Diese Debatte, das kann man ruhig so sagen, startete weit unterhalb der Gürtellinie. Denn die sechs Politiker der Generaldebatte beim WK-Talk am Sonntag erzählten zu Beginn im vollbesetzten Saal im Bürgerhaus Hemelingen, was sie und ihre Mitarbeiter so alles an beleidigenden Nachrichten und Kommentaren erreicht. Ziemlich viel, das wurde schnell klar.
Kristina Vogt etwa, Fraktionsvorsitzende der Linken, sah ihr Gesicht im Fadenkreuz auf einer Postkarte, tituliert als „Missgeburt“ und „Schlampe“. FDP-Spitzenkandidatin Lencke Steiner drohte ein Mann Gewalt an, sollte sie nicht schweigen und Andreas Bovenschulte, Bürgerschaftskandidat der SPD, wurde unlängst als „menschenverachtendes Subjekt“ beschimpft, dem ein längerer Aufenthalt in einem „Arbeitslager in Sibirien“ zu wünschen sei – was dem Absender, er hatte nicht anonym geschrieben, eine Anzeige und eine Geldstrafe einbrachte.
"Es gibt Grenzen, was das Persönliche angeht"
Auch Jens Eckhoff, CDU-Bürgerschaftskandidat, und Frank Magnitz, AfD-Landesvorsitzender, hätten jeweils einen ziemlich dicken Stapel Hass-Mails ausdrucken und mitbringen können. Lediglich Grünen-Chefin Maike Schaefer ist nach eigener Aussage persönlichen Beleidigungen in den sozialen Netzwerken bislang entgangen. „Ich twittere aber nicht, habe auch keinen Instagram-Account“, sagte sie.
Muss man also als Politiker Beleidigungen aushalten? Ja, aber nicht alle: Das war der Tenor der Runde. „Es gibt Grenzen, was das Persönliche angeht“, sagte etwa Bovenschulte. „Und wenn es um Volksverhetzung, Nötigung und Bedrohung geht, sollte man ein klares P davorsetzen.“ Maike Schaefer: „Meine Familie darf nicht in Haftung genommen werden für das, was ich politisch vertrete.“ Der als Experte eingeladene Politikwissenschaftler Andreas Klee von der Bremer Universität – auch er hat Erfahrung im Umgang mit Hassmails – führte dieses Phänomen auch auf einen veränderten Stil der Politik zurück, in dem durch die digitale Kommunikation weniger zwischen einer Person und ihrer institutioneller Rolle getrennt werde.
Klee beschrieb die Kommunikation über soziale Medien als Medaille mit zwei Seiten: Einerseits als Instrument für Politiker, die ihre Botschaften dort verbreiten können und auch müssen, wenn sie als modern gelten wollen, was dann wiederum Reaktionen nach sich zieht. „Man kann als Person direkt nach außen kommunizieren, aber es ist auch eine Einladung, direkt zurück zu kommunizieren“, sagte er.
Überhaupt war Kommunikation, war Sprache das bestimmende Thema der Debatte, in der – anders als bei den Diskussionsrunden dieser Reihe, in denen es um die verschiedenen Politikfelder geht – der inhaltliche Wahlkampf der Parteien nur eine untergeordnete Rolle spielte. Entsprechend einig waren sich die Diskutanten bei der Frage, was Politiker tunlichst vermeiden sollten, wollen sie ihre Wählerinnen und Wähler erreichen. Klare Antwort von Maike Schaefer: „Verschwurbelte Antworten auf klare Fragen. Das ist es, was die Leute tierisch nervt.“
Mögliche Koalitionspartner: Maike Schaefer hält sich bedeckt
„Wir müssen uns immer fragen, ob wir das sagen, was wir sagen wollen oder ob wir es hinter Verwaltungsdeutsch verstecken. Das ist viel schwieriger, als es sich anhört“, sekundierte Andreas Bovenschulte. Auch Experte Klee merkte an, dass Politik erklärbar bleiben müsse. „Das ist die große Aufgabe.“ Jens Eckhoff wiederum vermisst seit geraumer Zeit große politische Debatten, „in denen man sich auch mal streitet“, wie sie Ende der 70er-Jahre um den Nato-Doppelbeschluss geführt wurden oder später um die Wiedervereinigung.
„Jetzt prügeln sich alle um die Mitte. Da trägt auch unsere Kanzlerin einen Teil der Verantwortung“, sagte er. Auf Bremer Ebene empfindet es Kristina Vogt als Teil ihres Jobs als Fraktionsvorsitzende, in der Bürgerschaft auch mal deutlichere Worte zu verwenden. „Debatten anzuheizen, gehört dazu. Ich rede, wie mir der Mund gewachsen ist“, sagte sie. Klartext hätte Vogt auch in der Runde gerne gehört, und zwar von Maike Schaefer über die von den Grünen favorisierten Wunschpartner für mögliche Koalitionen nach der Wahl. Jamaika mit CDU und FDP oder Rot-Rot-Grün mit SPD und Linken? Allein – trotz mehrerer Versuche und zwischenzeitlicher Schützenhilfe von Jens Eckhoff – zu einer Aussage hinsichtlich der grünen Präferenzen hinreißen ließ sich Schaefer nicht.
Einen Praxis-Tipp zur Vermeidung von Floskeln gab's von Lencke Steiner. „Versuchen Sie mal, Reden ohne die Worte ,kein', ,nicht', ,müssen' und ,aber' zu schreiben“, riet die Liberale ihren Kollegen. „Ich habe das im letzten Wahlkampf sehr bewusst gemacht, weil ich nicht nur sagen wollte, was die anderen falsch machen oder was mich stört. Wenn man diese Worte weglässt, kommt man ganz schnell in einen visionären Modus.“ Steiner empfahl sich und den anderen zudem mehr Ehrlichkeit. „Ich wünsche mir Politiker, die auch mal sagen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Oder die sagen: Ich weiß es nicht.“ Auch mit dem Risiko, dass das wiederum dann medial ausgeschlachtet werden könnte. „Ich glaube, dass wir eine Politikerverdrossenheit haben, keine Politikverdrossenheit“, sagte sie.
Magnitz sieht Politikverdrossenheit
Frank Magnitz, der zuvor lange geschwiegen hatte, sah das anders. „Es gibt eine Politikverdrossenheit. Das hat auch mit den Inhalten zu tun, über die wir reden, oder vielmehr, über die wir nicht reden. Die Leute können nicht mit ihrem Ohnmachtsgefühl umgehen, sie fühlen sich ausgegrenzt“, sagte er.
Die AfD und ihre Rolle bei der Veränderung von Politik war im Schlussteil der Diskussion das Thema. Für Bovenschulte liegt ein Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der rechtspopulistischen Parteien und einer „Verrohung“ der Politik auf der Hand. Schaefer hält die bisherige Einigung der Bürgerschaftsfraktionen im Umgang mit AfD und Bürgern in Wut, nach der auf ihre Beiträge jeweils ein Abgeordneter für alle anderen Parteien reagiert, für zu „weichgespült“. Sie plädierte für Gegenwind aus den einzelnen Fraktionen heraus.