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Belgier gedenken Opfern Besuch auf der Bahrsplate

Der Belgier Charles Colyn kam 1944 ins Konzentrationslager Bahrsplate und starb dort. Da Colyn bereits vor der Geburt seines Sohnes verhaftet wurde, konnte der ihn nie kennenlernen.
06.05.2022, 08:02 Uhr
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Besuch auf der Bahrsplate
Von Aljoscha-Marcello Dohme

Knapp 70 Menschen aus Belgien haben sich auf eine sechstägige Reise durch Norddeutschland begeben. Sie alle eint die Mitgliedschaft in der belgischen Amicale Internationale Neuengamme. Dem Verband gehören sowohl ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme als auch deren Angehörige an. Das Konzentrationslager hatte zwischen 1938 und 1945 insgesamt 87 Außenstellen. Eine davon befand sich auf der Bahrsplate in Blumenthal.

Aus diesem Grund gehört die Gedenkstätte an der Weser auch zu den Orten, die der Verband auf seiner Reise besucht. Dort angekommen, legen einige Vertreter Kränze nieder. Der Bürgermeister der belgischen Gemeinde Tielt-Winge, Rudi Beeken, berichtet vom Schicksal der Menschen aus Meensel-Kiezegem, einem Ort, der mittlerweile zu seiner Gemeinde gehört.

Nachdem dort der Kollaborateur Gaston Merckx im Juli 1944 von Widerstandskämpfern erschossen wurde, gab es zwei Razzien. Dabei wurden rund 100 Menschen festgenommen. "Vier Personen wurden auf der Stelle hingerichtet, 71 kamen letztlich ins Konzentrationslager Neuengamme", erzählt er. "Einige von ihnen haben auch in Blumenthal gearbeitet. Ihre Namen finden sich hier an der Gedenkstätte." Nur acht der insgesamt 71 Belgier kamen wieder nach Hause. "Zu dieser Zeit zählte die Gemeinde wenige hundert Einwohner", berichtet der Bürgermeister. "Dadurch hat praktisch jede Familie einen Angehörigen verloren."

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Zu den Teilnehmern der Fahrt gehört auch die Familie Colyn aus dem belgischen Gent. "Mein Vater war Teil der belgischen Widerstandsbewegung", erzählt Philippe Colyn. Im Juli 1944 wurde sein Vater deshalb festgenommen und einen Monat später mit dem Zug ins Konzentrationslager Neuengamme gebracht. Dort blieb er sechs Tage und kam anschließend als Zwangsarbeiter nach Blumenthal. "Dort wurde er in einer Fabrik eingesetzt, die Zahnräder herstellte", berichtet der Nachfahre. 

Am 19. Dezember 1944 starb Charles Colyn in Blumenthal. "Er wusste, dass er Vater wird", sagt Philippe Colyn. "Zwei Monate nach seiner Verhaftung bin ich auf die Welt gekommen. Kennengelernt habe ich ihn nie." Insbesondere als Kind hat er sehr unter dieser Situation gelitten, etwa wenn andere von ihren Vätern berichteten. "Ich hatte nur ein Foto von meinem Vater", sagt er. "Aus diesem Grund ist es sehr wichtig für mich, nach Blumenthal zu kommen. So gerät mein Vater nicht in Vergessenheit."  

Die Art und Weise, wie Regierung und Bevölkerung in Deutschland mit der Vergangenheit umgehen, beeindrucken den Belgier. "So vermeiden die Menschen, dass so etwas Schreckliches noch einmal passiert", sagt Philippe Colyn. Seinen Neffen Marc Colyn stimmt es vor allem positiv, dass so regelmäßig Gedenkfeiern in Deutschland stattfinden. "Das zeigt mir, dass es eine Zukunft für die Menschen in Europa gibt", sagt er. 

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Während Marc Colyn nun zum ersten Mal nach Blumenthal gekommen ist, ist es für seinen Onkel bereits der zweite Besuch. "Eigentlich wollte ich gemeinsam mit meinen Geschwistern anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung nach Blumenthal kommen", sagt Philippe Colyn. "Doch pandemiebedingt mussten wir die Reise auf dieses Jahr verschieben." Schon jetzt steht für ihn fest, dass dieser Aufenthalt im Bremer Norden nicht sein letzter gewesen sein wird. "Ich will in jedem Fall noch einmal mit meinem Sohn herkommen", sagt er. 

Normalerweise organisiert der Verein einmal im Jahr eine Reise nach Deutschland. Doch in diesem kommt die Gruppe ausnahmsweise ein zweites Mal. "In den vergangenen zwei Jahren konnten wir pandemiebedingt nicht kommen", sagt Tom Devos, Vizepräsident des jungen Kommitees der Amicale Internationale Neuengamme. "Deshalb war die Nachfrage so groß, dass wir uns dazu entschieden haben, eine weitere Fahrt in diesem Jahr zu organisieren." Auch dann wird die Gruppe wieder die Bahrsplate in Blumenthal besuchen. Der Termin dafür steht bereits fest: Sonntag, 28. August.

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