Der Kinosaal 8 im Cinespace verfügt über 234 Plätze. Nicht alle waren besetzt, aber fast alle. Und alle Besucher erhoben sich von ihren Plätzen, als der Film vorbei war. Applaus, wem Applaus gebührt. Die Standing-Ovation-Minute gebührte und gehörte ganz allein dem Mann in der mittleren Reihe. Dort stand, an der Seite seiner Mutter und zu Tränen gerührt, Savas Coban. Der Held des Films, ein Bremer Junge, 31 Jahre alt. Der Junge aus Blockdiek, der sich seine Heldentat und diesen Film darüber so sehr erträumt hat, und der an diesem Abend gemeinsam mit "ravir-film" aus Dresden zur Kinopremiere von "Trail der Träume" geladen hat.
Diese Filmpremiere wurde, das darf ohne Übertreibung behauptet werden, ein emotional sehr dichter Abend. Für Savas Cobans Mama und seine Familie, für die Filmcrew – und mit Sicherheit auch für so manchen Zuschauer. Für Savas Coban sowieso, der vorm Filmstart vom "schönsten Tag meines Lebens" sprach, und nach Filmende davon, dass er die stehenden Ovationen niemals vergessen werde. Die besondere emotionale Wucht hatte dieser Abend gleich mehreren Umständen zu verdanken: der Biografie des Protagonisten, seiner unfassbaren Willensleistung sowie der Echtheit der Bilder und der Gefühle, die sie erzeugten.
Vor einem Jahr waren diese Bilder entstanden. Savas Coban war 87 Tage lang durch Peru gerannt, im Schnitt fast 60 Kilometer pro Tag. Ein Weltrekord. Er hatte, nun ja: seine Siebensachen dabei, die er in seinem Rucksack mitschleppen musste. Er durchquerte alle Klimazonen, manchmal zwei an einem Tag, er musste bis auf mehr als 5000 Meter Höhe hinauf und wieder hinunter. Gesamtsumme der Höhenmeter: 230.000. Er hungerte oft, er fror erbärmlich oder bekam Blasen auf der Haut vom Sonnenbrand. Er lief durch gefährliche Gegenden, wurde von Straßenbarrikaden Aufständischer aufgehalten, von räudigen Hunden, plötzlichem Schneetreiben – oder halberstarrten Muskeln. Doch er gab nie auf, und nach drei Monaten und 5000 Kilometern war er tatsächlich wieder am Start und Ziel, auf dem Plaza de Armas von Lima.
Das alles wusste man vor dieser Filmpremiere, es ist in den vergangenen Monaten viel geschrieben und gesendet worden über dieses verrückte Projekt eines verrückten Bremer Jungen. Aber erst diese Bilder, zusammengeschnitten von den Regisseurinnen Dorit Jessner und Steffi Rostoski, machten diese Verrücktheit spür- und begreifbar. Fast Anderthalb Stunden lang ist das Publikum ganz nah dran an Coban. Leidet mit ihm, wenn er vor Kraftlosigkeit und Kälte fast taumelt. Lacht mit ihm, wenn ihn in Deutschland ein Freund fragt, ob er als gläubiger Moslem und Vegetarier in der größten Not auch Schwein essen würde. Oder wenn ihn in Peru ein Dorfkoch bewundert. Ihm sagt, dass man für so ein Wahnsinnsabenteuer in seinem Inneren definitiv eine Maschine brauche, "und du, du hast diese Maschine!"
Savas Coban, das darf man sich spätestens nach Ansicht des Films vorstellen, ist so etwas wie eine fleischgewordene Motivationsmaschine. Motto: Ich schaffe das. "Ich habe es geschafft", waren seine ersten Worte auf dem Plaza de Armas. Aufgewachsen ist er in bescheidenen Verhältnissen in Bremen-Blockdiek. Die Mutter, einst aus der Türkei nach Deutschland gekommen, zog ihn und seine beiden Geschwister im Alleingang groß. Morgens zwischen drei und halb vier klingelt seit 14 Jahren ihr Wecker, erzählt sie, dann fahre sie zur Arbeit im DRK-Krankenhaus. Sie erzählt, dass ihr Sohn schon immer einer war, der "immer in Bewegung", sein musste. Und der erzählt, dass er eigentlich nichts hatte außer diesem Traum: ein Projekt der Extreme durchzuziehen – und von seiner Verbreitung leben zu können. Viele seien es nicht gewesen, die an ihn glaubten, gibt er zu. Oft habe er selbst gezweifelt, gibt er ebenfalls zu. Dieses Lebe-deinen-Traum-Ding-war am Ende aller Zweifel aber der Sieger. Savas Coban wurde, wenigstens ein bisschen, wie Filmheld Rocky Balboa. Er besiegte Skepsis und Aussichtslosigkeit.
An einer Stelle im Film reflektiert er, dieses Peru-Projekt sei letztlich "wie eine Therapie" für ihn. Auch das wäre etwas zum Greifen fürs Publikum: Wohl kaum einer im Saal wird beim Zuschauen gedacht haben: Oh ja, ich mache jetzt auch mal drei Monate lang täglich einen Ultramarathon auf überschaubar komfortablen Wegen. Aber so mancher könnte gedacht haben: Dieser Savas Coban hat sich etwas vorgenommen und umgesetzt, das ihn an sein Limit bringt, er hat sich selbst kennengelernt – und hat sich verändert dadurch. Er sei jetzt deutlich ruhiger und gelassener geworden, sagt Coban. Was nicht zu verwechseln wäre mit einem Nie-wieder-Gefühl. Dass ihm nach seinem peruanischen Höllenritt mit Happy End die Lust auf neue Projekte und Abenteuer vergangen ist, hat Savas Coban klar dementiert.