Robert Förstemann hat Bremen nicht vergessen. Er wird die Stadt vermutlich auch nie vergessen, denn auf dem 166 Meter kurzen Holzoval in der ÖVB-Arena hat der 33-jährige Radsport-Sprintstar im vergangenen Januar seinen schwersten Sturz erlebt. Präziser gesagt: Er hat den Sturz überlebt. „Ich habe Riesenglück gehabt“, sagt Förstemann mit einem Abstand von neun Monaten zu seinem Unfall. Und er bedankt sich noch einmal ausdrücklich bei den Ärzten des Klinikums Mitte und allen, die ihn so schnell wieder haben auf die Beine kommen lassen.
Mit Brüchen der ersten und zweiten Rippe, des Schlüsselbeins sowie des Schulterblatts, mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einem sogenannten Pneumothorax, der die Atmung des Verletzten schwer beeinträchtigen kann, war Förstemann am 12. Januar dieses Jahres ins Krankenhaus gebracht worden. Einen Tag zuvor hatte er mit 8,695 Sekunden noch einen neuen Bahnrekord aufgestellt. Der Mann mit den Riesenoberschenkeln – die Angaben über den Umfang schwanken zwischen 72 und 74 Zentimetern – hatte keine Chance, den Sturz zu verhindern. Bei Tempo 70 war ihm genau hinter dem Scheitelpunkt der Kurve, also an der Stelle, wo die größten Kräfte aufs Rad einwirken, ein Reifen geplatzt. Das bedeutete innerhalb eines Sekundenbruchteils Druckverlust von 15 Bar auf Null. „Bei 70 Stundenkilometern zieht es dir so das Rad unter dem Hintern weg“, sagt der Sportler, der an den Unfall selbst keine Erinnerung mehr hat.
Am Dienstag nach dem Sturz, am Finaltag der 55. Bremer Sixdays, saß Förstemann schon wieder in der Halle – auch deshalb, weil ihm die Ärzte dazu geraten hatten. Das Publikum feierte den Sprintstar, dessen Gesicht gezeichnet war von einer langen Rutschpartie über die Bahn. An diesem dritten Oktober-Dienstag, an dem der 33-Jährige während der Pressekonferenz über die 56. Sixdays seine Rückkehr für den 9. Januar 2020 ankündigt, lobt er ausdrücklich auch noch einmal die Bremer Bahnbauer. Es spreche, so der Sprinter, für die Qualität des Ovals, dass er ohne Holzsplitter im Gesicht davongekommen sei.
Trotzdem habe er mit der Bahn noch eine Rechnung offen. Und die möchte er Anfang 2020 begleichen. Obwohl er nur zweieinhalb Tage als Aktiver und einen kurzen Abend als Zuschauer seine ersten Bremer Sixdays erlebt hat, hat er sie irgendwie auch genossen. „Das Publikum war toll“, sagt er, „ich freue mich auf Bremen.“ Ein bisschen mulmig ist ihm allerdings schon zumute, gibt er zu. Zum Glück sei er seit einer Operation im August, bei der ihm das im Januar eingesetzte Metall aus der Schulter entfernt wurde, wieder uneingeschränkt bewegungsfähig und schmerzfrei. „Ich habe viel darüber nachgedacht, ob ich hier wieder starten soll“, sagt er, „aber auch solche Herausforderungen gehören dazu.“ Förstemann dachte in diesem Zusammenhang auch an seine Kollegin Kristina Vogel, die Ende Juni 2018 im Training schwer verunglückt war und seit dem Unfall querschnittgelähmt ist.
Hofft auf Teilnahme an den Paralympics 2020
Kristina Vogel wird möglicherweise als Behindertensportlerin in den Wettkampfbetrieb zurückkehren – dann wohl als Mitglied des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), dem Förstemann seit Anfang 2019 bereits angehört. Weil sich abzeichnete, dass er für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio keine Chancen mehr hat, wechselte er zum DBS, bildet inzwischen mit seinem sehbehinderten Partner Kai Kruse ein Tandem und hofft auf die Teilnahme an den Paralympics 2020 in Tokio. Bremen soll eine Durchgangsstation auf dem Weg dorthin sein. Der Plan: Die Sixdays als Vorbereitung auf die Para-WM Ende Januar – und damit indirekt auch auf die Paralympics.
Bremens Sportlicher Leiter, Erik Weispfennig, freut sich, dass Förstemann im Sprintwettbewerb wieder dabei sein wird. Genauso erfreut verkündet Weispfennig, dass mit Theo Reinhardt der inzwischen zweimalige Madison-Weltmeister und Bremen-Sieger 2018 für das 56. Sechstagerennen zugesagt hat. Leider erneut ohne seinen WM-Partner Roger Kluge, der zur gleichen Zeit bei der „Tour Down Under“ auf Australiens Straßen unterwegs sein wird. Weispfennig zählt das Duo Reinhardt/Kluge in Tokio zu den olympischen Medaillenhoffnungen des deutschen Teams.
Knapp drei Monate vor dem Startschuss der Bremer Sixdays vom 9. bis 14. Januar nimmt das Fahrerfeld zumindest im Kopf des Sportlichen Leiters Konturen an. Der 50-Jährige führt derzeit viele Gespräche, nennt weitere Namen aber noch nicht. In einer olympischen Saison ist es für ihn noch ein bisschen komplizierter als sonst, seine hochkarätigen Wunschkandidaten zu verpflichten, weil die unter Umständen im Januar noch für ihre Nationalmannschaften oder schon für ihre Straßenmannschaften fahren müssen.
Große Partynacht feiert Premiere
Christopher von Deylen , Musiker, Produzent, Komponist und Mitgründer des Projekts Schiller, wird die 56. Bremer Sixdays am 9. Januar 2020 anschießen. Wer ihm als weiterer Schütze zur Seite stehen wird, verriet Sixdays-Leiter Mario Roggow am Dienstag nicht. Personalgespräche stehen auch für den sportlichen Teil noch an. Klar ist nur, dass der amtierende Madison-Weltmeister Theo Reinhardt und bei den Sprintern Robert Förstemann wieder dabei sein werden. Erneut wird es leichte Veränderungen im Programm geben.
Der Sportliche Leiter der Sixdays, Erik Weispfennig, wird den U23-Wettbewerb auch für ältere Fahrer öffnen, weil talentierte 24- oder 25-Jährige angesichts der wenigen Sechstagerennen überhaupt sonst gar keine Startmöglichkeiten mehr bekämen. Am Freitag, 10. Januar, wird in Halle 4 bis 22 Uhr erstmals „Die Große Partynacht“ gefeiert. Zwölf Künstler präsentieren dabei ihre besten Songs der 80er- und 90er-Jahre.