"Du hast eine Stimme, lass sie raus", steht auf der einen Seite der Kiste. Auf der anderen Seite prangt der Bundesadler auf schwarz-rot-goldenem Untergrund. Der Deckel ist grün und mit einem Schlitz versehen. Nacheinander stecken die Schülerinnen und Schüler der Oberschule im Park in Oslebshausen ihre Stimmzettel in die Urne. Zwei Kreuze dürfen sie an diesem Schultag setzen – es ist die U-18 Wahl zum Bundestag.
Seit 25 Jahren finden in Deutschland U-18-Wahlen statt. 1996 wurden sie zum ersten Mal abgehalten, immer neun Tage vor der eigentlichen Wahl. Teilnehmen können alle Minderjährigen, die sich in Deutschland aufhalten. In Oslebshausen haben am Donnerstag mehr als 180 Schülerinnen und Schüler der siebten bis zehnten Klassen ihre Kreuzchen gesetzt. "Wie Briefwahl", sagt Sabine Toben-Bergmann. Sie ist die Leiterin des Freizeitheims Oslebshausen. Demokratiebildung geht alle an, davon ist Toben-Bergmann überzeugt. Deswegen organisiert sie seit mehr als zehn Jahren die Juniorwahlen.
Zwei zusammengeklappte Tischtennisplatten markieren die Wahlkabinen im Eingangsbereich der Schule. Lehrer Marc-Oliver Schmidt hat an einem Tisch davor Platz genommen. Er stellt sicher, dass die Stimmzettel auch in der Wahlurne landen. Doppelt gefaltet – und die Kreuze bitte nicht mit Füller machen, erklärt er den jungen Wählerinnen und Wählern. Für Meyra Ülker ist es die erste Juniorwahl, an der sie teilnimmt. Ihre zwei Stimmen hat sie abgegeben. "Die Meinungen von den Kindern sollen gehört werden", sagt die 12-Jährige. Deswegen findet sie es gut, dass sie bei der U-18-Wahl ihre Stimme abgeben darf. Im Unterricht hätten sie sich zur Vorbereitung auf die Wahl Werbespots der Parteien angesehen und am Wahl-O-Mat teilgenommen. Zudem habe sie in ihrer Freizeit die Parteiprogramme im Internet recherchiert, erzählt die Siebtklässlerin. "Ich wollte herausfinden, was die Parteien machen wollen, wenn sie gewinnen."
Auswertung der Zweitstimme
In 20 Wahllokalen in Bremen und Bremerhaven können Jugendliche ihre Stimmen bis zu diesem Freitag um 18 Uhr abgeben. Die Ergebnisse der Zweitstimmen werden nach Wahlkreisen, Bundesland und deutschlandweit ausgewertet. Auswirkungen haben diese Resultate nicht. Aber sie sind eine Möglichkeit, die Stimmen junger Menschen abzubilden – auch die jener, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Die U-18-Wahlen sollen die politische Meinungsbildung bei Jugendlichen fördern. "Ziel ist es, die jungen Leute auf den Wahlakt vorzubereiten", erklärt Ramona Ruf vom Bremer Jugendring. Der unterstützt die einzelnen Jugendeinrichtungen in der Vorbereitung der Wahl mit Materialien. Alles kann, nichts muss – so lautet das Motto. Eine Bedingung gibt es aber: „Wichtig ist, dass die Vorbereitung auf die Wahl überparteilich stattfindet und keine Tendenz geäußert wird.“
Im Stadtteil gebe es vergleichsweise wenig Wahlberechtigte, sagt Sabine Toben-Bergmann. So eine Juniorwahl könne deswegen auch eine Ermutigung sein, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. "Damit sich die Menschen in dem Staat einbringen, in dem sie leben." Aus diesem Grund üben Toben-Bergmann und die Lehrer das Prozedere der Wahl mit den Schülern. Die Wahlen zum Deutschen Bundestag sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim – so steht es im Grundgesetz. Für Toben-Bergmann bedeutet das, den Schülerinnen und Schülern immer wieder zu erklären, dass sie alleine in der Wahlkabine sein müssen und niemand ihre Entscheidung beeinflussen darf. Manche Schüler füllen ihre Stimmzettel trotzdem an die Fensterbank gelehnt aus und beraten sich mit ihren Klassenkameraden.
"Die Schüler von heute sind die Wähler von morgen", sagt Lehrer Marc-Oliver Schmidt. Deswegen sollten sich die Politik auch mit den Ergebnissen der U-18-Wahl beschäftigen. Sabine Toben-Bergmann erzählt, sie habe in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht – gerade was das Interesse der Politiker im Beirat angehe. Letztlich sollten die Juniorwahlen aber nicht die Lösung dafür sein, jungen Menschen eine Stimme in der Gesellschaft zu geben, sagt Ramona Ruf vom Bremer Jugendring. Vielmehr seien sie ein Zwischenschritt. Ruf spricht sich aus diesem Grund für eine Absenkung des Wahlalters aus. „Besser wäre es, die U-18-Wahl nicht mehr zu haben.“ Das sieht auch Sabine Toben-Bergmann so. "Man ist ab 14 Jahren strafmündig. Warum darf man dann nicht mitbestimmen?"