Insbesondere Kinder und Jugendliche aus wirtschaftlich benachteiligten Familien sind von psychischen Auffälligkeiten betroffen. Infolge der Belastungen durch die Corona-Pandemie haben psychosomatische Symptome, Zwangs- und Angststörungen, Depressionen und Essstörungen in den vergangenen Jahren noch zugenommen. Nicht selten ist die Situation für Erzieher, Lehrer und Betreuer eine Herausforderung. Wie sollen sie die Thematik ansprechen, wie mit ihr umgehen? Und wo gibt es Hilfe für die Kinder, aber auch für die betroffenen Familien?
Spezialisierte Fachkräfte stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Einrichtungen in sozial benachteiligten Quartieren ab sofort zur Seite. In Bremen-Nord arbeiten Marie-Christin Herbrich und Laura Thölken seit September als "Fachkräfte für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen".
Insgesamt sind in der Stadt Bremen sechs dieser Fachkräfte eingesetzt, zwei weitere in Bremerhaven. In den unterschiedlichen Stadtteilen arbeiten sie als Tandems, die sich jeweils aus einer therapeutischen und einer sozialwissenschaftlichen beziehungsweise gesundheitswissenschaftlichen Fachkraft zusammensetzen. Das vom Bremer Senat finanzierte Projekt läuft zunächst bis Ende 2023. Geplant und umgesetzt wird es von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen (LVG & AFS) in Kooperation mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Klinikums Bremen-Ost.
Dass auf dem Gebiet "psychische Gesundheit" Handlungsbedarf besteht, hatten unter anderem die Ergebnisse des Bremer Kinder-Corona-Gipfels im vergangenen Jahr gezeigt. Experten berichteten dort, dass besonders Kinder und Familien, die sich ohnehin in sozialen Problemlagen befinden und beispielsweise mit beengten Wohnverhältnissen klarkommen müssen, durch Corona zusätzlich unter Stress geraten sind. Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), bei der die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen untersucht wurden.
Bedarfe werden ermittelt
Zunächst konzentrieren die Teams sich auf die Gebiete, die mit Geldern aus dem Förderprogramm „Wohnen in Nachbarschaften" (Win) unterstützt werden. In Bremen-Nord sind das die Grohner Düne, Marßel, Blumenthal und Lüssum. "Derzeit steht für uns noch die Vernetzungsarbeit im Mittelpunkt", sagt Laura Thölken. Die 32-Jährige ist Psychologin und derzeit in der Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Sie und Gesundheitswissenschaftlerin Marie-Christin Herbrich besuchen aktuell regelmäßig Einrichtungen sowie Helferinnen und Helfer in den Quartieren, um sich bekannt zu machen. Auch mit den Gesundheitsfachkräften in den Quartieren und an den Schulen arbeiten sie zusammen. Gleichzeitig ermitteln sie bereits, welche Bedarfe bestehen. Einiges hat das Team bereits erfahren.
"Die Kinder und Jugendlichen haben verlernt, Konflikte untereinander zu bewältigen. Und sie haben keine Strategien für den Umgang mit eigenem Frust. Die Folge ist, dass sie aggressiver miteinander umgehen", nennt Thölken ein Beispiel. Auch die Konzentrationsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen habe nachgelassen, haben die Frauen erfahren. "Im Unterricht müssen mehr Pausen gemacht werden", sagt Herbrich. Die 34-Jährige zählt weitere Probleme auf: "Depressive Symptome haben zugenommen, die Mediennutzung ist stark gestiegen und der Übergang von der Kita in die Schule fällt schwerer, weil die Kinder es nicht mehr gewohnt sind, feste Strukturen zu haben und über längere Zeit mit anderen Kindern zusammen zu sein." Auch die Zahl der Kinder mit traumatischen Erfahrungen und entsprechenden Verhaltensweise habe zugenommen.
Die geplanten Beratungs- und Informationsangebote richten sich in erster Linie an sozialpädagogische Fachkräfte und Familien. "Was wir nicht machen, sind Einzelfallberatungen", betont Laura Thölken. In erste Linie gehe es darum, zu informieren, zu sensibilisieren und fortzubilden. "Wir werden beispielsweise Infoabende in Kitas und Schulen, Workshops und Fachtage anbieten und uns dabei inhaltlich am jeweiligen Bedarf vor Ort orientieren." Dabei, das betonen die Fachkräfte für psychische Gesundheit, gucken sie stets darauf, welche Angebote bereits existieren. "Wir wollen ergänzend arbeiten und nichts doppelt anbieten."