An einer Station auf dem Rundweg um den ehemaligen U-Boot-Bunker Valentin in Farge macht Talon Giepz bei seinen Führungen immer halt: dort, wo einst die Betonmischanlage stand. „An dieser Stelle kann ich Besuchern die schrecklichen Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter besonders anschaulich schildern“, sagt der Schüler. Den Denkort-Besuchern erzählt der 14-Jährige dann, dass die Menschen, die von den Nazis zur Arbeit auf der Bunkerstelle gezwungen wurden, wie am Fließband 50 Kilogramm schwere Zementsäcke über eine steile Leiter zur Anlage hinaufschleppen mussten. „Die Mischanlage arbeitete sehr effizient. Die Zwangsarbeiter durften keine Verschnaufpause einlegen, wenn ihnen der Rücken wehtat.“
Seit drei Jahren führt Talon Giepz als Junior Guide Jugendliche und Familien durch und um den Denkort in Farge und durch die Gedenkstätte „Baracke Wilhelmine“ in Neuenkirchen. „Ich habe mich schon immer für Geschichte interessierte“, sagt der Gymnasiast, der die neunte Klasse an der Waldschule in Schwanewede besucht. Über einen Artikel in der Zeitung sei er auf das Junior-Guide-Projekt aufmerksam geworden, erzählt er. 2017 nahm er an einem ersten dreitägigen Ferienworkshop in der Baracke Wilhelmine teil, ein Jahr später an einem weiteren am Denkort in Farge.
In den Workshops, die sich an Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren wenden, hat sich Talon Giepz mit der Geschichte des Bunkers und der dazugehörigen Lager vertraut gemacht. Durch Zeitzeugen-Berichte lernte er die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter in den Baracken und auf der Bunker-Baustelle kennen. Den Abschluss der Workshops bildete jeweils eine eigene Führung durch die Baracke Wilhelmine und den Denkort Bunker, die Stationen konnte er selber auswählen.
Den ehemaligen U-Boot-Bunker in Farge kannte Talon Giepz bis dahin nur von außen. Als er während seiner Guide-Ausbildung zum ersten Mal im Innern des Betonriesen stand, sei er schon beeindruckt gewesen von der technischen Leistung der Architekten und Ingenieure, gibt er zu. „Gleichzeitig war die Atmosphäre zwischen den meterdicken Betonmauern aber auch sehr bedrückend. Man hat gefühlt: Das ist nicht einfach nur ein riesiges Bauwerk, sondern damit ist etwas Schreckliches verbunden“, meint der 14-Jährige.
„Meine Großeltern hatten mir schon von den Zwangsarbeiter-Lagern für den Bunker erzählt. Welches Ausmaß das Ganze hatte, habe ich aber erst in der Guide-Ausbildung erfahren“, sagt Talon Giepz. „Dass Tausende von Menschen aus ganz Europa als Zwangsarbeiter nach Farge gebracht wurden, finde ich erschreckend. Es gab verschiedene Baracken für Zwangsarbeiter aus Westeuropa, für Ostarbeiter und auch für Frauen.“ Bei seinen Führungen erzählt er Besuchern des Denkortes und der Gedenkstätte Baracke Wilhelmine über die ehemaligen Lager im Umfeld der Bunker-Baustelle: das Außenlager Farge des KZ Neuengamme, das sogenannte Arbeitserziehungslager, das Lager für sowjetische Kriegsgefangene, die Marinegemeinschaftslager und das Lager Heidkamp, in dem vor allem italienische Militärinternierte untergebracht waren.
Das Konzept für seine Führungen als Junior Guide hat er selbst erarbeitet. „Ich möchte Besuchern vor allem deutlich machen, unter welchen unmenschlichen Bedingungen die Zwangsarbeiter damals in Farge lebten und arbeiteten. Dazu beziehe ich auch Zeitzeugen-Berichte ein“, erzählt Talon Giepz. Was ehemalige Häftlinge über ihre Leidenszeit auf der Bunker-Baustelle schildern, zeigt bei den Teilnehmern der Führungen Wirkung, stellt der Schüler fest. „Mein Eindruck ist, dass Besucher dadurch den Schrecken der Zwangsarbeit erst richtig verstehen.“ Ihm selbst sei die Schilderung eines Zwangsarbeiters an der Betonmischanlage besonders nahegegangen: „Er berichtete, dass er damals weniger wog, als die 50 Kilogramm schweren Zementsäcke, die er schleppen musste.“
Bei seinen Führungen bekommt der Schwaneweder Schüler von den Besuchern auch Fragen gestellt. Manche interessiere vor allem die Technik des Bunkerbaus. „Es gibt aber auch viele, die sich für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter interessieren“, sagt Talon Giepz. Was er festgestellt hat: „Viele wissen oft gar nicht, was in der NS-Zeit hier in der Umgebung passiert ist“. Was damals vor Ort an schrecklichen Dingen geschehen sei, dürfe aber nicht in Vergessenheit geraten, meint der Schüler. „Man muss alles dafür tun, dass so etwas nicht wieder passiert“, sagt Talon Giepz, der als Junior Guide am Denkort Bunker und in der Gedenkstätte Baracke Wilhelmine dazu beiträgt, die Erinnerung wachzuhalten.
Neuanfang nach der Diktatur
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