Ein Leser des WESER-KURIER wollte wissen, warum ein zusätzlicher Fahrradweg am Wall gebaut werde, obwohl es schon einen gebe. Eine Frage, die das Publikum im Festsaal der Bürgerschaft mit reichlich Beifall bedachte. Als Mobilitätssenatorin Maike Schaefer antwortete, die neue Strecke werde gut angenommen, sie sehe "ziemlich viele Radler" am Wall, musste sich die grüne Spitzenkandidatin spontanes Gelächter gefallen lassen. Allerdings konterte sie auch, als das Publikum geringschätzige Bemerkungen über die "Surfwelle" in der Martinistraße mit Applaus quittierte. "Bei denen, die klatschen, sehe ich nicht so viele 20-Jährige", lautete ihr Kommentar.
Nicht nur Maike Schaefer bekam beim Duell der Spitzenkandidaten gelegentlich den Unmut des Wahlvolks zu spüren. Auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) hatte beim Wahltalk des WESER-KURIER am Sonntag nicht immer einen leichten Stand. Gegenwind spürte einmal auch CDU-Spitzenkandidat Frank Imhoff. Weil er eine Koalition mit Rechtspopulisten und Linken kategorisch ausschloss, handelte er sich den Tadel einer Zuhörerin ein, die nach eigenem Bekunden kurz davor steht, erstmals in ihrem Leben die CDU zu wählen. Mit seiner pauschalen Aussage zu den Linken habe er sich ihre Sympathien wieder ein bisschen verscherzt, lautete ihr Rüffel.
Spitzenkandidaten tun sich schwer mit Aussagen zu Regierungskonstellationen
Das Interesse am WK-Talk einen Monat vor der Bürgerschaftswahl war groß, knapp 200 Menschen fanden sich im Haus der Bürgerschaft ein. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Leiterin des Lokalressorts, Maren Beneke, und Jürgen Theiner, zuständig für Kommunal- und Landespolitik. Die Debatte beschränkte sich auf drei Blöcke, die großes Leserinteresse hervorrufen: innere Sicherheit, Innenstadt und Verkehr sowie Bildung. Mehr als eine Stunde kreuzten die Spitzenkandidaten verbal ihre Klingen. Neben Bovenschulte, Schaefer und Imhoff waren auch Kristina Vogt (Linke) und Thore Schäck (FDP) gefragt. Zum Abschluss nahmen die Politiker zu Leserfragen Stellung und beantworteten Fragen aus dem Publikum.
Schwer taten sich die Kandidaten mit Aussagen zu möglichen Regierungskonstellationen nach der Wahl am 14. Mai. Bovenschulte, Vogt und Schaefer attestieren der bisherigen rot-grün-roten Koalition gute Arbeit. Zur Möglichkeit einer Großen Koalition wollten sich die SPD- und CDU-Kandidaten nicht ausdrücklich äußern.. Bovenschulte wandte sich "gegen jede Ausschlusseritis", sogar die FDP könne mit einem Gesprächsangebot rechnen. Deren Frontmann Schäck hält ein Bündnis mit den Grünen für "nur schwer vorstellbar", umgekehrt fremdeln auch die Grünen mit der FDP.
Der gesamte WESER-KURIER-Talk im Video:
Breiten Raum nahm das Thema Innenstadt in der Diskussion ein, dabei spielte die noch immer ungeklärte Zukunft des Karstadt-Standorts eine bedeutende Rolle. Wie berichtet, steht die Bremer Filiale auf der Streichliste, das letzte Worte ist aber womöglich noch nicht gesprochen. Zuletzt habe der Eigentümer der Immobilie, Kurt Zech, "vor zwei Abenden" angerufen, sagte Wirtschaftssenatorin Vogt. Er halte sie über seine Gespräche mit dem Eigner der Warenhauskette, René Benko, auf dem Laufenden. Als "Immobilienfürst" sei Benko für Zech zwar "kein toller Verhandlungspartner". Die Hoffnung will Kristina Vogt aber nicht fahren lassen: "Ich bin immer noch zuversichtlich."
Etwas hitziger ging es zur Sache, als Schäck und Imhoff den Zustand der Innenstadt kritisierten. Schäck sprach von "Tralala-Projekten" in der Martinistraße – er sei froh, dass sie wieder weg seien. Von den investierten Millionen in der Innenstadt könne er nicht so richtig viel sehen. Sogwirkung vermag Schäck bislang nicht auszumachen. "Wir brauchen große Marken, für die die Leute in die Innenstadt kommen."
Imhoff nahm den Ball auf. Das Argument von Bovenschulte, die Zahl der Besucher habe dank wirksamer Belebungsmaßnahmen wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht, wollte er nicht gelten lassen. "Die Frequenzzahlen können stimmen, aber die Verkaufszahlen tun es nicht."
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Für Schaefer geht es indessen um mehr: "Keiner geht noch wegen einer Drogerie oder eines Klamottengeschäfts in die Stadt." Nicht zuletzt durch den Online-Handel habe sich das Kaufverhalten massiv verändert, deshalb müsse sich auch die Innenstadt verändern. Die Bausenatorin will nach eigener Angabe den Transformationsprozess vorantreiben und die Stadt für junge Menschen attraktiv machen. Für die gebe es zu wenig Angebote im Stadtkern, daher die Idee der "Surfwelle". Zudem soll die Innenstadt wieder stärker bewohnt werden, daran arbeite man. Flankiert werden Schaefers Ansätze von Kristina Vogt, die als Ziel für die nächste Legislaturperiode ausgab, zentrale Immobilien in der Innenstadt in den Besitz der Stadt zu bringen. "Wir müssen die Verfügungsgewalt über diese Immobilien haben, sie aber nicht unbedingt selbst betreiben", so Vogt.
Nicht jeder mag noch an Besserung glauben. Ein Mann aus dem Publikum, der seit neun Jahren in der Innenstadt lebt und arbeitet, fühlt sich nach eigenen Worten von der Politik "geschulmeistert". Was habe sich wirklich geändert, wollte er wissen. Den großen Plan könne er nicht erkennen: "Es ist doch alles immer nur Klein-Klein."
Dass nicht alles optimal verlaufen sei, räumte Schaefer ein, sie verwies auf drei Jahre Pandemie und ein Jahr Energiekrise. Die Senatorin verteidigte ihren Ansatz, die Straße Am Wall um eine Fahrspur zu reduzieren und dem Fahrradverkehr als Teil der Premiumroute zu überlassen. Dahinter stecke nicht nur eine andere Verkehrspolitik. "Wir wollen auch den Wall aufwerten und einen Wall-Boulevard hinbekommen."
In puncto Sicherheit kann Bovenschulte keine Defizite in der Regierungsarbeit feststellen. Im Gegenteil, noch nie seien so viele Polizisten eingestellt worden wie gerade jetzt. Den Vorwurf Imhoffs, die Koalition sei die Zielzahl von 3000 Stellen schuldig geblieben, konterte er mit dem Hinweis auf den Personalabbau unter dem früheren Innensenator Thomas Röwekamp (CDU), der in der Großen Koalition bis 2007 im Amt war. "Wir hatten Schwierigkeiten, die Röwekamp-Delle auszugleichen." Nun habe man mit einer schlechten Bewerbungslage zu kämpfen. Zur Sprache kam auch die Forderung nach mehr Videoüberwachung. Was in Straßenbahnen schon gemacht wird, soll künftig auch an bestimmten Haltestellen praktiziert werden. "Das werden wir in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen", sagte Bovenschulte.
Beim Thema Bildung gab es einen breiten Konsens für ein verpflichtendes letztes Kita-Jahr, um insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund besser zu fördern. "Das setzt aber voraus, dass überhaupt genügend Kitaplätze vorhanden sind", merkte Schäck an. Aus seiner Sicht könnte die Situation weniger dramatisch sein, wenn man privaten Kita-Betreibern nicht ständig Steine in den Weg lege.
Frank Imhoff plädierte außerdem für Ziffernnoten ab Klasse 3 und dafür, das Sitzenbleiben wieder einzuführen. Der Leistungsgedanke müsse wieder stärker zur Geltung kommen. Darin ist er sich mit den Liberalen einig. "Geschriebene Zeugnisse sind selbst für Muttersprachler oft nur schwer verständlich", sagte Schäck. "Noten sind noch immer das Fairste, was es gibt."

"Ich fühle mich am ehesten von CDU und FDP angesprochen. Vorher habe ich nicht gewusst, wen ich wählen soll", sagte Paula Sieveking (16) nach der Veranstaltung.

"Ich bin klar für die SPD. Mit seinen resoluten Antworten hat sich Bovenschulte als der kompetenteste Politiker gezeigt", sagte Zuschauerin Ute Carmen Lausen (54) nach dem Talk.

"Die Veranstaltung hat mir sehr gut gefallen. Ich bin mir jetzt viel klarer darüber, wen ich wählen will", bilanzierte Andrea Sieling (63).

"Der Wahltalk war eine sehr informative Veranstaltung. Etwas überrascht war ich von der Selbstwahrnehmung der Koalitionsparteien", meinte Frank Meier (61) hinterher.

Henrike Adebahr (40) sagte nach dem Talk: "Ich hätte mir eine klare Aussage von Kristina Vogt zur jetzigen Koalition gewünscht."