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Bremer Studie untersucht 145 Verfahren Sexualdelikte: Ehepartner nur selten Täter

Die Wohnung des Beschuldigten oder des Opfers war in mehr als 50 Prozent der Fälle Tatort; in einem Viertel der Fälle kannten sich Täter und Opfer nicht. Eine Bremer Studie hat 145 Sexualdelikte untersucht.
09.02.2016, 00:00 Uhr
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Sexualdelikte: Ehepartner nur selten Täter
Von Ralf Michel

Die Wohnung des Beschuldigten oder des Opfers war in mehr als 50 Prozent der Fälle Tatort; in einem Viertel der Fälle kannten sich Täter und Opfer nicht. Eine Bremer Studie hat 145 Sexualdelikte aus dem Jahr 2012 untersucht.

Der Opferschutz ist bei der Bearbeitung von Straftaten verpflichtend, so will es eine „Bremer Modell“ genannte Vereinbarung. Auf die Verurteilungsquote scheint dies wenig Auswirkungen zu haben: Das Risiko eines Täters in Bremen, nach einem angezeigten Sexualdelikt von einem Gericht verurteilt zu werden, liegt bei unter vier Prozent. So lautet das Ergebnis einer aktuellen Studie. Die Autoren hatten anhand von 145 entsprechenden Verfahren im Jahr 2012 die Gründe dafür analysiert, warum es kaum Anklagen und Verurteilungen gab.

Die Studie wurde 2014 von der Innen- und von der Justizbehörde in Auftrag gegeben. Ausgangspunkt dafür war unter anderem die Beobachtung, dass die Zahl der Verfahren, die bei Sexualstraftaten zu einer Anklage vor Gericht führten, auch in Bremen immer weiter sank. Ende der 1970er-Jahre führten noch 37,4 Prozent der angezeigten Fälle zur Anklage und zur Hauptverhandlung vor Gericht. Von den 145 Fällen des Jahres 2012 hat die Staatsanwaltschaft dagegen 120 eingestellt und nur 25 führten zu einer Anklage, heißt es im Abschlussbericht des mit der Studie beauftragten Instituts für Polizei- und Sicherheitsforschung (IPOS). Vor Gericht zugelassen wurden letztlich 16 Fälle. Dort wurden weitere drei eingestellt. Sechs Beschuldigte wurden freigesprochen, sieben verurteilt.

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Für die Studie hat das bei der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen angesiedelte IPOS-Institut die Daten zu 94 Verfahren, 95 Opfern und 107 Beschuldigten ausgewertet. Der Abschlussbericht enthält neben einer Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität der Ermittlungen (siehe Artikel Seite 1) umfangreiche statistische Analysen sowie Aussagen zu der Frage, ob das „Bremer Modell“ nach wie vor wie zur Anwendung kommt.

Dem Opfer fremd: Etwa ein Viertel

Mehr als drei Viertel der Opfer waren zwischen 14 und 30 Jahre alt. Bei den Beschuldigten umfasst diese Altersspanne gut 50 Prozent, ein weiteres Viertel war zwischen 31 und 40 Jahre alt. 79 Opfer und 67 Beschuldigte waren deutsche Staatsbürger, jeweils fünf stammten aus anderen EU-Ländern, neun Opfer und 29 Beschuldigte hatten die Staatsbürgerschaft eines Nicht-EU-Landes.

Zur Frage des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Opfern und Tatverdächtigen kommt die Studie zum Ergebnis, dass in 84 Prozent der Fälle keine Ehe, Verwandtschaft oder Vormundschaft vorlag. Auf Ehepartner entfielen 6,6 Prozent der Fälle. In über 26 Prozent handelte es sich bei den Beschuldigten um Fremde, die das Opfer erst am Tattag kennengelernt hatte. In gut 21 Prozent der Fälle bestand vor der Tat eine Liebesbeziehung, in gleicher Größenordnung liegt der Anteil der „lockeren persönlichen Bekanntschaft“. Eine intime Beziehung zwischen Opfern und Beschuldigten hatte es in fast 70 Prozent der Fälle nicht gegeben. In weiteren 16 Prozent gab es diese Beziehung, die aber schon beendet worden war.

Wenig Angaben zu Folgeschäden

In mehr als der Hälfte der Fälle war der Tatort entweder die Wohnung des Beschuldigten (37 Prozent) oder des Opfers (18 Prozent). In gut einem Drittel der Fälle ging der Tat laut Opfer eine gemeinsame Aktivität wie etwa der Besuch einer Diskothek oder eines Kinos voraus.

In 59 Prozent der Fälle hat das Opfer während der Tat mit verbaler Ablehnung, Schreien und Hilferufen reagiert, in 40 Prozent versuchte es zu fliehen, und in 36 Prozent der Fälle reagierte es mit körperlicher Gegenwehr. „In immerhin 30,5 Prozent der Fälle war eine Gegenreaktion laut Aussage des Opfers nicht möglich“, heißt es in der Studie.

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Angaben zu den Folgen der Sexualstraftat für das Opfer ließen sich laut IPOS-Institut nicht umfassend wiedergeben. Hierzu habe es häufig keinen Vermerk gegeben. In gut 40 Prozent der Fälle wurde ein physischer Schaden vermerkt. Ausdrückliche Hinweise auf psychische Schäden wie Angst, Depression, Suizidgedanken oder Schlafstörungen wurden bei 22 Prozent gefunden. „In 68 Prozent der Fälle gibt es hierzu keine Information in der Akte.“

Schlüssige Aussage des Opfers fehlt oft zur Anklage

Der Vorgabe des „Bremer Modells“, dass das Sonderdezernat der Polizei für Sexualstraftaten, das K32, mit seinen speziell geschulten Polizistinnen und Polizisten sehr schnell einbezogen werden soll, wurde laut IPOS im Gros der Fälle erfüllt. Allerdings seien auch die Schutzpolizei und der Kriminaldauerdienst (KDD) entgegen dem Modell in wesentlichem Umfang an der Vernehmung der Opfer beteiligt. Die Beteiligung des KDD erklärt sich dabei aus einem simplen Umstand: Das K32 ist nachts und an Wochenenden nicht besetzt.

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Wie entscheidend gerade die Vernehmung des Opfers und die sorgfältige Protokollierung seiner Aussagen ist, verdeutlicht die Studie mit einer weiteren Statistik. In der weitaus überwiegenden Anzahl der eingestellten Verfahren fehlte der Staatsanwaltschaft eine schlüssige und überzeugende Aussage des Opfers. Die Äußerungen seien unschlüssig, lückenhaft und würden sich widersprechen, so die Anklagebehörde.

In diesem Zusammenhang verweist die Studie auf ein weiteres Manko im Verfahrensablauf: „Von den 95 Opfern im Jahr 2012 nahmen sich nur 27 einen rechtlichen Beistand.“ Vor dem Hintergrund, dass sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft und Gericht die Bedeutung von Opferanwälten und Hilfseinrichtungen unterstrichen hätten, erscheine das Merkblatt, das den Opfern ausgehändigt wird, als „deutlich überarbeitungswürdig“.

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