Einen Anstieg bei den Corona-Patienten gab es am Nordbremer Krankenhaus immer wieder, aber keine Herbstwelle war bisher so wie diese: Die Klinikkräfte versorgen inzwischen fast doppelt so viele Infizierte wie in anderen Jahren – mit der Folge, dass es nicht mehr bloß eine einzige Covid-Station an der Hammersbecker Straße gibt, sondern inzwischen anderthalb Abteilungen abgesperrt sind. Und demnächst möglicherweise zwei. Das Personal stellt sich auf ein weiteres Plus bei den Fallzahlen ein. Nicht nur wegen des Freimarktes, der an diesem Freitag beginnt.
Jeden Vormittag gehen Mediziner und Pflegekräfte durch, wie viele Patienten mit Corona in den isolierten Bereichen betreut werden – und wie viele neu dazugekommen sind. An diesem Donnerstagmorgen kommt Frank Wösten auf 28 Frauen, Männer und Kinder, die sich mit dem Virus angesteckt haben und deshalb am Klinikum behandelt werden müssen. Der ärztliche Direktor sagt, dass es bei keiner anderen Herbstwelle so viele waren. Nach seiner Rechnung wurden in den Vorjahren auf der Covid-Station bis zu 15 Menschen zugleich versorgt. Der Chefmediziner spricht jetzt von einem regelrechten Schub. Und davon, dass die Tendenz steigend ist.
Dass es in diesem Herbst mehr sind als in anderen Jahren, kommt für Wösten keineswegs überraschend: weniger Auflagen zum Schutz für die Menschen, mehr Fälle zur Versorgung für die Klinikkräfte. Ihm zufolge geht es inzwischen allen Krankenhäusern so. Und können darum immer weniger Mitarbeiter nachvollziehen, warum Gesundheitsbehörden und -ministerien nicht gegensteuern. Der Chefmediziner sagt, dass es vielen so vorkommt, als gäbe es ein Paralleluniversum – mit einer Welt, in der Corona immer weniger eine Rolle spielt, und einer anderen, in der das Virus allgegenwärtig ist. Die eine Welt ist außerhalb der Klinik, die andere innerhalb.
Momentan sind es vor allem ältere Menschen, die wegen Covid im Klinikum behandelt werden. Die Krankheitsverläufe stuft Wösten überwiegend als mild ein. Eine Person muss beatmet werden. Auch ein Kind ist betroffen. Und weil jeder Corona-Fall mehr Betreuung braucht als jeder andere Patient, hat das Krankenhaus wieder mehr Personal von anderen Stationen abgezogen. Dabei fehlen auch dort Fachkräfte, zum einen wegen des allgemeinen Mangels, zum anderen wegen Corona. Nach Angaben des Chefmediziners müssen sich mittlerweile im Schnitt fünf Mitarbeiter pro Tag krank melden, weil der Schnelltest positiv ausgefallen ist.
Um sicherzustellen, dass auch weiterhin Not- und Covid-Fälle behandelt werden können, ist das Klinikum dabei, erneut die Zahl der OPs herunterzufahren. Eingriffe, die sich verschieben lassen, sollen nun auch verschoben werden. Wösten sagt, dass es nicht anders geht, obwohl das Krankenhaus eigentlich mehr statt weniger Operationen zum Ziel hat. Und lieber schneller Covid-Patienten entlassen würde, als es manchmal kann. Weil viele der älteren Patienten nach ihrer Behandlung nicht wieder nach Hause können, sondern von einer Pflegeeinrichtung aufgenommen werden müssen, dauern die Klinikaufenthalte mitunter Wochen statt Tage.
Und das macht die angespannte Lage noch angespannter. Der ärztliche Direktor geht nämlich davon aus, dass es in der nächsten Zeit mehr freie Betten auf den Covid-Stationen braucht als bisher – und noch mehr Personal, das dort im Einsatz ist. Er rechnet damit, dass die Fallzahlen wegen der fehlenden Auflagen zum Schutz vor dem Virus weiter steigen werden. Und dass sie demnächst noch steiler nach oben gehen werden als bisher. Wösten glaubt, dass auf die Bremer Kliniken das Gleiche zukommt, was die Münchner Krankenhäuser nach dem Oktoberfest erlebten: kaum noch freie Intensivbetten. Warum, fragt er, sollte es beim Freimarkt anders sein?