Hubertus Hess-Grunewald ist viel gereist in den vergangenen Monaten. In München war er, in Leipzig, Dortmund und sogar in Wien. So verschieden die Ziele auch waren, der Anlass für die Besuche war stets gleich: Der Werder-Präsident schaute sich vor Ort die Nachwuchsleistungszentren der Vereine an. Natürlich ist bei der Konkurrenz alles viel größer und teurer gewesen, als es sich die Bremer jemals leisten könnten. Rund 100 Millionen Euro etwa hat sich der Branchenprimus FC Bayern die neue Talentschmiede kosten lassen. Eine Dimension, in die Werder Bremen nicht vorstoßen kann. Nein, Werder war immer anders, auch notgedrungen, denn die finanziellen Möglichkeiten sind nun einmal begrenzt. Doch jetzt kommt der Verein im Nachwuchsbereich an Grenzen, die auf Dauer bedrohlich sind im Kampf um einen Platz in der Bundesliga. Für den Verein stellt sich die „existenzielle Frage“, wie Hess-Grunewald es ausdrückt: Hat Werder irgendwann das schlechteste Leistungszentrum in Deutschland?
Wie anders Werder doch im Vergleich mit der Konkurrenz ist, werden besonders jene Fans zu schätzen wissen, die schon mal durch die Bundesliga-Stadien gereist sind. Die Allianz-Arena in München ist ein schönes Stadion, aber fernab der City am Autobahnkreuz München-Nord gelegen. Und wer sich Fußball in Hamburg, Mönchengladbach, Gelsenkirchen, Stuttgart, Frankfurt oder Mainz anschaut, wird von der Stadt in der Regel nichts sehen, so weit draußen stehen die Arenen.
Bremen ist anders. Das Stadion steht am Osterdeich, die Wege in die umliegenden Kneipen oder ins Viertel sind kurz, selbst der Hauptbahnhof liegt nur einen überschaubaren Spaziergang weit entfernt. Spitzenfußball mitten in der Stadt, das gibt es kaum noch in Deutschland. Diese Kombination ist zu einem fast einzigartigen Markenzeichen des Vereins geworden, der Klub bleibt dadurch sehr volksnah. Bremen ist Werder, daran gibt es keinen Zweifel.
Doch die vielen Diskussionen rund um den möglichen Neubau eines Leistungszentrums am Weserstadion zeigen wieder einmal, wie sehr diese Kombination auf Kante genäht ist. Werder platzt aus allen Nähten. Und die Möglichkeiten, sich dabei nicht einmal zu vergrößern, sondern in erster Linie nur zu verändern, also etwas Neues zu schaffen, sind absolut beschränkt. Denn Veränderungen in der Pauliner Marsch haben einige Anwohner nicht so gern. Sie pochen auf die grüne Lunge oder bemängeln tatsächlich, dass es auch dank Werder schon lange keine dörfliche Stille in ihrem Wohngebiet mehr gebe. Wobei auch mal zu klären wäre, wie es in einer Stadt mit über 500.000 Einwohnern überhaupt dörfliche Stille geben kann.
Werder ist Bremen
Was also ist die Konsequenz aus all den Diskussionen, die der Verein mit Anwohner-Initiativen und Politikern immer dann führt, wenn es mal wieder um Veränderungen rund um das Weserstadion geht? Raus aus der Stadt, erst mit dem Leistungszentrum, perspektivisch sogar mit dem kompletten Stadion? Auf die grüne Wiese, wo Weserpark, Dodenhof oder das Outlet-Center schon seit vielen Jahren wachsen und gedeihen? Nein, das wäre die schlechteste aller Lösungen. Werder gehört mitten in die Stadt, Werder gehört an den Osterdeich, Werder gehört in die Pauliner Marsch. Denn Werder ist Bremen.
Was nicht heißen kann, dass Werder auch alles darf. Mögen die Grundbucheinträge für 356 Grundstücke rund um den Osterdeich auch aus dem 18. Jahrhundert stammen, so haben sie trotzdem nicht an Gültigkeit verloren. Das gilt es zur respektieren, sei der Wunsch nach Veränderung noch so groß. Deshalb haben einige Anwohner zu recht erkannt, dass sie sich die Neubau-Pläne von Werder doch zunutze machen können. Der Deal könnte also folgendermaßen laufen: Die Anwohner verzichten auf ein Vetorecht beim Neubau des Leistungszentrums in der Pauliner Marsch, bekommen dafür aber das gewünschte Tempo 30 auf dem Osterdeich, ein Lkw-Verbot obendrauf und noch ein paar Straßen-Überquerungen dazu.
Es wäre ein Kompromiss, um Werder weiter in der Stadt zu halten. Und auch ein Bekenntnis zum Standort, der trotz vieler Einschränkungen – für Anwohner und den Verein – ein großes Stück Werder-DNA darstellt. Denn bei all der Kommerzialisierung und den Super-Arenen, die entstanden sind, bleibt eben Werder mit dem Stadion in der Stadt ein echtes Markenzeichen. Und der etwas andere Verein, der mit begrenzten Möglichkeiten im Millionengeschäft Bundesliga seinen Platz findet.