Darauf war Verlass: Stiegen die Temperaturen, sank die Zahl der Covid-Fälle. Jetzt nicht mehr. Dieser Sommer, sagen Klinikkräfte, ist anders. Statt sich im Juni, Juli und August auf die nächste Corona-Welle vorzubereiten, sind sie längst wieder in einer. Die Lage ist so angespannt wie sonst im Winter. So sagen es Karen Matiszick und Frank Wösten. Für die Sprecherin des Klinikverbundes Gesundheit Nord und den ärztlichen Direktor des Krankenhauses an der Hammersbecker Straße hat der Krisenmodus quasi nie aufgehört.
Nach Matiszicks und Wöstens Statistik gibt es im Nordbremer Klinikum jetzt genauso viele Covid-Patienten wie im Januar: 25. Auch ein Kind ist darunter. Der Chefmediziner sagt, dass drei Betroffene künstlich beatmet werden müssen. Und dass das Aufkommen an Corona-Fällen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, in diesem Jahr bislang gleichbleibend hoch ist. Schon in den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben die Pflegekräfte und Mediziner mehr Menschen versorgt, die sich infiziert haben, als im gesamten Vorjahr zusammen. Verbundssprecherin Matiszick kommt auf 381 Patienten in 2021 und auf bisher 467 in 2022.
Klinikum Nord: Immer mehr Mitarbeiter sind am Ende
Und das hat Folgen – fürs Krankenhaus und fürs Personal. Weil die Ziffern nicht sinken, sondern im Gegenteil noch steigen, kann das Klinikum in diesem Sommer nicht machen, was es in anderen Sommern konnte: den Operationsbetrieb wieder hochfahren. Nach Wöstens Worten müssen weiterhin Eingriffe verschoben werden. Anders, meint er, geht es nicht, um für die Corona-Fälle genügend Ressourcen zu haben. Und die zu finden, wird ihm zufolge immer schwerer, je länger die Pandemie und das hohe Aufkommen an Covid-Patienten anhält. Schon vor Monaten sprach er von einer neuen Qualität des Personalmangels. Jetzt spricht er von einer weiteren Steigerung dieses Mangels.
Inzwischen gibt es nicht nur Ausfälle von Beschäftigten, die sich das zweite Mal angesteckt haben, sondern das dritte Mal. Und immer mehr Mitarbeiter, die sagen, dass sie nicht mehr können – und entweder in Teilzeit gehen oder ganz aufhören. Nach Rechnung des ärztlichen Direktors fehlen inzwischen 55 von rund 400 Pflegekräften und Medizinern des Klinikums, was etwa dem Personalkontingent von zwei Stationen entspricht. Wösten und Unternehmenssprecherin Matiszick sagen, dass viele der Beschäftigten nicht nachvollziehen können, warum überall die Corona-Auflagen gelockert werden, wenn doch in den Kliniken nach wie vor Krisenbetrieb herrscht.
Nicht nur im Bremer Norden fehlt es an Kapazitäten
Und immer mehr Krankenhäuser keine freien Kapazitäten mehr haben. Wösten hat im Computer nachgeschaut. Noch vor Monaten konnten vom Klinikum an die 40 Patienten in benachbarte Kliniken gefahren werden – inzwischen steht jedoch auch bei denen das Meldesystem, an dem sich Rettungswageneinheiten orientieren, auf Rot. Und Rot bedeutet: keine Plätze mehr, jedenfalls nicht für Patienten, die keine akuten Notfälle sind. Laut Wösten gibt es jeden Morgen eine sogenannte Belegungskonferenz. Die Stationschefs sollen sagen, wer von ihnen noch einen Patienten aufnehmen oder jemanden aus dem Team abgeben kann. So jedenfalls der Plan.
Alle Kliniken des Verbunds machen das inzwischen so. Und alle wissen nach Ansicht des Chefmediziners, dass sie bei einem anderen städtischen Krankenhaus gar nicht erst nach freien Kapazitäten zu fragen brauchen, weil es allen gleich geht. Wösten sagt, dass sie bisher jede Corona-Welle durchgestanden haben. Nur dass er diesmal nicht weiß, wie sie die nächste durchstehen sollen – wenn denn keine Zeit bleibt, sich auf sie vorzubereiten. Und Gesundheitspolitiker nicht viel mehr tun, als vor einer dramatischen Entwicklung im Herbst zu warnen.