An der Fensterfront von Mohammed Abnussis Orientteppich-Handelsgeschäft an der Contrescarpe prangen gut sichtbar Aufkleber mit dem Konterfei der iranischen Protestbewegung. Die iranische Fahne mit dem Protestslogan: "Women, Life, Freedom" – "Frauen, Leben, Freiheit". "Hier kommen jeden Tag Leute vorbei und beglückwünschen mich", erzählt der aus Teheran stammende Wahl-Bremer, der seit 53 Jahren in der Hansestadt lebt.
Mit großer Sorge verfolgen er und seine Landsleute die Entwicklungen im Iran. In seinem Heimatland werde die Protest-Bewegung, die existiere, seitdem die junge Kurdin Mahsa Amini Mitte September in Polizeigewahrsam einen gewaltsamen Tod starb, inzwischen auch von libanesischen und syrischen Milizen brutal niedergeschlagen, erzählt Abnussi. "Die sind skrupellos und schießen sogar auf Kinder", hat er aus dem Iran gehört. Umso bitterer nötig seien Solidaritätsbekundungen aus dem Westen, betont er. Wie die Aktion prominenter Schauspielerinnen, die sich vor laufender Kamera die Haare abschnitten. Gänsehaut bekomme er auch, wenn er Sänger wie Nico Santos die iranische Protest-Ballade "Baraye" auf Persisch singen höre.
Wie wichtig die internationalen Solidaritätsbekundungen sind, betonen auch die in Bremen aufgewachsene Diplom-Ökonomin und Rechtsanwältin Mitra Razavi und Madjid Mohit, der 1996 den Bremer Sujet-Verlag gründete. Beide haben am Wochenende an der friedlichen Demonstration in Berlin teilgenommen, auf der sich an die 100.000 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, darunter viele Bremer, mit der Protestbewegung im Iran solidarisierten. "Das war großartig", sagt Mohit, der als Sohn einer iranischen Verlegerfamilie 1990 als politischer Flüchtling nach Bremen kam. "Der Westen ist jetzt endlich aufgewacht", sagt Mohammed Abnussi. Wie viele iranische Intellektuelle moniert er allerdings auch, dass die Sanktionen, die die EU auf den Weg gebracht habe, immer noch nicht umfassend genug seien. Das sehen seine Landsleute genauso: "Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und dem Iran sollten begrenzt werden", findet Mohit.
Mitra Razavi betont, dass das totalitäre Regime gegen das Völkerrecht verstoße. Es gebe keine Sicherheit und keinen staatsrechtlichen Schutz. Die ehemalige stellvertretende Richterin am Staatsgerichtshof pocht auf die Artikel 41 und 42 im Kapitel VII der UN-Charta: "Wirtschaftliche Sanktionen, die zudem noch verspätet und zu zögerlich beschlossen wurden, haben das islamische Regime nicht vor weiteren Ermordungen von Kindern unter 17 Jahren, Verschleppungen und Vergewaltigungen von Frauen, Inhaftierungen von Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Ärzten, Studentinnen und Schülerinnen abgehalten. Jeden Tag wird es schlimmer." Die Juristin plädiert für eine schärfere Intervention der UN, um die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden. Weshalb Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nicht dafür eintrete, sei ihr schleierhaft. Keinerlei Verständnis hat die Juristin zudem dafür, dass sich Baerbock sowie EU-Institutionen von dem Chomeini-Enkel und selbst ernannten Islam-Experten Adnan Tabatabai beraten lasse, der die Revolution im Iran kleinrede. Jüngst titelte das Magazin "Focus": "Baerbock-Berater pflegt enge Kontakte zum Mullah-Regime".
Wie Abnussi plädiert auch Razavi dafür, dass das Geld, das die Verwandtschaft der iranischen Regierungsriege auf Konten in westlichen Ländern geschafft habe, eingefroren werden müsse. Razavi geht noch weiter: Die Kinder der Mullahs müssten aus westlichen Ländern ausgewiesen werden, das eingefrorene Geld müsse dem iranischen Volk zur Verfügung gestellt werden. "Die Konten hätten schon längst eingefroren werden müssen. Denn das ist Blutgeld aus dem Iran", betont Abnussi.
Eines sei allen Iranerinnen und Iranern klar, die sich im Exil für die Sache ihrer Landsleute einsetzten: "Sollte die Revolution scheitern, dann sind auch wir bedroht". Rund 6.000 Exil-Iranerinnen und -Iraner leben in Bremen und umzu. Aber Abnussi sagt auch: "Ich habe keine Angst mehr, ich möchte für die Freiheit der jungen Menschen eintreten, die das Leben noch vor sich haben". Denn er hoffe darauf, dass seine Kinder eines Tages in den Iran zurückkehren können, um dort in Frieden und Freiheit zu leben.
Wie realistisch ist es, dass die Revolution erfolgreich ist und das Regime dieses Mal stürzt? Abnussi sieht durchaus eine gute Chance: "Denn es ist zu 90 Prozent die Jugend, die auf die Straße geht". Selbst wenn das Internet immer wieder lahmgelegt werde. Der Protest, der von mutigen Frauen initiiert wurde, habe inzwischen breite Bevölkerungsschichten erfasst. Das sieht Madjid Mohit ähnlich: "Die jungen Menschen haben nicht viel zu verlieren. Sie sehen für sich keine Zukunft mehr. Daher kommt die außergewöhnliche Kraft dieser Protestbewegung".
Klar sei, dass eine große Veränderung passieren müsse. So könne es jedenfalls nicht weitergehen. Mohits Bedenken, dass es bislang keine koordinierte Opposition im Land gebe, setzt Razavi entgegen: "Das Volk will das islamische Regime nicht mehr. Sobald es gestürzt ist, werden die Menschen sehr wohl in der Lage sein, politische Parteien zu bilden. Immerhin besteht unsere Bevölkerung zu 70 Prozent aus Akademikern". Dann sei es Sache des Westens, die junge Demokratie zu stützen.
Und Razavi wagt noch eine Prognose: Sollte die Revolution erfolgreich sein, dann bestehe eine realistische Chance, dass die Konfliktherde, die den Nahen Osten schüttelten und die vom Iran aus noch angeheizt worden seien, befriedet werden könnten. "Die Iranerinnen leiden seit 43 Jahren unter dem diktatorischen Regime, sie wollen im 21. Jahrhundert in einer globalisierten Welt gleiche Rechte", fasst Abnussi zusammen. Razavi resümiert: "Die Menschen werden nicht mehr von der Straße heruntergehen, obwohl die Situation sehr gefährlich ist. Dafür sind zu viele Kinder umgebracht worden. Können Sie sich vorstellen, dass dieses Regime, das seit 43 Jahren mit Angst und Furcht dieses Land regiert, Angst vor Kindern hat?"