26 Stunden Flug haben Cembalistin Nadine Remmert und Cellist Néstor Fabián Cortés Garzón gerade hinter sich gebracht. Um Mitternacht ist der Flieger aus der chinesischen Hauptstadt Beijing in Bremen gelandet. Trotzdem wirken die beiden überhaupt nicht müde, obwohl die letzten Proben für das Bremer Saison-Eröffnungskonzert anstehen, das am Freitag, 9. November, um 20 Uhr in der Kirche Unser Lieben Frauen ansteht. Im Gespräch mit dem Cellisten und Dirigenten, der das Bremer Barockorchester leitet, wird klar, woran das liegt. Nadine Remmert und ihr Kollege versprühen nur so die Glückshormone, die sie während ihrer sechswöchigen Tournee ins Reich der Mitte getankt haben. 20 Konzerte haben sie in ganz China gegeben, vom herbstlichen Norden bis hin zum tropischen Süden. Dabei sind sie quer durch das große Land gereist, per Bus, Flugzeug und Hochgeschwindigkeitszug und seien immer auf die Minute pünktlich angekommen, wie Nadine Remmert betont. Nur auf das letzte Konzert, das sie in Shanghai geben sollten, mussten sie verzichten, da die Visa der Orchestermitglieder abgelaufen waren.
Große Klassikbegeisterung
Wer die beiden von der Herzlichkeit und Begeisterungsfähigkeit der chinesischen Bevölkerung schwärmen hört, der versteht, woher diese Glückshormone kommen. "Die Konzerte waren sehr gut besucht bis ausverkauft. Und es waren unglaublich viele Kinder und Jugendliche im Publikum, die super begeistert waren. Ganz anders als in Deutschland", erzählt Nadine Remmert. "Bei den Zugaben traditioneller chinesischer Musik wurde mitgesungen und mitgeklatscht. Im Anschluss an die Konzerte kamen die Kinder und Jugendlichen zu uns und wollten Autogramme und Selfies mit uns machen. Das hat uns total berührt". Mit Händen geformte Herzchen gab es bereits beim Schlussapplaus. Und das, obwohl Barockmusik, die das Orchester auf Original-Instrumenten in historischer Aufführungspraxis aufführt, noch einmal spezieller ist als das Klassik-Genre. Besonders sei das Publikum beim Beat des südamerikanischen Barock im Codex Martínez Companón mitgegangen, erzählt der Dirigent, der selbst aus Kolumbien stammt. Wie erklären sich die Musiker die Begeisterung der Chinesen? "Klassik hat in China einen hohen Stellenwert. Da sie als so wertvoll erachtet wird, wollen die Chinesen auch ihren Kindern diese Musik nahe bringen", sagt der Dirigent
Über 42.000 Youtube-Abonnenten
"Ohne Präsenz in den sozialen Medien geht heute auch in der Klassik kaum noch etwas", weiß die Cembalistin. Schon 2015 mit Gründung des Bremer Barockorchesters begannen die Mitglieder einen Youtube-Kanal aufzubauen, der sich besonders während der Corona-Pandemie als segensreich erweisen sollte. So konnte das Orchester nicht nur seine große Reichweite ausbauen, sondern auch Spenden sammeln. "Wir zeichnen jedes Konzert auf und stellen es in unseren Kanal", erzählt Remmert. Die Favoritenliste werde tatsächlich von zwei Orchester-Suiten des von Musikwissenschaftlern oft als "Vielschreiber" ungnädig behandelten Barock-Komponisten Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) angeführt, mit jeweils einer Million Klicks pro Suite. Erst während der Tour stellten drei Musiker ein Filmchen mit dem Ausschnitt aus einer Orchestersuite von Telemann, zu der sie moderne Tanzbewegungen machten, auf Instagram. "Und wir hatten 17.000 Klicks binnen einer Stunde", erzählt Cortés. Über 42.000 Abonnenten zählt der Youtube-Kanal des Barockorchesters, diese Präsenz im weltweiten Netz führte schließlich dazu, dass eine große, europäische Konzertagentur meinte: "Ihr seid genau das Richtige für China." Und der größte chinesische Konzertveranstalter, das "Tangshan Poly Theatre Management", biss tatsächlich an.
Beeindruckende Konzertsäle
Konzerte hat das Bremer Barockorchester unter anderem in Chongqing gegeben, die mit ihren 20 Millionen Einwohnern größte Stadt der Welt. Dort fährt die Stadtbahn mitten durch ein 19-stöckiges Hochhaus. "In jeder chinesischen Stadt gibt es riesige Konzerthäuser, die in ihrer individuellen Ausprägung so beeindruckend sind wie die Hamburger Elbphilharmonie. Und die Akustik ist genauso gut wie in der Elphi, ein Traum", erzählt der Dirigent. Besonders beeindruckt hat ihn die Oper von Zhuhai, mit ihren über 2000 Sitzplätzen. Die Metropole liegt ganz in der Nähe der Sonderverwaltungszone Macau. "Das Opernhaus sieht aus wie eine riesige Muschel oder auch wie ein Raumschiff, dessen Hülle nachts mit Projektionen beleuchtet wird und das auf einer Halbinsel steht", erzählt die Cembalistin.
Tolles Tourmanagement
Auch von den drei chinesischen Künstlerbetreuerinnen schwärmen die Orchestermitglieder genauso wie von der Vielfalt der chinesischen Küche.
Dem Orchester liegt aus China übrigens bereits eine Einladung vor, wieder zu kommen. Aber jetzt freuen sich die Musikerinnen und Musiker erst einmal auf die gerade beginnende Konzertsaison und ihre Residenz im Tabakquartier in Woltmershausen, in der sie neue Konzertformate ausprobieren wollen.