Der Saal: brechend voll. Die Bühne: prominent besetzt. Erstmals seit 23 Jahren, hob Moderator Michael Leopold hervor, sei ein Bundestrainer zum Internationalen Trainer-Kongress (ITK) des Bundes Deutscher Fußballlehrer (BDFL) gekommen. Und das, darf man aus lokaler Sicht hinzufügen, wo der ITK im Bremer Congress Centrum stattfindet. Das fügte seinerseits Michael Leopold hinzu, ein in der Szene bekannter Sky-Reporter, wo doch dem Bundestrainer Hansi Flick der Wind der Kritik ordentlich ins Gesicht bläst. Um im Bild zu bleiben: Es war sehr stürmisch, als die DFB-Auswahl ein halbes Jahr nach der verpatzten WM in drei Testspielen nacheinander ein eher armseliges Bild abgab. Ein Spiel davon war das blamable 3:3 gegen die Ukraine im Weserstadion, als Flicks Team Anfang Juni in der Heimstätte des SV Werder Bremen nur mit viel Glück nicht verlor.
Flick gab sich selbstkritisch
"Gegen die Ukraine musst du gewinnen", sagte Flick. Die Kritik sei hart, aber letztlich gerechtfertigt gewesen. Wo geklatscht werde, da werde auch gepfiffen. Es war in dem dreiviertelstündigen Podiumsgespräch vor den mehr als tausend Trainern nicht mehr und nicht weniger als so etwas wie Fußball-Folklore: Leopold, geübter Fußball-Reporter, stellte kritische Fragen zu Qualität und Mentalität in der Nationalmannschaft. Flick, geübter Fragen-Beantworter, gab sich sowohl selbstkritisch als überzeugt, dass jetzt alles besser werden wird. "Ganz klar: So können wir nicht weitermachen", habe sich das Trainerteam nach dem blamablen WM-Aus in Katar gesagt. Nun wolle man aber nach vorne schauen, und da habe man einen klaren Plan in Richtung Heim-EM im Sommer 2024.
Der Plan: Weil Deutschland als EM-Gastgeber sich nicht qualifizieren muss, kommen die Test-Länderspiele in den Rang von Etappenzielen auf dem Weg zum großen Turnier im kommenden Jahr. Im März wollten Flick und seine Assistenten möglichst viele neue Spieler kennenlernen und einsetzen. Im Juni wollten sie eine Taktik mit einer Dreierkette ausprobieren, um eine Variante B fürs Defensivverhalten zu haben. Im Herbst soll möglichst die Kernmannschaft gefunden werden.
Das Problem mit dem Plan: Als die Spiele im März und im Juni gespielt waren, sah es nicht danach aus, als ob nun ein Etappenziel geschafft worden sei. Stattdessen wurden im Sturm der Kritik grundsätzliche Fragen aufgewirbelt. Ob die deutschen Spieler qualitativ einfach zu schlecht seien beziehungsweise zu schlecht ausgebildet werden? Ob es ihnen an der nötigen Mentalität fehle oder ob überhaupt nach dem Leistungsprinzip aufgestellt werde?
Flick verteidigte alle verbalen Angriffe weg
Wie zu erwarten war, stellte Moderator Michael Leopold all diese Fragen. Und natürlich verteidigte Hansi Flick die verbalen Angriffe alle weg. Bei aller berechtigter Kritik: Dass am Leistungsprinzip gezweifelt werde, empfinde er "manchmal als Unverschämtheit", sagte der Bundestrainer. Von der Qualität in seinem Kader sei er überzeugt. Überhaupt wurde "Überzeugung" eine Art Schlüsselwort in seiner Rhetorik. Die Spieler müssten überzeugt sein von ihren Qualitäten, sie müssten sie zeigen wollen in jedem Training, in jedem Spiel. Manchmal griff Flick auch zu neudeutschem Vokabular.

Hansi Flick im Gespräch mit Moderator Michael Leopold beim internationalen Trainer-Kongress in Bremen.
Die Spieler müssten absolut "committed" sein, vollauf engagiert also. Das habe ihm zuletzt etwas gefehlt. Die Spieler, die seiner Meinung nach ja die nötige Qualität hätten, müssten diesen unbedingten Willen haben, das Tor zu machen, vielleicht sogar ein bisschen egoistischer sein dabei und nicht danach schauen, wo der nächste Spieler sei, zu dem man den Ball noch passen könnte. "Torgeilheit" wird neuerdings in der Szene dazu gerne gesagt, auch Flick benutzte den Begriff. Noch mal neudeutsch: Die "Basics", die müssten stimmen: Ballannahme, Ballmitnahme, erster Pass, Zweikampf – immer voll committed.
Und? Wird das noch in den nächsten Monaten, nachdem die DFB-Auswahl jetzt zwei WMs, eine EM und zuletzt auch die Länderspiele vergeigt hat? Wenig überraschend sagte Hansi Flick, dass er, nun ja: "überzeugt" sei, dass es wieder wird. Dass er alles prima planen, andererseits für nichts garantieren kann, hat er – zumindest indirekt – aber auch gesagt. Hansi Flick erzählte dazu in dem Podiumsgespräch eine Episode aus seiner Zeit als DFB-Sportdirektor.
Damals habe er sich mit einer DFB-Abordnung die Ausbildung in Valencia angeschaut, wo seit Jahren sehr starke Linksverteidiger auffielen. "Wie macht Ihr das", hätten die Deutschen die Spanier gefragt, "immer wieder so gute Linksverteidiger auszubilden?" Die Antwort sei gewesen: "Wenn wir das wüssten, dann hätten wir auch gute Rechtsverteidiger."