Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Pflegedirektorin im Interview "Als Erstes muss sich die Bezahlung ändern"

Seit Juni gibt es wieder eine separate Pflegedirektorin am Klinikum Nord. Im Interview spricht Anne Stradtmann über ihre neue Position, ihre Bilanz nach 120 Tagen und darüber, wie sie Fachkräfte gewinnen will.
12.10.2022, 18:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Christian Weth

Frau Stradtmann, in den vergangenen Jahren gab es am Klinikum ausschließlich Pflegedienstleiterinnen, mit Ihnen gibt es wieder eine Pflegedirektorin. Warum?

Anne Stradtmann: Das ist nicht ganz richtig. Birgit Hilmer, die das Krankenhaus lange Zeit geleitet hat, war nicht nur geschäftsführende Direktorin, sondern auch Pflegedirektorin und ärztliche Direktorin in Personalunion.

Und weshalb gibt es für jeden Posten nun eine separate Person?

Der Klinikverbund hat seine Entscheidung, eine einzige Spitze einzusetzen, zurückgenommen. Zuletzt sind an allen seinen vier Krankenhäusern die Stellen der Pflegedirektoren nachbesetzt beziehungsweise neu besetzt worden.

Was macht denn eine Pflegedirektorin anders als eine Pflegedienstleiterin?

In Häusern von der Größe des Nordbremer Klinikums stehen in der Regel immer eine Direktorin oder ein Direktor an der Spitze. Als solche bin ich für die Pflege und deren strategische Ausrichtung verantwortlich. Wenn man so will, hat die Pflegedirektorin auch gleichzeitig die Position einer Geschäftsführerin, da auch ich Prokura habe.

Drei Direktoren, ein Haus – wer von Ihnen hat denn das letzte Wort, wenn es um eine Entscheidung geht?

Weil jeder von uns die geschäftliche Vertretungsmacht ausübt, hat jeder von uns für seinen Bereich auch das letzte Wort.

Und wenn es – wie so oft – ums Geld geht?

Wenn es um wirtschaftliche Entscheidungen geht, hat natürlich der geschäftsführende Direktor das letzte Wort. Allerdings hat sich das bei Personalangelegenheiten verändert.

Inwiefern?

Seit zwei Jahren ist es so, dass die Pflege eigentlich niemanden mehr fragen muss, wenn sie jemanden sucht und unter Vertrag nimmt. Die Pflegenden in der direkten Patientenversorgung werden ja über die Krankenkassen refinanziert. Allein das Finden ist das Problem.

Als Sie Ihren Dienst antraten, haben Sie gesagt, einen Koffer voller Ideen zu haben – und wie sehen diese Ideen für die Pflege aus?

Ich habe auch gesagt, dass ich auf alle Stationen gehen werde, um zu hospitieren. Jetzt war ich in der letzten Abteilung.

Aber zu hospitieren, ist doch keine Idee für die Pflege...

Aber daraus können Ideen werden. Und ich kann schauen, ob die Ideen auch wirklich zum Haus passen.

Was haben Sie sich denn bei Ihren Besuchen besonders angeschaut?

Ich habe mir angeschaut, auf welche Weise die Bereiche der Pflege untereinander und mit anderen Abteilungen des Klinikums agieren. Wie die Zusammenarbeit mit den Ärzten abläuft. Und ob es Positionen gibt, die verändert werden müssen. 

Und? Was haben Sie festgestellt?

Dass ich die Nachtdienste unterstützen muss. Es sollte eine Hauptnachtwache geben, die schnell dafür sorgt, dass eine Station verstärkt wird, wenn es die Lage erfordert. Außerdem bin ich dabei, Theorie und Praxis besser zu verzahnen: Wir haben eine Pflegewissenschaftsstelle ausgeschrieben, damit Patienten immer nach den neuesten Erkenntnissen versorgt werden. Und ich möchte das Selbstbewusstsein der Pflegenden stärken.

Und was ist mit neuen Pflegekräften?

Natürlich müssen auch mehr Pflegekräfte her. Es gibt keine größere Herausforderung als diese.

Lesen Sie auch

Alle Kliniken suchen Kräfte – was haben Sie denn noch nicht versucht, um welche zu bekommen?

Pflegekräfte aktiv abzuwerben und ihnen eine Prämie zu zahlen. Das haben wir noch nicht versucht – und das werden wir auch nicht versuchen.

Warum nicht?

Weil das eine Spirale nach sich ziehen würde, die niemals endet. Mein Ansatz ist ein anderer.

Nämlich?

Pflegekräfte zu gewinnen, in dem ihnen Aufstiegschancen statt Wechselboni angeboten werden. Und Arbeitsbedingungen, die immer weiter verbessert werden. Genauso wie die Aussichten, das Einkommen zu steigern.

Wie sieht denn Ihre Bilanz an Neuzugängen nach 120 Tagen als Direktorin aus?

Wir haben zuletzt Pflegefachkräfte und Hebammen eingestellt. Im Kreißsaal gibt es keine Mitarbeiterin mehr, die von einem Personaldienstleister bereitgestellt wird. Unterm Strich kommen wir seit Juni auf ein Dutzend Frauen und Männer, die ins Pflegeteam geholt wurden.

Wie viele Pflegekräfte gibt es denn momentan am Klinikum?

Um die 500 Menschen arbeiten in der Pflege und im Funktionsdienst. Wir stellen die größte Berufsgruppe des Krankenhauses.

Und wie groß sind die Lücken, die Sie noch schließen müssen?

Wenn es nach mir ginge, würde ich gerne eine Station, die wir mangels Personal wegen der Versorgung von Covid-Patienten geschlossen haben, wieder aufmachen.

Und wie viele Pflegekräfte sind das in Zahlen?

Ich würde gerne 20 bis 25 Kräfte einstellen. Momentan ist die Stelle einer Klinikpflegeleitung für den OP ausgeschrieben.

Und bis wann, glauben Sie, die 20 bis 25 Pflegekräfte gefunden zu haben?

Ich hoffe, das Personal im Oktober nächsten Jahres zusammenzuhaben.

Zuletzt kamen mehrere Fachkräfte aus Italien. Auf welches Land setzt das Klinikum denn jetzt, um Stellen zu besetzen?

Auf mehrere Länder. Wir stellen jetzt Pflegekräfte von den Philippinen, aus Tunesien und aus Mexiko ein.

Und was tun Sie, damit diese Kräfte auch bleiben?

Wir haben entschieden, dass ab November eine Mitarbeiterin freigestellt wird, um für das Personal aus dem Ausland da zu sein. Die Kollegin hat einen Migrationshintergrund und weiß deshalb, wie es sich anfühlt, in einem anderen Land zu sein. Wir sind davon überzeugt, dass es eine Integrationskraft braucht, um die Pflegekräfte halten zu können.

Andere schmeißen hin, weil die Belastung zugenommen hat. Wie oft ist das am Klinikum vorgekommen?

In der Zeit, in der ich am Klinikum bin, hat niemand vor Erschöpfung gekündigt. Allerdings haben mehrere Kräfte entschieden, die Arbeitszeit zu verkürzen.

Es gibt Politiker, die sagen, dass zu wenig getan wird, um den Beruf attraktiver zu machen. Was sagen Sie?

Ich würde erst einmal sagen, dass Politiker aufhören sollten, sich in die Belange der Pflege einzumischen. Auch sie haben dafür gesorgt, dass das Ansehen des Berufs gelitten hat. 

Und was schlagen Sie vor, um das Ansehen zu steigern?

Als Erstes muss sich die Bezahlung ändern. Außerdem sollte die Pflege selbst aufhören, sich schlecht zu reden oder reden zu lassen, indem sie ihre Belange in die Hand nimmt. Die Pflege soll sich in erster Linie um die Patienten kümmern können. Dafür schauen wir uns gerade im Klinikum den Qualifikationsmix auf den Stationen an.

Sie haben mal gesagt, dass der Pflegeberuf ein genialer Beruf ist. Wie meinen Sie das?

Der Beruf ist deshalb genial, weil er viele Möglichkeiten bietet, sich weiterzubilden und zu spezialisieren – und damit die unterschiedlichsten Positionen zu besetzen, nicht nur an einem Krankenhaus.

Erst ging es für Sie beruflich von Bremen-Nord nach Oldenburg, jetzt von Oldenburg wieder nach Bremen-Nord. Was hat sich Ihrer Meinung nach am meisten am Krankenhaus an der Hammersbecker Straße verändert?

Meiner Meinung nach ist spürbar, dass über Jahre eine separate Pflegedirektorin gefehlt hat. Dass das Selbstbewusstsein der Pflegenden nicht mehr so groß ist, wie es mal war. Und dass es noch weniger Personal gibt als vor Jahren.

Nichts Positives?

Doch. Das Leistungsspektrum ist größer geworden, es hat sich vieles weiterentwickelt. Und vor allem: Der Teamgeist hat sich erhalten. Als ich im Sommer kam, hatte ich sofort das Gefühl dazuzugehören. Und dieses Gefühl möchte ich auch den Pflegenden geben.

Das Interview führte Christian Weth.

Zur Person

Anne Stradtmann (49)

ist seit Mitte Juni neue Pflegedirektorin des Nordbremer Krankenhauses. Davor hatte sie mehrere Leitungsposten, unter anderem in Oldenburg. Stradtmann hat studiert, in verheiratet und wohnt in Bremen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)