei den Energiepreisen verweisen sie zum Beispiel darauf, dass sie in der Gesamtkalkulation eines Pflegeheims in der Regel weniger als zehn Prozent der Kosten ausmachen. "Dann sind die Betreiber gefragt, auch mal die zuständigen Schiedsstellen zu bemühen oder notfalls gegen die Pflegekassen zu klagen", sagt Baumann-Czichon. Allerdings gebe es dabei gewisse "Beißhemmungen", weil man als Pflegeheim letztlich auf konstruktive Beziehungen zur Pflegekasse angewiesen sei.

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