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Lärm des Industriehafens Bremen-Oslebshausen: Anwohner sehen Schmerzgrenze erreicht

In Oslebshausen gehört der Lärm aus dem Industriehafen seit jeher zum Alltag. Irgendwann muss aber Schluss sein, finden Anwohner, Bürgerinitiative und Beirat. Was die Ortspolitik nun fordert.
04.03.2024, 08:00 Uhr
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Bremen-Oslebshausen: Anwohner sehen Schmerzgrenze erreicht
Von Anne Gerling
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Die Geräuschkulisse hätte passender nicht sein können, als am Mittwochabend der Gröpelinger Beirat im Bürgerhaus Oslebshausen tagte: Im Industriehafen wurden just in diesen Tagen große Mengen Metallschrott verladen, was den Haupttagesordnungspunkt unüberhörbar veranschaulichte –  die Lärmbelastung in Oslebshausen. Die nämlich hat nach Ansicht vieler Oslebshauserinnen und Oslebshauser ein Ausmaß erreicht, das für sie nicht mehr erträglich ist. Die große Befürchtung: Dass es durch Zukunftsprojekte wie die an der Reitbrake geplante Bahnwerkstatt oder die Umstellung der Hütte auf klimaneutral produzierten Stahl langfristig noch lauter wird. „Wir wissen um die Wichtigkeit dieser Anlagen und wollen Güter auf die Schiene bringen –  aber wir wollen nicht mehr Lärm“, fasste Ortsamtsleiterin Cornelia Wiedemeyer zu Beginn der Sitzung die Stimmung im Ortsteil zusammen.

Wie sind die gesetzlichen Vorgaben?

Dazu, wo und wann wie viel Lärm zulässig ist, gibt es ein komplexes Regelwerk – etwa die Verkehrslärmschutzverordnung oder die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, kurz TA Lärm, die als Bewertungsgrundlage bestimmte Lärm-Richtwerte für Wohn-, Misch-, Gewerbe- und Industriegebiete vorgibt. Die besondere Situation in Oslebshausen, die dort immer wieder zu Konflikten führt: Im nur wenige Hundert Meter vom Wohngebiet entfernten Seehafen gilt die TA Lärm nicht. Um die Bremer vor zu viel Lärm schützen zu können, erstellt das Umweltressort alle fünf Jahre einen Lärmaktionsplan für die drei Verkehrslärmarten Straßenverkehr, Schienenverkehr und Flugverkehr sowie für Gewerbe, Industrie und Häfen.  Die dabei verwendeten Werte werden nicht vor Ort technisch gemessen, sondern errechnet. Im Lärmaktionsplan werden Maßnahmen vorgeschlagen, um die am stärksten von Umgebungslärm betroffenen Menschen zu entlasten; aktuell arbeitet die Stadt an einem neuen Lärmaktionsplan, der in diesem Jahr veröffentlicht werden soll.

Wie ist der aktuelle Stand bei Bahnwerkstatt und Stahlwerk?

Zwei geplante Vorhaben könnten nach Ansicht der Menschen im Ortsteil den durch die bereits im Industriehafen ansässigen Betriebe verursachten Geräuschpegel künftig noch erhöhen: Die an der Reitbrake geplante Bahnwerkstatt und der Stahlwerk-Umbau. Im aktuell laufenden Planfeststellungsverfahren zur Bahnwerkstatt hat der Beirat im November das Vorhaben in der geplanten Weise abgelehnt. Denn laut einem von den Ortspolitikern in Auftrag gegebenen Gutachten entspricht das vom Investor vorgelegte Gutachten nicht den Anforderungen der  TA Lärm. Von der Firma Alstom, die die Bahnwerkstatt bauen will, fordern die Ortspolitiker deshalb, einen alternativen Standort zu suchen oder –   falls keiner gefunden wird  – „den Lärmschutz so nachzubessern, dass die TA Lärm vollumfänglich eingehalten wird.“

Deutlich weniger umstritten ist in Oslebshausen die Existenz der Hütte und die Notwendigkeit ihrer Transformation. Sorgen bereitet aber auch dieses Projekt den Bürgern, denn vom Stahlwerk bis zur Wohnanlage Wohlers Eichen ist es gerade mal ein Kilometer. Im Zuge des Genehmigungsverfahrens für das neue Elektrostahlwerk von Arcelor-Mittal gab es vorige Woche einen Erörterungstermin zu den Einwendungen gegen das hierzu erstellte Lärmgutachten. Hier fürchtet etwa die Bürgerinitiative (BI) Oslebshausen und umzu mehr Lärm durch den mit der Transformation verbundenen erhöhten Schrottumschlag. Dieser sollte, schlägt die BI deshalb vor, über das von Oslebshausen weiter entfernte Weserport-Terminal 3 direkt an der Weser abgewickelt werden und nicht über das im Industriehafen gelegene über Terminal 1.

Wie geht es Anwohnern in Oslebshausen?

Messwerte und rechtliche Vorgaben sind das eine. Das andere ist das persönliche Lärm-Empfinden, das offenbar bei vielen überstrapaziert ist. „Wenn man mal zwei Wochen weg war und dann wiederkommt, merkt man schon, was an Lärm da ist“, schildert etwa Tobias Stehle aus der SPD-Fraktion. Und seine Parteikollegin Larissa Krümpfer ergänzte an Häfen-Staatsrat Kai Stührenberg (Linke) aus dem Wirtschaftsressort und Vertreter seiner und der Umweltbehörde gewandt: „Was mir fehlt, ist, dass es Anerkennung gibt für die Wahrnehmung der Menschen, die hier leben und das empfinden. Die Belastung hier ist schon sehr hoch, und deshalb sind wir sehr empfindlich, wenn man es nicht anerkennt, wenn wir sagen, dass es uns zu viel ist.“ Beiratspolitikerin Marina Grünewald (Linke) erinnerte an den Schutzauftrag der Politik gegenüber den Bürgern: „Und da erwarte ich, dass es auch vonseiten der Behörde mal Reallärm-Messungen gibt.“ Darüber hinaus gebe es auch einen gesetzlichen Spielraum, unterstrich Linksfraktion-Sprecher Dieter Winge: „Die Kommunen haben die Möglichkeit, selber die Werte zu definieren, die Schutzmaßnahmen auslösen.“ „Es gäbe doch sicher Möglichkeiten –  wenn Bremen es will  – auch über die Vorgaben der EU hinaus etwas zu tun“, zeigte sich auch Ortsamtsleiterin Cornelia Wiedemeyer überzeugt.

Was fordert der Beirat?

Der Beirat pocht auf die im rot-grün-roten Koalitionsvertrag für die Wahlperiode von 2023 bis 2027 formulierten Ziele. Dazu gehört unter anderem, den „Lärmaktionsplan zu überprüfen, wie mehr verbindliche Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden können, um Lärm allgemein und in den besonders betroffenen Wohnlagen nachhaltig zu reduzieren“ und „Kompensationsstrategien für Stadtteile mit besonders hohen Umweltbelastungen wie Lärm, Feinstaub und wenig Grün unter Beteiligung örtlicher Akteure und Akteurinnen zu entwickeln.“ Vom Umweltressort fordert der Beirat vor diesem Hintergrund, schnellstmöglich ein Lärmkataster für Oslebshausen und die Umgebung des Industriehafens anzulegen, in dem sämtliche bereits bestehenden Lärmquellen sowie in Planung befindliche oder absehbare Projekte verzeichnet werden sollen. Darauf aufbauend müsse ein Lärmschutzkonzept mit dem Ziel erarbeitet werden, „insbesondere die nächtliche Lärmbelastung deutlich zu reduzieren und sicherzustellen, dass die neuen Projekte nicht noch zu einer Steigerung der Immissionen führen.“ Um die Behörde bei der Erstellung des Lärmkatasters zu unterstützen, denke der Beirat darüber nach, Bürger mit Messgeräten auszustatten, kündigte Pierre Hansen (SPD) an.

Was sagt der Staatsrat?

„Ich kann Ihnen nur versprechen, dass wir das ernst nehmen“, wandte sich schließlich Häfen-Staatsrat Kai Stührenberg (Linke) an den Beirat und die etwa 150 Zuhörer im Bürgerhaus und kündigte an: “Wir werden diesen Stadtteil nie ganz leise kriegen –  aber die Belastung muss weniger werden.“ Das Hauptproblem sei die fortlaufende Hinzufügung verschiedener Lärmverursacher im Industriehafen, nahm Stührenberg als Signal mit ins Rathaus: „Da müssen wir gucken, was wir an Lärmschutz machen wollen. Wo wir den Schrottumschlag machen, darüber müssen wir reden. Das sind berechtigte Anliegen.“ Bei der Umstellung des Stahlwerks sei sein Haus mit dem Umweltressort in engem Dialog: „Ich kann Ihnen zusagen, dass wir das eng begleiten. Wir wollen die Transformation ja nicht über die Menschen hinweg machen, sondern mit ihnen.“

Wie geht es weiter?

Der einstimmig beschlossene Antrag geht nun direkt ans Umweltressort. Ortsamtsleiterin Cornelia Wiedemeyer geht aufgrund der vorgegebenen Fristen davon aus, „dass wir schon nach Ostern berichten können, wie die Antworten dazu ausgefallen sind.“

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