Die Brutalität der Tat hat viele Menschen verstört: Nun erhärtet sich der Verdacht gegen die mutmaßlichen Täter, die den Tod des 15-jährigen Odai K. verschuldet haben sollen.
Der Tatverdacht gegen zwei Männer aus Lüssum, die in der Silvesternacht den 15-jährigen Odai K. totgeprügelt haben sollen, scheint sich zu erhärten. Das Amtsgericht Bremen hat am Mittwoch Untersuchungshaft gegen die 35 beziehungsweise 24 Jahre alten türkischen Staatsangehörigen mit kurdischem Hintergrund erlassen, die in der Nacht zu Dienstag von der Polizei in der Lüssumer Heide festgenommen worden waren.
Den Männern wird vorgeworfen, als Teil einer größeren Gruppe den Flüchtlingsjungen bei einer körperlichen Auseinandersetzung so schwer misshandelt zu haben, dass er eine Woche später starb.
Verstörende Tat
Bis zu sechs weitere Personen sollen beteiligt gewesen zu sein. Die unglaubliche Rohheit der Tat verstört nicht nur viele Menschen im Lüssumer Quartier, sondern auch professionelle Akteure der Sozialarbeit in Bremen-Nord wie Heinz Dargel, den Geschäftsführer der Caritas. Seine Streetworker sind seit Jahren im Auftrag der Stadt in sozialen Brennpunkten wie Lüssum oder der Grohner Dühne unterwegs.
Im von der Caritas betriebenen Lüssumer „Freizi“ war Odai K. häufig zu Gast. Nach seinem gewaltsamen Tod sei dort auffällig wenig los. Viele Jugendliche empfänden angesichts der schrecklichen Geschehnisse „Scham und Angstgefühle“, glaubt Dargel.
Von den mutmaßlichen, erwachsenen Tätern kann sich der Caritas-Geschäftsführer ein Bild machen, wenn auch nur ein abstraktes. „Das sind Leute, die selbst Gewalterfahrungen gemacht und dieses Verhaltensmuster übernommen haben“, sagt Dargel.
Verhalten wird "nicht wirklich sanktioniert"
Wer solchen Leuten, zumal wenn sie in Gruppen auftreten, zur falschen Zeit am falschen Ort begegne, der könne in höchste Gefahr geraten. Kritisch sieht Dargel die Rolle der Justiz. Selbst wiederholtes gewalttätiges Verhalten mancher Heranwachsender und junger Männer werde in Bremen „nicht wirklich sanktioniert“.
Als Beispiel für seine These nennt er einen Jugendlichen, der im vergangenen Jahr einen Getränkemarkt in Blumenthal überfiel und mit seinem Tun später sogar in einem gewaltverherrlichenden Rap auf dem Videoportal „Youtube“ prahlte. „Der ist dann nur für wenige Monate endlich mal in den Knast eingefahren“, so Dargel.
Besonderen Eindruck habe das auf den jungen Mann allerdings nicht gemacht. Das sei kein Einzelfall, und vor diesem Hintergrund hätten auch die Träger der professionellen Sozialarbeit Anlass zu selbstkritischer Reflexion. „Die Frage ist schon berechtigt, ob wir mit unserer Kuschelpädagogik immer auf der richtigen Linie lagen.“
„Rechtsstaat muss antworten“
Blumenthals Ortsamtsleiter Peter Nowack geht davon aus, dass sich viele junge Straftäter und gewaltorientierte Gang-Mitglieder mit den Instrumenten quartiersbezogener Sozialarbeit „nicht mehr erreichen lassen, ja dass sie gar nicht erreicht werden wollen“. Deshalb müsse an diese Zielgruppe ein anderes Signal ausgesendet werden – dass nämlich Untaten wie die Tötung des 15-jährigen Flüchtlingsjungen vom Rechtsstaat mit aller Härte beantwortet werden.
Den Ortsamtsleiter haben die von Odais Vater überlieferten Worte nach eigener Aussage „ins Mark getroffen“. Wie der WESER-KURIER berichtete, wünschte sich das verzweifelte Familienoberhaupt nach dem Tod seines Sohnes, lieber in Syrien mit seiner Familie gestorben zu sein. „Dieser Flüchtlingsfamilie hatte unser Staat eigentlich Schutz versprochen“, hadert Nowack mit den Ereignissen der Silvesternacht.
Aus seiner Sicht hat die Bremer Justiz zu lange Nachsicht walten lassen mit gewalttätigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, „die ein Vorstrafenregister bis zum Mond haben. Das hat eher dazu geführt, dass es noch schlimmer geworden ist“. Von der Art und Weise, wie die Justiz auf den „gemeinschaftlichen Mord“ an Odai K. antwortet, hänge deshalb viel ab.
Heubrock: "Die sind frustriert"
Für den Rechtspsychologen Dietmar Heubrock von der Universität Bremen sind die mutmaßlichen Totschläger aus Lüssum „im Grunde Loser in unserer Gesellschaft“, also Verlierer, denen dies auch bewusst sei. „Die blasen sich auf mit dicken Autos und Fake-Rolex-Uhren, wissen aber im Grunde, dass sie keine Anerkennung erfahren. Die sind frustriert“, so Heubrock.
Wenn sich solche Menschen in einer konkreten Situation „angemacht“ fühlen, wie dies möglicherweise in der Begegnung mit dem syrischen Flüchtlingsjungen der Fall war, „dann bricht der ganze Frust aus ihnen heraus“. Es komme zu Gewalteruptionen, die keine Grenze kennen. Dieses gesellschaftliche Phänomen sei im Übrigen längst nicht mehr auf soziale Brennpunkte wie Lüssum beschränkt, sondern flächendeckend.
„Das wabert sogar in den ländlichen Raum“, sagt Heubrock, der im Landkreis Oldenburg wohnt. In einer Nachbargemeinde seines Wohnortes hätten sich erst vor wenigen Wochen Gewaltexzesse im Umfeld eines Jugendfreizeitheims ereignet, die von der Qualität her dem Vorfall in Lüssum durchaus ähnelten.