Vermögensabschöpfung Clankriminalität: Der Rechtsstaat schlägt zurück

Der Kampf gegen die Clankriminalität ist ein Schwerpunkt von Polizei und Staatsanwaltschaft in Bremen. Dabei kommt in jüngster Zeit vor allem eine Maßnahme zum Einsatz.
18.03.2019, 07:00 Uhr
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Clankriminalität: Der Rechtsstaat schlägt zurück
Von Ralf Michel

Es ist ein ernstes Thema, aber einmal gelingt es Lutz Müller dann doch, seinen Zuhörern ein breites Grinsen zu entlocken. Zu sehen ist bei seinem Vortrag über Clankriminalität ein Foto, auf dem die Edelkarosse eines mutmaßlichen Täters abgeschleppt wird. Darunter steht als Bildunterschrift: „Das Abholkommando steht bereit.“

Heiterkeit und Nicken im Saal, besonders bei den Damen und Herren aus Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Ja, so könnte es funktionieren. Da sind sich die innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Landtagsfraktionen aus ganz Deutschland einig. Über den Versuch, die Geldströme der kriminellen Großfamilien nachzuvollziehen, und über die Vermögensabschöpfung, wenn der Verdacht besteht, dass Autos oder Immobilien mit Geld aus illegalen Tätigkeiten finanziert wurden. Berlin hat's vorgemacht, Bremen versucht es jetzt auch. Der Wagen auf dem Foto wurde nach einer Razzia im September einkassiert, am kommenden Donnerstag beginnt am Landgericht der Prozess gegen vier Männer aus Bremen.

Unübersichtliche Familienzusammenhänge

Die diesjährige Frühjahrskonferenz der innenpolitischen Sprecher von CDU/CSU in Bund und Ländern fand in Bremen statt. Wie immer viel zu diskutieren rund ums Thema Innere Sicherheit aus den Blickwinkeln der verschiedenen Bundesländer. Gelegenheit aber auch, um sich über Themen zu informieren, die im gastgebenden Bundesland besonders im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen. In Bremen zum Beispiel über die Clankriminalität. Als Referenten hatte der Bremer Innenexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Wilhelm Hinners, Polizeipräsident Lutz Müller gewinnen können.

Der leitet von dem Foto des abgeschleppten Wagens sofort über zu den Schwierigkeiten, auf die Polizei und Staatsanwaltschaft bei vermögensabschöpfenden Leistungen im Milieu der Großfamilien stoßen. In der Regel gehöre das konfiszierte Tatfahrzeug nicht dem Täter. Der habe den Wagen zumeist nur gemietet – von einem Familienmitglied, das eingetragener Besitzer ist, mit der Straftat aber nicht in direkter Verbindung steht.

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Probleme bei den Ermittlungen bereiteten der Polizei auch die oftmals unübersichtlichen Familienzusammenhänge, häufige Namensänderungen und vor allem die streng abgeschotteten Familienstrukturen der Clans. Prägend für die türkisch- und arabischstämmigen Mhallamiye-Großfamilien sei deren kultureller Hintergrund, erläutert Müller. „Familie und Ehre spielen dabei eine große Rolle.“ Manchmal würden die Clans sich zwar auch untereinander bekriegen. Aber auch dies werde untereinander geregelt. In der Ablehnung des Rechtsstaates herrsche nämlich wieder Einigkeit.

"Unsere Regeln werden nicht akzeptiert"

3500 Personen mit Mhallamiye-Hintergrund gibt es laut Polizei derzeit in Bremen. „750 davon haben eine Kriminalakte, aber nur 50 bis 100 bereiten uns wirklich Probleme“, ordnet Müller diese Zahl ein. Die würden vor allem durch Gewalt- und Strukturdelikte mit Bezügen zur Organisierten Kriminalität auffallen – Drogen, Einbrüche, Bandendiebstahl, Erpressungen oder zuletzt auch Callcenter-Betrug mit der Masche „falscher Polizist“.

Die gemeinsame Klammer dieser Delikte: „Wenig Aufwand, geringes Risiko, hohe Beute.“ Zuletzt seien außerdem auch vermehrt Aktivitäten mit Gastronomie- und Veranstaltungsbezug festzustellen, ergänzt Müller. Und das Bemühen, Geld in legale Geschäfte zu investieren, etwa den Kauf von Mehrfamilienhäusern, Baufirmen oder Speditionen.

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Im Fokus der Öffentlichkeit stünden jedoch vor allem die sogenannten Tumultlagen, meist verbunden mit gewalttätigen, bewaffneten Familien- und Geschäftsauseinandersetzungen. Hier trete die Ablehnung des Rechtsstaates besonders deutlich zutage. „Unsere Regeln werden nicht akzeptiert“, so Müller. „Man ist jederzeit bereit, das Recht des Stärkeren durchzusetzen.“

Verfolgungs- und Kontrolldruck erhöhen

Zum Beispiel nach dem Suizid eines Mitgliedes einer Großfamilie in einer Gartenparzelle, der zu einem Massenauflauf seiner Angehörigen und massiven Bedrohung der Polizisten vor Ort führte. Oder bei einer Schlägerei von 100 Personen nach einem Selfievideo auf einer Hochzeit. Oder bei einer Auseinandersetzung zwischen 25 Personen, die mit Schusswaffen, Macheten und diversen Messern geführt wurde.

Eine der beteiligten Familien soll zuvor in ihrer Ehre verletzt worden sein. Laut Müller wurden in den vergangenen fünf Jahren 51 solcher Tumultlagen in Bremen registriert. Gerade wegen deren großen Öffentlichkeitswirkung gehe es in solchen Fällen beim Einsatz der Polizei nicht nur um die Situation selbst, sondern auch um das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat.

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Um die kriminellen Strukturen in den Familienclans zerschlagen zu können, ihren Mitgliedern den Nimbus von Macht und Unangreifbarkeit zu nehmen, sei es notwendig, den Verfolgungs- und Kontrolldruck zu erhöhen, erklärt Müller. Dafür wiederum sei ein auf Dauer angelegtes ressort- und behördenübergreifendes Handlungskonzept erforderlich. Gut in diesem Zusammenhang wäre ein engerer, länderübergreifender Informationsaustausch, gibt Bremens Polizeipräsident den Innenexperten aus Bund und Ländern mit auf den Weg. „Und wir brauchen ein einheitliches Polizeigesetz. Aber möglichst nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.“

Info

Zur Sache

Großfamilien im Visier des BKA

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) will die Clan-Kriminalität stärker ins Visier nehmen. Im nächsten BKA-Lagebild zur Organisierten Kriminalität wird es erstmals ein Kapitel „Kriminelle Mitglieder von Großfamilien ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ geben, kündigte eine Sprecherin der Behörde an. Die Kriminalität von Angehörigen türkisch- und arabischstämmiger Großfamilien zeichne sich durch abgeschottete Familienstrukturen aus. Unter Missachtung staatlicher Strukturen, deren Werteverständnis und Rechtsordnung werde eine eigene Subkultur gebildet. Bremen sei einer der Schwerpunkte der Ermittlungen.

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