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Personalnot an Förderschule Paul-Goldschmidt Schule in Bremen-Lesum: Die Förderung kommt zu kurz

Wie sich der Personalmangel auf den Alltag an der Paul-Goldschmidt-Schule in Lesum auswirkt. Ein Besuch im Förderzentrum.
09.10.2023, 18:00 Uhr
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Paul-Goldschmidt Schule in Bremen-Lesum: Die Förderung kommt zu kurz
Von Julia Assmann

Für Leni ist dies ein besonderer Morgen. Ihr gelingt etwas, was sie bisher noch nicht geschafft hat. Als die Klasse im Morgenkreis zusammensitzt, hält die 14-Jährige zum ersten Mal den Schlegel für die Klangschale fest. Das ist ein großer Schritt für das Mädchen. "Seit einigen Wochen kann Leni auch die Gabel beim Essen selbst halten", sagt Astrid Radzun. Die 65-Jährige ist Sonderschullehrerin und gehört zum Team der Paul-Goldschmidt-Schule, die aktuell mit massiven Personalproblemen kämpft und den Unterricht deshalb für alle Klassen auf vier Tage pro Woche beschränken muss. Für Kinder von berufstätigen Eltern gibt es einen Notdienst.

An diesem Tag betreuen vier Fachkräfte die Klasse, die normalerweise aus fünf Jungen und vier Mädchen besteht. Eine Schülerin fehlt. Bevor der Notdienst an der Schule eingeführt wurde, durch den der Betreuungsschlüssel in den Klassen wieder erhöht werden konnte, war die Situation in den Klassen zum Teil extrem schwierig. Eine individuelle Förderung, wie sie an der Lesumer Schule für körperliche und motorische Entwicklung jedes Kind und jeder Jugendliche braucht, war kaum noch möglich, schildert Sonderschullehrerin Katarina Rodermond. "Das ist nicht nur für die Kinder und die Eltern eine unbefriedigende Situation, auch wir sind unzufrieden", sagt die 45-Jährige.

Ruheständler wurden reaktiviert

Etwas Entlastung haben inzwischen die Bemühungen der Schule und der Behörde um zusätzliches Personal gebracht. Kollegen, die bereits im Ruhestand waren, wurden reaktiviert, einige Kräfte haben ihre Stunden aufgestockt und ehemalige Freiwilligendienstler wurden angestellt. Schulleiter Michael Evers hofft, dass alle Bewerbungsgespräche, die aktuell geführt werden, erfolgreich verlaufen und mit einer Einstellung enden. Dann könnten die Schülerinnen und Schüler nach den Herbstferien wieder an fünf Tagen zur Schule kommen. Schwierig bleibt die Situation nach Einschätzung des Schulleiters aber auch dann noch. Seinen Angaben nach werden nach jetzigem Stand voraussichtlich 6,5 Sonderpädagogen-Stellen und 5,9 Assistenz-Stellen nach den Ferien nicht besetzt sein.

Für Leni und ihre Klassenkameraden steht nach dem Morgenkreis das Frühstück an. Helin kann nicht selbst essen. Sie bekommt ihr Frühstück von Andrea Mählmann. Die Krankenschwester gibt dem Mädchen Nahrungsbrei über eine Magensonde. Das nimmt einige Zeit in Anspruch und während die 60-Jährige mit Helin beschäftigt ist, kann sie sich nicht intensiv um andere Kinder kümmern. Yannick, der wie viele Kinder an der Schule Unterstützung beim Essen braucht, muss sich deshalb in der Zwischenzeit gedulden.

Individuelle Ziele für jedes Kind

Katarina Rodermond konzentriert sich derweil auf Mija. "Jedes Kind hat unterschiedliche Förderziele. Für Mija ist es eine besondere Herausforderung, beim Essen sitzen zu bleiben", erzählt die Sonderpädagogin. Mija kommuniziert mithilfe einer sprechenden Taste und Fingerzeichen mit ihr. "Wir brauchen Ruhe und müssen uns auf eine Sache konzentrieren können. Das ist ganz wichtig", erläutert Rodermond.

In den vergangenen Wochen war das nicht immer möglich. "Wir waren zum Teil nur zu dritt in der Klasse. Wenn ein Kind, das im Rollstuhl sitzt, ganz dringend auf die Toilette muss, müssen zwei von uns sofort mit ihm raus. Dann bleibt nur noch eine Kraft, die alle anderen Schüler im Blick behalten kann", schildert sie die Situation. "Da geht es dann nur noch um Anwesenheit, nicht mehr um individuelle Betreuung. Förderung ist so nicht mehr möglich und kommt zu kurz."

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Astrid Radzun sitzt neben Leni, die sich heute nicht richtig auf das Essen konzentrieren kann. Dass unbekannter Besuch im Raum ist, lenkt die Jugendliche ab. Sie ist sichtlich aufgeregt. "Ich muss gucken, dass Leni sich wieder beruhigt, sonst muss sie sich noch übergeben", sagt die erfahrene Sonderschullehrerin, die schon seit 30 Jahren an der Paul-Goldschmidt-Schule arbeitet. Ganz anders reagiert Yousef, der selbstständig isst und sich dabei durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Danach sortiert er ebenso entspannt Spielsteine in einen Kasten.

Auch Matthis lässt sich beim Frühstück nicht stören. Nadine Bren unterstützt den aufgeschlossenen Jungen, der interessiert nach den Geburtsdaten der Besucher fragt. Die 29-Jährige ist Heilerziehungspflegerin und seit den Sommerferien an der Paul-Goldschmidt-Schule. Angestellt ist sie wie viele Assistenzen beim Martinsclub. Anfang Oktober hat sie ein Sonderpädagogik-Studium begonnen und ihre Stunden damit reduziert. Bleiben will sie jedoch auf jeden Fall. Sie mag die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen.

"Alle, die hier arbeiten, sind mit vollem Herzen dabei", betont Andrea Mählmann, die ebenfalls beim Martinsclub angestellt ist. Wie alle Mitarbeiter hofft sie, dass bald Unterstützung durch zusätzliche Kollegen kommt. Sie sieht ein Problem in der Bezahlung. "Die ist nicht gut und das ist ganz klar das Problem." Immerhin für die pädagogischen Assistenzen der Schule hat die Senatorin für Kinder und Bildung inzwischen Stellen direkt bei der Behörde geschaffen. Dadurch sei das Spektrum der Bewerberinnen und Bewerber grundsätzlich erweitert worden und Stellen konnten besetzt werden, so Patricia Brandt, Sprecherin von Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD).

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