Die Männer gehen so vor wie der Arzt bei einer Schwangeren: Erst tragen sie Gel auf, dann kommt das Ultraschallgerät zum Einsatz. Nur dass die Männer eben keine Schwangere untersuchen, sondern den Stahl der Lesumbrücke. Der Ultraschall-Check ist ein Testverfahren von mehreren. Unterm Strich gibt es fünf Methoden, mit denen die Materialprüfer feststellen wollen, wie groß der Schaden an den Trägern ist.
Ende nächster Woche soll die Analyse abgeschlossen sein. Wie es mit der Autobahnbrücke weitergeht, die seit Wochen teilweise gesperrt ist, wird dann aber noch lange nicht feststehen. Sie sind jeweils zu dritt auf den beiden Bühnen, die unter die Brücke gefahren wurden. Auf der Plattform ist es so eng, dass sich Uwe Erler, Thomas Bließ und Jens Kubtscheck ständig absprechen müssen, wer was macht – und vor allem wo.
Alle drei arbeiten für die SLV Halle. Das Kürzel steht für Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt. Mehrere Meter unter ihren Füßen fließt die Lesum, wenige Zentimeter über ihren Köpfen verläuft der Stahl. Und auf dieser Seite der Brücke ist er älter als auf der anderen. Einige Träger stammen aus dem Jahr 1949, andere von 1956. Die Männer untersuchen alle.
Kubtscheck trägt das Gel auf, Bließ hält die Sensoren, Erler überwacht den Monitor. Statt Aufnahmen vom Inneren gibt es auf dem Bildschirm ausschließlich Kurven zu sehen. Erler spricht von Ausschlägen wie bei einem EKG. Und von Doppellagen und Trennschichten, die untersucht werden. Beides, sagt der Vorarbeiter, ist erst einmal nichts Schlechtes bei Stahl – „zumindest dann nicht, wenn die Ausschläge im Rahmen bleiben“. Die Männer sammeln quasi nur Werte, sie zu interpretieren, ist nicht ihre Aufgabe. Quadratmeter für Quadratmeter wird durchleuchtet. Am Ende des Tages werden es an die 200 sein.
Auf der zweiten Bühne wird anders geprüft
Hinter ihnen summt ein Heizlüfter, neben ihnen knistert eine Plane, die sie vor dem Wind schützen soll. Kalt und zugig ist es trotzdem. Drei Stunden sind die Männer unter der Brücke, dann gibt es eine Pause oben im Bauwagen. Hinab und hinauf geht es über eine Leiter im Inneren eines Stahlarms, an dem die Bühne hängt. Sie lässt sich schwenken. Über Funk sagen die Prüfer, in welche Position Torsten Caspari sie bringen soll. Er sitzt im Cockpit eines 36-Tonnen-Unterflursteigers. Neben ihm ist ein Joystick, mit dem er die Bühne steuert – und ein Monitor, mit dem er über die Männer wacht. Alle tragen Rettungswesten.
Auf der zweiten Bühne wird anders geprüft. Das kann man schon von Weitem hören. Stefan Löffelbein hält ein Gerät in den Händen, das Stücke von der Größe einer Schokoladentafel aus dem Stahl schneidet. Die Stücke kommen ins Labor, genauso wie die Späne, die beim Schneiden herunterfallen. Frank Radtke sagt, wo Löffelbein ansetzen soll. Auch Radtke arbeitet für die Lehr- und Versuchsanstalt in Halle. Auch er blickt immer wieder auf einen Bildschirm, auf dem Kurven sichtbar werden, wenn er einen Sensor an die Träger hält. Materialprobenentnahme nennt sich das, was die Männer machen.
Bei den Proben geht es um die Härteprüfung des Stahls, beim Ultraschall um den Nachweis von Rissen in Schweißverbindungen. Auch die chemische Zusammensetzung des Stahls wird überprüft. Daneben gibt es noch die Magnetpulverprüfung und die Sichtprüfung mit Endoskopen und Videoskopen. Die einzelnen Verfahren, sagt Jörg Tröger, sind Vorschrift bei einem Brückentest wie diesem. Der Mann arbeitet für das Amt für Straßen und Verkehr. Tröger ist Referatsleiter. Er koordiniert die Kontrollen der Prüfer. Nach seinen Worten sind sie gut vorangekommen: „Der Zeitplan wird eingehalten.“
Neue Lesumbrücke wird auf jeden Fall kommen
Ziehen die Ingenieure und Techniker in der nächsten Woche ab, beginnt die Materialprüfung im Labor. Tröger geht davon aus, dass die Resultate im Frühjahr vorliegen werden. Das heißt aber nicht, dass dann feststeht, was das Amt wissen will: ob die Träger saniert werden können oder nicht. Vorher, sagt Tröger, wird ein Sachverständiger die Ergebnisse der Prüfer bewerten – und dann mit dem Amt überlegen, was zu tun ist. „Die Sache“, meint Tröger, „ist komplex.“ Er hat sich auf monatelange Gespräche eingestellt. Darum sagt er auch nur so ungefähr, wann feststehen wird, wie es mit der Brücke weitergeht. „Im Sommer.“
Dass eine Versuchsanstalt aus Halle macht, was auch eine Bremer machen könnte, hat für Martin Stellmann einen simplen Grund: „Unsere Prüfer“, sagt der Amtssprecher, „haben keine Kapazitäten mehr.“ Darum wurde bundesweit nach einem Institut gesucht. Stellmann ist froh darüber, überhaupt noch eine Versuchsanstalt gefunden zu haben, die den Auftrag annehmen konnte. Denn alle Materialprüfer haben ihm zufolge viel zu tun, weil alle Städte in der Republik dasselbe Problem haben: „Viele Brücken sind inzwischen so alt, dass sie saniert oder abgerissen und neu gebaut werden müssen.“ Auch Bremen plant längst eine neue Lesumbrücke. Jörg Tröger sagt, dass sie auf jeden Fall kommen wird – nur wann, ist noch offen.