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Heimtückischer Mord in Bremen Schmerz und Leid: Wie Eltern um ihren getöteten Sohn trauern

Robin Kalaf war 21 Jahre alt, als er im September vergangenen Jahres in Bremen ermordet wurde. Für seine Eltern stellt sich die Frage nach Gerechtigkeit. Hier erzählen sie, wie sie den Mordprozess erlebten.
23.07.2025, 05:00 Uhr
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Von Lisa-Josephine Glag

„Das Haus fühlt sich jetzt so groß an ohne Robin“, erzählt Lema Kalaf. Sie sitzt auf dem großen Sofa in ihrem Haus in Möllenbeck, gegenüber ist ein Traueraltar für das ältere ihrer zwei Kinder aufgebaut. Entlang der Wand befinden sich viele Bilder von Robin als Kind, Jugendlicher und junger Mann. Auf einem Tisch sind Andenken an Robin aufgebaut. „Von der Erde gegangen, im Herzen geblieben“ steht etwa auf einer Kerze, die ebenfalls ein Bild von ihm und seinen Geburts- und seinen Todestag zeigt. Daneben eine jesidische Flagge, Ketten und flackernde Kerzen.

Seine Eltern haben seine Parfüms dort auf dem Tisch platziert. So können sie seinen Duft noch einmal riechen, wenn sie ihn zu sehr vermissen. An dem Gedenkort für seine Familie sind eine stete Melodie und ein stetes Plätschern zu hören. Die Wassergeräusche und die musikalische Untermalung kommen vom Band, machen das Andenken an Robin omnipräsent - selbst wenn man den Blick abwendet.

Robin war gerade mal 21 Jahre alt, als er im vergangenen Jahr in Bremen heimtückisch ermordet wurde. Lema Kalaf und ihr Ehemann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, wollen erzählen, was für ein Mensch ihr Sohn war, den sie an diesem 17. September 2024 in einer Kleingartenanlage in Huchting für immer verloren haben. Der Angeklagte wurde Anfang Juli wegen Mordes verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 20-Jährige Robin Kalaf mit einem Messer heimtückisch tötete. Hintergrund zu dieser Tat war ein Streit, der sich schon den gesamten Tag über hingezogen hatte. Involviert waren der Angeklagte und mehrere seiner Freunde, drei Frauen, darunter die ehemalige Freundin des 20-Jährigen, sowie eine Gruppe Männer, zu der das spätere Opfer gehörte.

Eine große Lücke in der Familie

„Jeden Tag stelle ich ihm hier (am Traueraltar, Anm. d. Red.) eine Tasse Kaffee hin und zünde ihm eine Zigarette an. Ich habe früher nicht geraucht, jetzt rauche ich nur Robins Zigaretten“, beschreibt Lema Kalaf. Durch dieses Ritual fühlt sie sich ihrem Sohn ein bisschen näher, es lindert kurz den Schmerz.

Durch den Mord tat sich eine große Lücke im Leben der Kalafs auf, ihr Sohn fehlt ihnen sehr. „Robin war freundlich, hilfsbereit und hatte ein gutes Herz. Er war der beste Junge der Welt“, erzählt sein Vater mit Tränen in den Augen. Die Trauer ist noch immer frisch, Lema Kalaf kann seit dem Mord an ihrem Sohn nicht mehr arbeiten, ihr Kosmetikstudio ist momentan geschlossen. Ihr Mann muss während des Gesprächs mit dieser Zeitung immer wieder den Raum verlassen, zu sehr schmerzt ihn die Erinnerung. Robins Eltern und weitere Familienangehörige befinden sich in psychologischer Behandlung.

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„Robin hat immer alles von Herzen gegeben, er war ein richtiger Familienmensch. Er hat sich liebevoll um seinen jüngeren Bruder Robert gekümmert. Er war zukunftsorientiert, hatte Pläne“, schildert Lema Kalaf. Eigentlich hätten sie im Januar Robins Abschluss seiner Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Heizungs- und Sanitärtechnik feiern sollen. Mutter Lema Kalaf zeigt Videos, in denen Robin auf der Arbeit mit seinen Kollegen herumwitzelt. Für seine Eltern sind diese Aufnahmen etwas ganz Besonderes: Sie können ihren Sohn noch einmal lachen hören, seiner Stimme lauschen.

Nach Feierabend hat er mir häufig Blumen mitgebracht.
Lema Kalaf, Mutter von Robin

Für seine Eltern empfand Robin eine große Zuneigung, die Familie hat in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt. „Nach Feierabend hat er mir häufig Blumen mitgebracht, einfach so. Und dann hat er mich umarmt. Robin ist nicht mal vorher aus seiner Arbeitskleidung raus, er ist immer direkt zu mir gekommen“, schwelgt Lema Kalaf in Erinnerungen an ihren Sohn. „Er hat einfach Freude nach Hause gebracht. Egal wie sein Tag war, er ist immer mit einem Lächeln nach Hause gekommen“, erzählt sie gerührt. „Wenn er sich verabschiedet hat oder nach Hause gekommen ist, gab es immer einen Kuss für seinen Papa und mich.“

Kleine, liebevolle Momente

Dass sie diese kleinen, liebevollen Momente mit ihrem Sohn nie wieder erleben wird, ist für sie unbegreiflich. „Um 16.30 Uhr gucke ich immer noch nach draußen und denke, dass er von der Arbeit nach Hause kommt“, sagt sie und weint. „Ich glaube immer noch nicht, dass er nicht mehr hier ist und mir einfach genommen wurde, zufällig, von einem Fremden.“

In der Tatnacht hatten Robins Eltern erst gehört, dass er verletzt im Krankenhaus sei. Später nahmen sie an, dass er von der Polizei befragt werde. Informiert von Verwandten fuhren sie von Rinteln nach Bremen, wollten herausfinden, was mit Robin passiert ist. Am Tatort dann die Schocknachricht: Robin ist tot. Sein Vater habe seinen Schmerz in die Nacht geschrieben, Lema habe es im Schock die Sprache verschlagen, erzählt das Paar. Sie standen nur wenige Meter von dem leblosen Körper ihres Sohnes entfernt. „Ich wollte zu ihm, ihn sehen, aber das durfte ich nicht“, sagt seine Mutter voller Trauer.

Für die Beerdigung hat sie ihren Sohn selbst gewaschen und eingekleidet. Das zu tun, war ihr sehr wichtig: „Ich wollte ihn wieder schön machen“. Die Bilder von seinem Körper mit der tödlichen Verletzung und den Spuren der Obduktion wird sie nie vergessen. Sie zeigt eine Fotocollage, die sie erstellt hat. Die Aufnahmen zeigen, welche Kleidung sie für ihn ausgesucht hat. Es ist ein Anzug, wie man ihn zu Hochzeiten trägt, dazu einen Ehering. Denn die Hochzeit ist ein Meilenstein, den ihr ältester Sohn nie erleben wird, den sie mit ihrem Mann als Eltern nicht miterleben wird. Zur Collage schreibt sie: „Ich habe dir leider keinen Anzug für deine Hochzeit kaufen können.“ Es bleibt ihr nur der Anzug und der Ring für die Beerdigung des eigenen Kindes.

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Nicht nur der Tod von Robin, sondern auch der mehrmonatige Prozess hat Lema Kalaf und ihren Mann an ihre Grenzen gebracht. „Der Prozess hat uns so viele Schmerzen bereitet“, erzählt Lema Kalaf. Immer wieder detailreich zu hören, wie ihr Sohn gestorben ist, hat sie und ihre Familie psychisch stark belastet. Nach den Verhandlungen in Bremen seien die Autofahrten zurück nach Rinteln schwer gewesen, „wir haben nur geweint“, erzählt Robins Mutter. Beim Prozess dabei zu sein, war ihnen dennoch wichtig.

Eltern gehen in die Revision

Mit dem Urteil von Anfang Juli (wir berichteten) sind Robins Eltern nicht zufrieden. „Wir sind in Revision gegangen“, erklären Robins Eltern. An dem Tathergang, den das Landgericht Bremen festgestellt hat, hegen sie Zweifel, sehen den Verurteilten nicht als Einzeltäter. Vor allem wünschen sie sich aber, dass der junge Mann nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird. „Unsere Familie hat kein Leben mehr. Und der Täter darf nach ein paar Jahren wieder raus? Wo ist das gerecht?“, fragt sich das Ehepaar Kalaf.

Die Kalafs sind überzeugt: Der Mord an ihrem Sohn hätte verhindert werden können, denn der Täter war einschlägig vorbestraft. „Das hätte nicht passieren dürfen. Wo war die Jugendhilfe? Was haben die Gerichte gemacht?“, fragt sich Lema Kalaf. Sie weiß, wo von sie spricht: In den letzten Jahrzehnten hat sie in der Jugendhilfe und als Schulbegleiterin gearbeitet, war als Unterstützung in Problemfamilien und ehrenamtlich beim Kinderschutzbund tätig.

Seit über 25 Jahren leben die Kalafs bereits in Deutschland, sind aus ihrem Heimatland geflohen. Ihren Kindern wollten sie in Rinteln eine Zukunft bieten, haben sich für andere mit Migrationsgeschichte eingesetzt. „Ich habe so viel hier in Deutschland gearbeitet, hatte mehrere Jobs gleichzeitig. Wir beide haben hart gearbeitet, um unseren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. Wir haben ein Haus gekauft und eine schöne Familie gegründet. Und dann nimmt uns das ein Fremder. Einfach so“, sagt sie und braucht einen Moment, bevor sie weitererzählen kann. „Unsere Familie ist kalt geworden, es gibt keine Freude mehr.“

Ob die Familie in Möllenbeck bleiben will, weiß sie noch nicht. Das Haus ist zu groß und leer ohne Robin, es erinnert sie zu vieles an ihn. Gleichzeitig will sie genau das nicht verlieren: „Es gibt Blumen im Garten, die er gepflanzt hat. Das kann ich doch nicht einfach so zurücklassen“, erzählt Lema Kalaf. Und dann steht sie auf, um ihrem verstorbenen Sohn eine neue Zigarette anzuzünden.

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