Man sollte sich mal davon trennen, sagte Erik Weispfennig, alles immer mit früher vergleichen zu wollen. Aber dann ging das nicht anders, er musste an früher erinnern. "Am Samstagabend", sagte er, "war es wieder so wie früher." Weispfennig wurde vor drei Jahrzehnten Radrennfahrer, vor einem Jahrzehnt wurde er Sportchef der Bremer Sixdays, und neuerdings ist er auch Geschäftsführer des Veranstalters Event Sport&Nord GmbH (ESN). Verdammt viel Arbeit, zusätzliche Arbeit, sei da auf ihn zugekommen, gibt er zu. Er könne es kaum noch zählen, wie oft er mit dem Nachtzug auf die Schnelle aus Süddeutschland nach Bremen gefahren ist, um zu organisieren, zu diskutieren, zu verhandeln.
Sein Aufwand und Einsatz war, wenn man so will: keine brotlose Kunst. Am Sonntag, einem traditionell schwierigen Veranstaltungstag der Sixdays, durfte Erik Weispfennig in eine recht gut gefüllte Halle schauen und die leicht brodelnde Stimmung aufsaugen. Der Sonntag wurde nicht zum Gegenstück eines Samstagabends auf der Bürgerweide, bei dem schon zum Nachwuchsrennen am frühen Abend sich die Tribünen füllten. Gegen Mitternacht brodelte es überall: in Halle 1 mit seinem Sport- und Bühnenprogramm, in Halle 2 mit seiner Disco und auf jeden Fall auch in Halle 4 mit seinem Party-pur-Angebot. "Ich habe immer noch Gänsehaut", sagte Weispfennig im Gespräch über die Stimmung in der vorangegangenen Nacht.
Das lange Sixdays-Wochenende hatte in seinen beiden Kernbereichen Sport und Show nicht gegeizt mit kleineren und größeren Wow-Erlebnissen. Von den Bühnen aus brachten die Band "Watch your steps", die DJs Toddy und El Bartho oder am Sonntag die Sixdays-Kultbarden "Klaus & Klaus" die Leute zum Wippen, Schunkeln, Tanzen, Jubeln. Auf der Bahn überboten sich die Sprinter und Sprinterinnen mit ihren jeweiligen Bestzeiten. Alessa-Catriona Pröpster steigerte sich am Sonntag auf den neuen Rundenrekord von 9,320 Sekunden. Robert Förstemann, Markenzeichen: 73 Zentimeter Oberschenkelumfang, sauste in 8,670 Sekunden um das 166,6 Meter lange Oval. Im Schnitt knapp 70 Kilometer pro Stunde.
Im Hauptwettkampf der zwölf Zweierteam hatte sich bereits in der ersten Nacht von Freitag auf Samstag eine Art Zweiteilung des Feldes ergeben. Fünf Paare lagen beinahe gleichauf. Eine Nacht später waren es noch vier. Drei davon hatten die meisten vorn erwartet: die Madison-Weltmeister Yoeri Havik und Jan-Willem van Schip aus den Niederlanden, die Madison-Europameister Theo Reinhardt und Roger Kluge, den Titelverteidiger und Tour-de-France-Etappensieger Nils Politt an der Seite des belgischen Bahnspezialisten Lindsay De Vylder. das vierte Team, das mit Abstand jüngste im führenden Quartett, hatten nur Kenner wie Weispfennig auf der Rechnung. Philip Heijnen (Niederlande) und Matias Malmberg (Dänemark) hielten mit der dekorierten Konkurrenz bestens mit. "Ihnen gehört die Zukunft", prophezeite Sportchef Weispfennig.
Als am Sonntag das Rennen bereits am späten Nachmittag vorbei war und auf die Fahrer die einzige Nacht mit ausreichend Schlaf wartete, gab es immer noch ein chancenreiches Quartett an der Spitze des Feldes. Allerdings war ein Team etwas chancenreicher als die anderen. Die niederländischen Weltmeister Yoeri Havik und Jan-Willem van Schip hatten von Beginn an konsequent aufs Punktesammeln gesetzt. Ergebnis: Weil es pro hundert erreichter Punkte in den verschiedenen Wertungen eine Bonusrunde aufs Konto gibt, gehen sie an diesem Montag voraussichtlich mit einer Runde Vorsprung ins große Finale. Die traditionell längste Jagd des Wettbewerbs, 60 Minuten lang, soll laut Zeitplan um 22.30 Uhr angeschossen werden. Im 500-Meter-Zeitfahren hatte das niederländische Team mit dem Regenbogen-Trikot und der Nummer eins am Sonntag noch einmal ein Achtungszeichen gesetzt. Es fuhr mit 26,760 Sekunden einen neuen Bahnrekord über den halben Kilometer. Durchschnittstempo: mehr als 67 km/h.
"Sie sind im Vorteil wegen des Punktestandes", sagte Europameister Theo Reinhardt über die Führenden. Und schränkte ein: "Sie müssen auf drei Teams achten, die über Rundengewinne doch noch vorbeikommen wollen." Das sei gar nicht so einfach auf der kleinen Bremer Bahn. Reinhardt: "Du passt einmal nicht auf – und schon hast du wieder eine Runde verloren." Es werde sehr taktiert werden – und es werde für alle Favoriten sehr schwer werden am Montagabend, schätzte Nils Politt. Der Titelverteidiger aus Köln gestand: "Ich muss mir was einfallen lassen!"