Mit immerhin 77 Jahren zeigt sich der Grohner Karsten Ellebrecht weiter engagiert, wenn es um das ehemalige KZ-Außenlager auf der Bahrsplate geht. Was heißt: Ihn berührt das Schicksal der Menschen, die hier litten, gequält wurden oder zu Tode kamen. Der Historiker hat darüber ein Buch geschrieben. „Ihr habt keinen Namen mehr!“ ist sein Titel. Davon gibt es jetzt eine zweite überarbeitete Auflage.
An der Spitze der Lagerverwaltung des KZ-Außenlager stand ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier, der SS-Hauptscharführer Richard-Johann vom Endt. Von ihm stammt der Buchtitel. Er sagte gegenüber einem belgischen Häftling: „Ihr habt hier keinen Namen mehr! Ihr seid hier nur noch eine Nummer.“ Wobei Ellebrecht einräumt: „Wenn ich schreibe, dann nur bis 18 Uhr.“ Sonst würden ihn die Geschehnisse zu sehr einholen.

Doch Menschen in Verantwortung gaben den Opfern ihre Namen zurück. Schüler und Schülerinnen einer Klasse des Schulzentrums Alwin-Lonke-Straße errichteten 2009 den Stein der Hoffnung. Auf ihm sind Namensplättchen aus Metall mit den Namen der Opfer montiert. Anfang Mai dieses Jahres kam wieder eine Gruppe Belgier zur Bahrsplate. Nach den Erfahrungen des 77-Jährigen ist es den Nachfahren und Angehörigen der Opfer wichtig, dass es eine Gedenkstätte gebe, auf der die Namen ihrer Angehörigen und Opfer verzeichnet seien.
Schon im Mai 1985 wurde auf der Bahrsplate eine Tafel aufgestellt mit den Worten: „Auf der Bahrsplate befand sich in der Zeit des Faschismus ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Hier wurden Menschen gequält und ermordet. Die Opfer und Widerstandskämpfer mahnen uns: Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg.“

Karsten Ellebrecht, Historiker und Autor.
So ist ein Kapitel des Buches mit „Existenzbedingungen“ überschrieben. Dabei handelt es sich um Bekleidung, Ernährung und Schwarzmarkt. Weiter geht es um Kontrollen, Sanktionen und Misshandlungen. Themen bei „Häftlinge als Akteure“ sind Selbstjustiz, offener und heimlicher Widerstand sowie Kollaboration. Das Kapitel „Krankheit und Tod“ handelt vom Krankenrevier, Sterben und Überleben und Hinrichtungen.
Der Großteil der Häftlinge wurde laut dem Historiker im sogenannten Hochbau oder Gebäude 93 auf dem Gelände der Wollkämmerei eingesetzt. Die zum Kruppkonzern gehörende Deutsche Schiff- und Maschinenbau AG ließ in den Metallwerkstätten U-Boot-Turbinen anfertigen. „Dieses Gebäude steht immer noch nicht unter Denkmalschutz“, bedauert Ellebrecht. Außerdem leide es unter Vandalismus. Hier sei dringender Handlungsbedarf gefordert.
Freundschaften entstanden bei Recherche
Den ehemaligen Gymnasiallehrer bewegte schon früh die Frage, „dass dieses KZ noch nicht historisch-wissenschaftlich bearbeitet“ worden sei. „Ich habe dann weitergeforscht und bin nach Nordfrankreich und nach Neuengamme gefahren. Da habe ich noch einiges gefunden.“ Inzwischen haben sich nach seinen Worten auch immer mehr die Archive geöffnet. „Davon konnte ich profitieren.“ Darüber hinaus und dabei habe er sich auf von Überlebenden verfasste Berichte stützen können.
Der Historiker hat sein Buch dem ehemaligen französischen Häftling Pierre Billaux und seiner Frau Paulette gewidmet. Bei der Recherche haben sich ihm zufolge auch zahlreiche freundschaftliche Beziehungen zu Überlebenden entwickelt. Er weist am Schluss seines Buches darauf hin, dass es ihm „um die Ehrung von Menschen, die sich gegen die faschistische Herrschaft erhoben haben und unter ihr gelitten haben“ gehe. Ihm gelinge eine zuverlässige „dichte Beschreibung“, schreibt als Rezensent Klaus Volland. Darin werde immer wieder auch versucht, bei sich widersprechenden Zeitzeugenaussagen eine plausible Deutung der Situation aufzuzeigen. Viele Belgier und Franzosen, so Volland, erscheinen als plastische Figuren. Häftlinge anderer Herkunft, zumeist Sowjetbürger oder Polen, von denen kaum eine persönliche Überlieferung vorliege und die nach dem Krieg auch nicht in Verbänden organisiert gewesen seien, blieben im Schatten.