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Nordbremer Klinikum Das Demenz-Projekt

Das Nordbremer Klinikum hat seine Arbeit mit Demenzpatienten neu ausgerichtet – und ein Projekt gestartet, das es so an einem Krankenhaus des städtischen Verbundes Gesundheit Nord noch nicht gegeben hat.
15.09.2023, 18:00 Uhr
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Das Demenz-Projekt
Von Christian Weth

Klinikärzte haben weiße Kittel, Pflegekräfte grüne – und Janina Jünemann trägt einen in einer Farbe, die neu am Nordbremer Krankenhaus ist: gelb. Sie ist weder Medizinerin noch Krankenschwester und trotzdem eine Fachkraft. "Demenzbegleiterin" steht auf ihrem Namensschild. Jünemann kümmert sich um Patienten, die mitunter nicht wissen, wo sie sind, wer sie sind und wen sie vor sich haben. Sie ist Teil eines Projektes, das es so an einer Klinik des städtischen Verbundes Gesundheit Nord noch nicht gegeben hat. Und das weitergehen soll, als alle bisherigen Bemühungen, für Menschen mit kognitiven Defiziten da zu sein.

Seit Juni ist Jünemann im Haus. Und an diesem Morgen seit acht. Erst hat sie mit einer Frau einen Papierschmetterling ausgeschnitten, dann einem Mann vorgelesen. Beide werden Jünemann, 40, blond, Pferdeschwanz, am nächsten Morgen, wenn sie wieder bei ihnen ist, nicht wiedererkennen. Aber sie werden vielleicht etwas mit ihr in Verbindung bringen. Die Demenzbegleiterin sagt, dass es der gebastelte Schmetterling sein kann, der in der Erinnerung bleibt. Oder ihr gelber Kittel: "Die Sonne" – das hat sie schon häufiger gehört, wenn sie zu Patienten ins Zimmer gekommen ist. Mal bleibt es bei zwei am Tag, mal besucht sie doppelt so viele. Anfragen von Stationen gibt es mehr. Neulich waren es 23 auf einen Schlag.

Darum will das Krankenhaus an der Hammersbecker Straße das Projekt ausbauen. Und weil der Bedarf groß ist und immer größer wird, hat es überhaupt wieder angefangen, ein spezielles Angebot für Patienten zu schaffen, die erst ihr Kurzzeit-, dann das Langzeitgedächtnis und schließlich alle erworbenen Fähigkeiten verlieren. Bisher gab es eine einzige Station, die Klinikkräfte als demenzsensibel eingestuft haben. Jetzt steht vor allen Abteilungen dieses Attribut. Weil Jünemann in allen Dienst macht. Sie und ein Kollege, der seit zwei Wochen das Team im gelben Kittel verstärkt. Ab Oktober soll es doppelt so groß sein. Und dann aus zwei Frauen und zwei Männern bestehen. Und aus zwei Jüngeren und zwei Älteren.

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Dass sich das Klinikum mehr auf Patienten mit Demenz ausrichtet, hat damit zu tun, dass es auch mehr Menschen mit dieser Diagnose hat als andere Krankenhäuser. Wegen der Geriatrie. Und weil die Zahl der Betroffenen allgemein steigt. Das Krankenhaus kommt auf 40.000 Patienten im Jahr, die stationär und ambulant versorgt werden. Und inzwischen auf eine Quote von 40 Prozent, die kognitive Einschränkungen haben. Davon geht jedenfalls Silvia Schade aus. Sie ist die Koordinatorin in dem Team, das die Arbeit auf den Stationen neu ordnet – und Anne Stradtmann diejenige, die gesagt hat, dass es so, wie es ist, nicht bleiben kann. Die Pflegewissenschaftlerin und die Pflegedirektorin haben sich quasi für eine dritte Stufe entschieden.

Eine Demenzexpertin, die in akuten Situationen den Pflegekräften hilft, gibt es schon länger. Genauso wie Demenzbeauftragte unter den Stationskräften, die sich mit den Grundlagen der Erkrankung auskennen. Nur fehlte eben bisher Personal, das Demente im Klinikalltag über Stunden begleitet. Das quasi macht, wofür Pflegekräften in der Regel keine Zeit bleibt. Jünemann ist manchmal wie eine Animateurin, die versucht, einen Patienten aus seiner Lethargie zu holen – die ihm vorliest, mit ihm bastelt, spazieren geht, ein Spiel spielt, ein Kreuzworträtsel löst. Und ein anderes Mal ist sie einfach nur da und hält jemandem die Hand. Bei der Untersuchung. Auf dem Weg zum Computertomografen. Oder am Bett.

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Stradtmann, Schade und Jünemann sagen es ähnlich: Unterm Strich geht es darum, Patienten zu beruhigen, die ängstlicher sind als andere, weil sie eben nicht wissen, warum ihnen jemand den Schalltrichter eines Stethoskops auf die Brust legen will – und was dieses kalte Ding mit dem Schlauch, der zu den Ohren eines Gesichts führt, überhaupt ist. Jünemann erlebt es immer wieder, was Pflegewissenschaftlerin Schade beschreibt: Dass Menschen mit Demenz aus Furcht mitunter in eine Abwehrhaltung gehen. Dass sie apathisch werden können und manchmal auch aggressiv. Dass es nicht selten Zeit braucht, bis sie sich auf jemanden einzustellen vermögen. Und dass ein Kontakt nicht immer zustande kommt.

Jünemann war früher Betreuungskraft in einer Tagespflegeeinrichtung. Um als Demenzbegleiterin arbeiten zu können, ist sie noch einmal geschult worden. Sie kennt Strategien, um jemanden dazu zu bringen, sich auf sie einzulassen. Sie weiß, wann es genug ist, das zu probieren. Und sie hat gelernt, damit umzugehen, für manche jeden Tag aufs Neue eine Fremde zu sein – obwohl es inzwischen der sechste Besuch in einer Woche ist.

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