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Long Covid "Kampf gegen Corona ist zu meinem Lebensmittelpunkt geworden"

Der Nordbremer André Tanski ist von Long Covid betroffen und kämpft täglich gegen die Spätfolgen seiner Erkrankung. Nicht jeder kann dabei nachvollziehen, vor welche Herausforderung ihn die Krankheit stellt.
26.01.2022, 11:47 Uhr
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Von Imke Molkewehrum

Nie wird André Tanski die zwölf einsamen Nächte und Tage nach seinem positiven PCR-Test Mitte März 2021 vergessen. "Ich bin montags noch ganz normal zur Arbeit bei ,Abeking & Rasmussen' gegangen – damals noch mit Stoffmaske. Aber während der Arbeit wurden meine Hände und Füße plötzlich eiskalt und schmerzten", erzählt der 57-jährige Schmied. Sein Meister habe ihn daraufhin umgehend nach Hause geschickt – mit vorherigem Abstecher zum Testzentrum in Blumenthal.

"Mein schwerbehinderter Sohn und meine rheumakranke Frau sind dann sofort auf Distanz gegangen, zumal bei meinem Sohn eine Augenoperation anstand. Ich war dann in der oberen Etage allein." Das Essen stellte Marion Tanski auf die Treppe, Gespräche liefen über das Telefon. "Mein gebrauchtes Geschirr, aber auch Kleidung habe ich in Tüten verpackt", erzählt der Nordbremer und räumt ein: "Das Ganze war für meine Frau anstrengender als für mich." 

Für eine Einweisung ins Krankenhaus sei er angeblich "zu gesund" gewesen, sagt der Blumenthaler, "dabei habe ich wegen der Schmerzen mit dem Kopf gegen die Wand gehauen. Ich hatte Todesangst und gleichzeitig Selbstmordgedanken." Geplagt haben ihn unter anderem starke Stiche im Bauch, Muskelschmerzen und eine extrem empfindliche Haut. "Aber das Schlimmste war der Schüttelfrost – trotz Wärmflasche, Wolldecken und Jogginganzug. Ich konnte nicht schlafen, habe immer gefroren und zehn Kilo abgenommen."

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Jeden Tag habe er sich aus dem Bett gequält, um sich den Ordnungshütern am Fenster zu zeigen. "Die haben sich hinterher entschuldigt, mich gestört zu haben, aber das musste ja sein." Am 1. April 2021 konnte sich André Tanski freitesten, aber die britische Corona-Variante B117 hat ihn bis heute im Griff.

Einige der ursprünglichen Symptome sind zwar verschwunden, es folgten aber andere Beschwerden. "Der Kampf gegen Corona ist inzwischen zu meinem Lebensmittelpunkt geworden", sagt André Tanski und holt eine stattliche Papierrolle mit einem selbst erstellten Befindlichkeits-Diagramm aus der Tasche. Es zeigt regelmäßige Ausschläge nach unten. 

Nach der zweifachen Impfung mit Moderna gehe es ihm zwar besser, sagt der 57-Jährige, "seither kommt der Crash nur noch alle zehn Tage, aber für drei Tage bin ich ein anderer Mensch. Ich fühle mich dann wie der Akku eines alten Handys."

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Zu schaffen machen ihm Kurzatmigkeit, Muskelschmerzen, Brennen in der Brust, Depressionen, Wortfindungs-Störungen und Konzentrationsmangel. "Ich kann dann nicht einmal ein Kreuzworträtsel lösen und sehe auch schlecht." Ein Arzt und ein Psychologe hätten ihm die Beeinträchtigungen bestätigt. "Früher bin ich einen Marathon in 3,5 Stunden gelaufen, sagt Tanski. "Das würde ich heute niemals schaffen, trainiere aber wieder. Sport war immer mein seelischer Ausgleich." 

Anfang dieses Jahres habe er auf der Werft auch seine Wiedereingliederung versucht. "Ich bin seit zwölf Jahren dort und mache als Schmied im Schiffsbau mit Hammer und Flamme Krummes gerade, werde aber wegen meiner Krankheit künftig den Nachwuchs anlernen." Aktuell ist André Tanski allerdings noch nicht einsatzfähig.

Selbst meine Frau kann nicht nachvollziehen, wie es in mir aussieht.
Long-Covid-Patient André Tanski

Hoffnung setzt er nun in eine Studie in Erlangen, an der er teilnehmen möchte. Dabei geht es um das Herzmedikament BC 007, das einigen Menschen mit schweren Long-Covid-Symptomen geholfen hat. Ihre Beschwerden klangen innerhalb kurzer Zeit ab. Nun unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die weitere Forschungsarbeit. 

Bereits seit Juni genießt Tanski den Austausch mit Leidensgenossen in einer Selbsthilfegruppe. Er habe sechs Wochen auf einen freien Platz gewartet. "Und es gefällt mir sehr, über die Krankheit zu reden", sagt er. "Selbst meine Frau kann nicht nachvollziehen, wie es in mir aussieht", so der Nordbremer. Leidensgenossen in der Gruppe hätten dagegen sofort verstanden, was er mit der "brennenden Orange hinter dem Brustbein" gemeint habe, "die ihm die Kraft aus dem Körper zieht". Die anderen konnten das sofort nachvollziehen", sagt der Blumenthaler und freut sich, dass er künftig wohnortnah eine Gruppe leiten wird. 

Long Covid wird noch nicht als Arbeitsunfall anerkannt

Sorgen bereiten ihm dagegen die Schriftwechsel mit der Berufsgenossenschaft (BG). Natürlich könne er nicht nachweisen, sich bei der Arbeit auf der Werft angesteckt zu haben. Aber die BG verlange von ihm den Namen desjenigen Kollegen, bei dem er sich angesteckt hat. Erst dann werde die Infektion als Arbeitsunfall anerkannt. "Gleichzeitig tut sich die Krankenkasse bei der Kostenübernahme schwer, weil ich nicht nachweisen kann, wo ich mich infiziert habe. Es geht einem schlecht, und dann kommt das noch dazu", klagt Tanski.

Den Folgesatz bricht er ab, atmet plötzlich schwer und braucht eine Pause. Nach einigen Minuten erholt er sich wieder, das Gespräch wird aber vorsichtshalber beendet. 

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