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„Sichere Häfen“ Bund bremst Bremer Hilfsbereitschaft

Bremen, Oldenburg und Thedinghausen haben sich bereit erklärt, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufzunehmen. Doch das Bundesinnenministerium verteilt die Menschen nach der üblichen Quote.
09.07.2019, 20:00 Uhr
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Bund bremst Bremer Hilfsbereitschaft
Von Carolin Henkenberens

Mehr als 60 Städte und Kommunen in Deutschland haben sich seit dem vergangenen Sommer zu sogenannten sicheren Häfen für Geflüchtete erklärt. Bremen, Oldenburg, Thedinghausen und seit Kurzem auch Weyhe sagen: Ja, wir sind bereit, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufzunehmen. In Bremen ist dazu im August 2018 mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken eine Bürgerschaftsresolution verabschiedet worden. Doch bisher führen die Solidaritätsbekundungen nicht dazu, dass diese Kommunen zusätzliche Geflüchtete zugeteilt bekommen.

Nach Oldenburg und Thedinghausen sind nach Aussagen örtlicher Verantwortlicher bisher keine zusätzlichen Geflüchtete gekommen. „Wir haben dem Bundesinnenministerium grundsätzlich signalisiert, dass wir zusätzlich Menschen aufnehmen wollen, aber wir sind bislang nicht angefragt worden“, sagt ein Sprecher der Stadt Oldenburg. Nach Bremen kamen nach Auskunft der Sozialbehörde Anfang April acht aus Seenot gerettete Personen aus Eritrea, die über Malta nach Europa gelangten. Ende November 2018 sei zudem ein Mann aus dem Sudan, der mittlerweile in Bremerhaven lebt, gekommen. Aber: Diese Menschen wären auch ohne die Bekundungen zur Aufnahmebereitschaft in Bremen gelandet.

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Der Grund: Das Bundesinnenministerium (BMI) unter der Führung von Horst Seehofer (CSU) verteilt Geflüchtete, die von Schiffen wie der „Sea-Watch 3“ oder „Alan Kurdi“ aus dem Mittelmeer gerettet und von Deutschland aufgenommen wurden, wie üblich nach dem sogenannten Königssteiner Schlüssel. Dies berichtet ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage. Die Menschen werden also nach einer festen Quote auf die Bundesländer verteilt. Sie richtet sich nach der Höhe der Steuereinnahmen und Bevölkerungszahl in einem Bundesland. Nach Bremen kommen 0,96 Prozent aller Asylbewerber in Deutschland, nach Niedersachsen 9,41 Prozent.

Verteilung auf niedersächsische Kommunen erfolgt nach Verteilungsschlüssel

„Die Bundesländer werden von uns darum gebeten, bei der Verteilung jene Städte und Kommunen zu berücksichtigen, die sich zur Aufnahme bereit erklärt haben“, sagt ein BMI-Sprecher. Ob sich die Länder an diese Bitte halten, ist ihnen selbst überlassen. In Niedersachsen geschieht dies nicht. „Die Verteilung auf die Kommunen erfolgt nach dem gültigen Verteilungsschlüssel“, sagt eine Sprecherin des dortigen Innenministeriums. In Bremen fällt die Landes- und Kommunalebene ohnehin zusammen.

„Das Vorgehen untergräbt die Idee der solidarischen Kommune“, sagt Sofia Leonidakis, flüchtlingspolitische Sprecherin der Bremer Linksfraktion. Ihre Fraktion war es, die im August 2018 die Resolution zur Seenotrettung in die Bürgerschaft eingebracht hat. Dies geschah zu einer Zeit, als bundesweit eine Debatte über die Rechtmäßigkeit privater Rettungen entbrannt war. „Ich würde mir sehr wünschen, das Bundesinnenministerium würde diese Möglichkeiten nutzen“, sagt Bremens SPD-Chefin Sascha Karolin Aulepp über die Aufnahmeangebote der Städte. „Wir haben Platz und Strukturen, wir sind in der Lage, noch mehr zu schaffen“, findet Sahhanim Görgü-Philipp (Grüne). Auch die Bremer Innenbehörde gibt zu, dass man sich den Effekt der Solidaritätserklärung anders vorgestellt habe. „Unsere Annahme war, dass es zu zusätzlichen Aufnahmen führt“, sagt Sprecherin Rose Gerdts-Schiffler.

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Ob Deutschland Geflüchtete aufnimmt, die etwa in italienischen oder maltesischen Häfen festsitzen und über deren Verteilung es oft wochenlangen Streit unter den EU-Ländern gibt, entscheidet derzeit der Bund. 186 Mittelmeerflüchtlinge sind seit 2018 von Deutschland aufgenommen worden, hinzu kommen noch jene der „Sea-Watch 3“ und 40 Menschen von der „Alan Kurdi“. Doch viele Kommunen und Städte wollen selbst aktiv werden. So auch Bremen.

Ein politisches Zeichen setzen

„Ich finde es absolut richtig, dass Bremen sich zum sicheren Hafen erklärt hat“, betont Bremens designierter Bürgermeister, Andreas Bovenschulte (SPD). „Es geht darum, ein politisches Zeichen zu setzen.“ Für die kommenden vier Jahre gelte: „Bremen bleibt weltoffen.“ Ein Blick in den Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und Linke bestätigt das. Darin ist festgehalten, dass Rot-Grün-Rot ein Landesaufnahmeprogramm für aus Seenot gerettete Menschen oder in libyschen Lagern internierte Menschen aufsetzen will. Rechtlich übersteigt dies jedoch die Kompetenz eines Bundeslandes. Deshalb will sich die Koalition im Bundesrat dafür einsetzen, damit Länder auch ohne Zustimmung des Bundes Geflüchtete zusätzlich zu dem ihnen zugewiesenen Anteil in einem vereinfachten Verfahren aufnehmen können.

Das Bündnis „Seebrücke“, das am vergangenen Sonnabend eine Demonstration durch die Bremer Innenstadt organisiert hat, möchte ebenso „Migrationspolitik von unten“ machen, wie Aktivistin Liza Pflaum es nennt. „Wir wollen, dass auch Kommunen ihr Selbstbestimmungsrecht nutzen und Geflüchtete direkt aufnehmen können“, sagt Julia Maurer, Aktivistin der Seebrücke Bremen. Das heißt, dass sie Menschen über den Königssteiner Schlüssel hinaus und ohne Einverständnis der Bundesebene aufnehmen können.

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Die Aktivisten berufen sich dabei auf das kommunale Selbstbestimmungsrecht, wonach Kommunen über örtliche Angelegenheiten entscheiden dürfen. Was als örtliche Angelegenheit gilt, ist nicht abschließend vorgegeben, sondern unterliegt einem ständigen Wandel, schreibt die Juristin Helene Heuser von der Uni Hamburg in einem aktuellen Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Heuser zufolge kann der Schutz von Flüchtlingen nicht nur als staatliche, sondern auch als örtliche Angelegenheit angesehen werden. Allerdings: „Den Kommunen fehlen im aktuellen Rechtssystem bisher ausdrückliche Regelungen für die unmittelbare Aufnahme von Flüchtenden aus dem Ausland.“

Das BMI argumentiert, die Aufnahme von Geflüchteten habe „gesamtstaatliche Auswirkungen“. Es habe sich bewährt, dass der Bund darüber entscheide. Der Bremer CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp hält es für eine „Frage von Mitmenschlichkeit“, dass Deutschland vor dem Ertrinken gerettete Menschen und Flüchtlinge aus libyschen Internierungslagern aufnimmt. Er sagt: „Bremen sollte sich daran beteiligen.“ Den nationalen Verteilschlüssel zu ändern, hält er allerdings nicht für geboten.

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