Den letzten großen Titel gewann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 2014 in Brasilien. Wer sich genauer mit diesem Triumph beschäftigt, stößt auf eine Gemeinsamkeit: Viele der Weltmeister waren einst Schützlinge des legendären Jugendtrainers Hermann Gerland beim FC Bayern, der aus Talenten die Stars von morgen formte. Im Finale gegen Argentinien standen fünf von ihnen in der Startelf: Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Toni Kroos und Mats Hummels.
Es lohnt sich also, Gerland zuzuhören. Gerade in Zeiten wie diesen, wo der deutsche Fußball den Anschluss an den Rest der Welt verloren hat. Bei zwei Weltmeisterschaften flog Deutschland in der Gruppenphase raus. 2018 und 2022. Das gab es noch nie. Zuletzt war auch für die U21-Mannschaft bei der Europameisterschaft frühzeitig und sieglos Schluss.
Gerland sah das kommen. Der heute 69-Jährige hörte bei Bayern vor zwei Jahren auf, weil die Jugendförderung nicht mehr so ablief, wie er es für richtig hielt. In der Jugendausbildung wurde ihm zu viel geredet und zu wenig trainiert. Beim Wort Belastungssteuerung bekam er Puls: „Erst mal musst du belasten, dann kannst du steuern.“ Und als er einen Jugendspieler mit Gipsfinger am Spielfeldrand zuschauen sah, konnte er nicht verstehen, warum der nicht spielte. „Musst du etwa die Einwürfe machen oder schießt du mit der Hand?“, fragte Gerland.
Sein ernüchterndes Fazit: Wie sollen in Deutschland Weltstars wie Kroos oder Lahm nachkommen, wenn die neue Generation es nie gelernt hat, sich gegen Widerstände durchzusetzen und über Grenzen zu gehen? Heute würden so viele Leute um die Talente schwirren: Berater, Pädagogen, Mental-Coaches, Fitnesstrainer, Mama und Papa – die Spieler würden sich immer an den halten, der sie am meisten lobt. Kritik wolle keiner mehr hören.
Der Unterschied zwischen deutschen und internationalen Talenten fiel auch Florian Kohfeldt auf.
Dazu benötigte der frühere Werder-Trainer nur eine Woche in Belgien, einer der führenden Nationen in der Fußballausbildung. Die Talente dort hätten eine andere Erwartungshaltung als in deutschen Profiklubs, meint Kohfeldt. Die Selbsteinschätzung sei viel realistischer und die Entwicklungsbereitschaft sehr hoch. Konstruktive Kritik würde als Hilfe empfunden.
Genau das fehlt in Deutschland. Dieser Biss, sich durchsetzen zu wollen, ist nicht zu erkennen. Auch deshalb wenden sich viele Fans ab, weil sie die leidenschaftslosen Spiele nicht ertragen. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob jemand alles gibt und Unterstützung verdient – oder eben nicht. Selbst Bundestrainer Hansi Flick und Sportdirektor Rudi Völler stoßen an ihre Grenzen: So oft, wie sie zuletzt die Grundtugenden des Leistungssports wie Einsatz, Willen und Bereitschaft von den Spielern einforderten, wirkte das fast schon verzweifelt.
Es läuft einiges falsch. Nicht nur, dass alle Leistungszentren es nicht schafften, mehr Mittelstürmer als einen Niclas Füllkrug auszubilden. Es fehlt großflächig an Mentalität und mutigen Typen, die auf dem Platz Verantwortung übernehmen. Und es gibt die Sorge, dass die berüchtigte und verhätschelte Generation Z, die jetzt aus der Jugend nachrückt, nicht für Besserung geeignet ist. An schlechten Vorbildern mangelt es dem Nachwuchs nicht: Wenn sich deutsche Nationalspieler zwischen zwei Niederlagen zuletzt wieder einen Promi-Friseur ins Hotel bestellten, um wenigstens die Haare schön zu haben, lässt das tief blicken. Hier fehlt nicht nur der Charakter, sondern auch ein mutiger Kopf, der diesen Unfug stoppt.
Inzwischen rangiert der vierfache Weltmeister Deutschland in der Weltrangliste auf Platz 15, hinter Marokko und Mexiko. Retten können den deutschen Fußballsommer nur noch die Frauen, die bei der Weltmeisterschaft zu den Favoriten zählen. Schon bei der EM 2022 schauten ihnen mehr Fans zu als den schwächelnden Männern. Die Frauen freuen sich, mit Leidenschaft für ein Millionenpublikum spielen zu dürfen. Genau das war auch mal die Motivation der Männer. Es ist lange her.