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Serie Fit&aktiv "Nicht der Fahrstuhl, sondern die Treppe!"

Über den Wert von Bewegung im Alter existiere heute ein anderes Bewusstsein, sagt Ingelore Rosenkötter. Was den Unterschied zwischen Frauen und Männern betrifft, hat sie eine interessante Beobachtung gemacht.
05.10.2022, 05:00 Uhr
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Von Olaf Dorow

Frau Rosenkötter, haben Sie heute schon Sport getrieben?

Ingelore Rosenkötter: Sie werden lachen. Ja, habe ich.

Und zwar?

Ich habe mir angewöhnt, vor dem Frühstück ein bisschen Gymnastik zu machen. Das macht munter, man ist gleich frisch im Tag. Ich will nicht übertreiben, aber ich versuche es zumindest, jeden Morgen zu machen.

Im kommenden Jahr werden Sie 70. Halten Sie sich noch auf andere Weise in Schwung?

Regelmäßiges Walken im Kleingartengebiet. Manchmal 40 Minuten, auch mal eine Stunde. Neulich war ich nach meiner Coronainfektion endlich mal wieder eine halbe Runde Joggen auf der Finnbahn im Bürgerpark. Die Bahn ist wohl leider durch die lange Trockenheit in einem schlechten Zustand. Da müsste ich mal jemanden anrufen und sehen, was man tun kann.

Täuscht der Eindruck, dass Sporttreiben in diesem Alter früher eher Exotisches war und heutzutage normal ist?

In der Tat bin ich mit 70 Jahren heute eher eine der Jüngeren in vielen Gruppen. Aber auch früher hat es gerade im Bereich des Turnens schon immer viele Frauen gegeben, die lebenslang und regelmäßig in ihren Turngruppen aktiv waren. Auch, weil da der soziale Zusammenhalt eine große Rolle gespielt hat. Ich habe da einige Turnerinnen aus der SG Findorff vor Augen, die bis weit über 80 Sport getrieben haben.

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Aber waren das nicht früher Einzelne und ist es heute eine Art Bewegung?

Ich würde mal sagen, dass inzwischen auch mehr und mehr Männer Sport im Alter für sich entdeckt haben. Mein Eindruck ist, dass früher nach der Fußball- und Alt-Herren-Zeit nur wenige regelmäßig Sport machten. Das hat sich doch sehr verändert. Bewegung und Sport gehören zu einem einigermaßen gesunden Alltag einfach dazu. Aber vielleicht sind Frauen dafür eher aufgeschlossen als Männer.

Also haben mal nicht die Frauen gegenüber den Männern etwas aufzuholen gehabt, sondern es war andersherum?

Nicht selten waren früher mehr als 40 Frauen in der Halle, dazu der obligatorische Klavierspieler. Diese Gruppen haben nicht selten den Verein mit getragen und erhalten. Oft gab es eine ganze Reihe von Frauen- und nur eine einzige Männer-Sportgruppe. Glücklicherweise ist das jetzt ganz anders.

Haben Vereine quasi den Seniorensport als Markt entdeckt?

Den Trend gibt es seit mehr als 15, 20 Jahren schon. Es gibt auch viel differenziertere Angebote. Es ist nicht mehr nur die klassische Frauen-Gymnastikgruppe. Die Angebote sind viel zielgenauer, an den Bedürfnissen und Wünschen orientiert.

Früher hieß es nur allgemein Seniorensport….

…und heute gibt es Fitness mit Yoga oder Zumba mit Entspannung oder was auch immer. Das ist vielleicht auch ansprechender für die heute älter werdenden Menschen.

Die ein anderes Gesundheitsbewusstsein haben?

Ja, viele sagen: Nicht nur Ernährung und Work-Life-Balance gehört für mich dazu, sondern auch Fitness-Urlaub und regelmäßige Bewegung und Sport.

Geht da die Schere weiter auseinander? Also Teilung in die fitten Senioren auf der einen Seite und auf der anderen diejenigen, die schon bald keine Treppe mehr hochkommen?

Die Vereine haben sich der Prävention verschrieben und das bis zu sogenannten 'Hochaltrigen'. Auch in den Alten- und Pflegeeinrichtungen rückt der Bewegungsaspekt – oft mit Vereinsunterstützung – mehr ins Bewusstsein. Ich sehe das bei meiner 95-jährigen Mutter. Da wird regelmäßig Sitzgymnastik und Bewegung angeboten. Das hat nichts mit Höchstleistungen oder Rekorden zu tun. Sondern einfach mit Wohlbefinden.

Und ihre Mutter kann da mit 95 noch schön mitmachen?

Na ja, sie sitzt im Rollstuhl. Aber da werden Hände, Arme und Füße bewegt. Eben so viel, wie es geht. Es gibt allgemein ein anderes Bewusstsein zu Bewegung und Sport. Und das ist gut so. Nach meiner Krebs-OP am Herzen konnte ich schon nach 14 Tagen mit sanften Bewegungen im Krankenzimmer beginnen. Früher lagen sie wahrscheinlich erst mal vier Wochen flach. Es gibt da ein anderes Verständnis auch in der Medizin – Bewegung und Sport ist mittlerweile auch dort ein Teil der Therapie.

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Welche Rolle spielt der soziale Aspekt?

Ich glaube, gerade das ist ein Riesenpfund der Vereine. Seit jeher hat der Mensch im Mittelpunkt gestanden, nicht die Leistung oder der Rekord. Alle hatten und haben ihren Platz in den Gruppen. Auch in den Lockdowns der letzten Jahre haben Übungsleiter:innen Möglichkeiten für Bewegung gefunden. Dann haben sie eben im Garten gestanden, oder auf der Terrasse für jede Einzelne eine Viertelstunde was gemacht. Das würde kein Fitnesscenter machen. Die fragen zu Recht: Wie komme ich über die Runden? Übungsleiterinnen sagen: Ich muss, ich will für meine Gruppe da sein. Das ist wertvoll und toll. Übungsleiter:innen sind unser Herzstück in den Vereinen.

Verschiebt sich die Alterspyramide im Vereinssport? Immer mehr Senioren als Mitglieder?

Wir haben ganz starke Kleinkinder- und Kinder-Abteilungen. Vereine sagen aber: Wir können gar keine Werbung mehr machen. Um noch mehr aufzunehmen, fehlen uns Hallenzeiten und Übungsleiter. In den Leistungsbereichen bleiben noch viele Jugendliche – bei Erfolg – dabei. Die Brüche haben wir zwischen 20 bis 40, 45. Das ist kein neues Phänomen, Familien oder Karriere stehen da natürlich mehr im Vordergrund. Was auch zu beobachten ist: Von den Menschen mit krankheitsbedingten und körperlichen  Einschränkungen finden nach der Coronaphase nicht alle den Weg zurück in den Verein. Was sehr schade ist. Gerade diese Menschen  bräuchten dieses Regelmäßige.

Frau Rosenkötter, nehmen wir mal den Fall an: Jemand hat sein Arbeitsleben beendet, geht auf die 70 zu, hat mit Sport und Bewegung aber nix am Hut gehabt. Ist es für ihn sozusagen zu spät?

Nein, nie. Jede und jeder hat Erfahrungen mit Spazierengehen. Oder mit Schwimmen, Radfahren oder Wandern. Ganz viele, die sagen, dass sie keinen Sport machen, bewegen sich ja. Bewegung fängt für mich schon damit an, wenn man sagt: Nee, nicht der Fahrstuhl, sondern die Treppe! Das lässt sich in jeden Alltag einbauen. Und in den Gruppen der Vereine ist jede und jeder willkommen. In der Gemeinschaft wird man merken: Das macht noch viel mehr Spaß. Und: Ihr Sportverein ist gleich um die Ecke.

Das Gespräch führte Olaf Dorow

Zur Person

Ingelore Rosenkötter (69)

ist seit vielen Jahren in der Bremer Politik und auch in der Sportpolitik engagiert. Seit drei Jahren ist die frühere Senatorin Präsidentin des mitgliederstarken Bremer Turnverbandes.

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