Nun ist es so weit, dass die Wiederholung eines Krimis die bessere Einschaltquote erreicht als ein Länderspiel der Nationalmannschaft. Diese Erkenntnis hat die Alarmglocken beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) lauter schrillen lassen – denn knapp ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land verliert die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick weiter an Rückhalt, statt die Fans zu begeistern.
Wenn mehr als eine halbe Million Menschen lieber „Die Toten vom Bodensee“ anschaut als das Spiel gegen die Ukraine im Weserstadion, ist das ein Tiefpunkt. Bei der 0:1-Niederlage in Polen setzte sich das fort: Nur 5,9 Millionen Zuschauer waren der schlechteste Wert für ein Abendspiel seit vielen Jahren.
Das kommt dabei heraus, wenn Flick an den Interessen der Menschen und des DFB vorbei agiert. Statt eine Mannschaft zu formen, mit der sich die Fans identifizieren können, probiert der Bundestrainer ständig etwas aus. Er testet Spieler und Formationen – was jedoch deprimierend oft zu schlechten Leistungen führt. Nur drei Siege gelangen in den vergangenen zehn Spielen: gegen den Oman, Costa Rica und Peru.
Flick spricht beschwichtigend von einem Prozess. Doch das klingt längst wie ein Alibi. Viel eher scheint es ein Wettlauf gegen die Zeit zu sein. Bisher fehlt dem Betrachter jede Fantasie, wie diese Mannschaft bei der EM 2024 erfolgreich sein soll. Flicks eigenwilliger Weg ist auch deshalb erstaunlich, weil seine Weiterbeschäftigung nach dem WM-Debakel in Katar nicht sicher war. Letztlich bekam er die Chance, aus seinen Fehlern zu lernen. Doch genau das ist ein halbes Jahr später nicht zu erkennen.
Wie wichtig eine eingespielte Stammelf wäre, war eine Lehre aus dem frühen Aus bei den jüngsten Turnieren. Wenn es dem Bundestrainer noch darum geht, die Richtigen für das erste EM-Spiel am 14. Juni in München zu finden, können die Fans nur hoffen, dass es nicht viele von denen sind, die zuletzt auf dem Rasen standen. Auch die Debatte um eine Dreier- oder Viererkette ist unerheblich, solange es stets eine Fehlerkette ist, die zu Gegentoren einlädt. Ein Gegner muss nur schnell und engagiert sein, um der Mannschaft Probleme zu bereiten.
Das DFB-Team spielt unverändert langsam und fahrig, ohne Gier und Überzeugung. Das kritisieren die Spieler sogar selbst, sie stellen es aber nicht ab. Wenn Flick den nötigen Willen auf dem Platz fordert, zeichnet er damit ein düsteres Bild seiner Mannschaft. Der Verweis auf angeblich tolle Leistungen im Training hilft nichts: Es geht nicht darum, Trainingsweltmeister zu werden.
Wie sehr Flick das richtige Maß verloren hat, zeigt die Debatte um Joshua Kimmich, der bei jedem Turnier-Aus zuletzt Stammspieler war. Um ihn zu schützen, verglich ihn Flick mit den Basketball-Weltstars Kobe Bryant und Michael Jordan. Dabei ist der im Nationaltrikot titellose Kimmich von diesen NBA-Legenden so weit entfernt wie das deutsche Team vom Gewinn der Europameisterschaft. Da muss man sich nur seine bedenkliche Fehlerquote bei Eckbällen und Zuspielen anschauen.
Füllkrug zu nominieren, war bisher Flicks einzige mutige Entscheidung
Anspruch und Wirklichkeit klaffen generell weit auseinander. Natürlich leidet Flick darunter, dass dem Nationalteam die stabile Bayern-Achse früherer Jahre fehlt. Umso wichtiger wäre es, eine andere Achse zu formen. Diese Mannschaft braucht Rhythmus und Erfolgserlebnisse, damit die Heim-EM nicht das nächste Debakel wird.
Niclas Füllkrug zu nominieren, war bisher Flicks einzige mutige Entscheidung. Ansonsten ignoriert er das Leistungsprinzip. Stets musste man in seinem Klub Stammspieler und Leistungsträger sein, um fürs Nationalteam infrage zu kommen. Heute haben schlechte Leistungen kaum Konsequenzen.
Der Entwicklungsprozess bis zur EM, den Flick beschwört, wirkt deshalb wie das berüchtigte „Prinzip Hoffnung“. Sportdirektor Rudi Völler stützt seinen Bundestrainer, auch mangels Alternativen. Flick wäre gut beraten, diese Rückendeckung schnell zu rechtfertigen. Denn gibt es am Dienstag gegen Kolumbien den nächsten Rückschlag, verschärft sich die Lage.