Der Verlust ist allgegenwärtig. In der Wohnung erinnern Fotos an Claudia, die Ehefrau und Mutter, in den Gesprächen ist sie anwesend. Seit einem Jahr ist Udo Jendroschek Witwer und sorgt allein für vier Söhne – er hat zwei Jungs mit in die Ehe gebracht, heute 20 und 18 Jahre alt, sie den 15-jährigen Dominik. Der Jüngste heißt Rune, er ist sechs und das gemeinsame Kind. Jan-Malte, der Älteste, wird bald ein Studium aufnehmen, Thorben hat gerade Abitur gemacht.
Die weitläufige Küche, die auf einen Balkon mündet und von einem monumentalen Esszimmertisch bestimmt wird, scheint Dreh- und Angelpunkt des Familienlebens zu sein. An dem langen Tisch haben alle Familienmitglieder samt Freunden und Gästen Platz. Hier wird gemeinsam gegessen und geredet, das ist dem Vater wichtig. Abends kocht er für seine Jungs, für die älteren, wenn der Kleine schon im Bett liegt.
Der Schmerz sitzt tief
Vor Udo Jendroschek liegt ein Zettel mit Stichworten. Er hat vor dem Gespräch seine Gedanken geordnet, der Schmerz sitzt tief. Der Tod der Mutter ereilte die Familie überraschend, die Zeit blieb stehen, Udo Jendroschek musste dennoch funktionieren, für seine Kinder das Gerüst der täglichen Routine aufrecht erhalten. „Es ist wie auf hoher See. Wenn etwas passiert, wenn die Wellen höherschlagen, kann man nicht den Anker setzen, denn dann gehen alle unter. Wir müssen weitersegeln.“
Udo Jendroschek ist Sozius einer Steuerberater- und Wirtschaftsprüfer-Kanzlei. Er arbeitet von 9 bis 19 Uhr, dann ist er für die Söhne da. Wenn der Jüngste schläft, wenn sich die anderen zurückgezogen haben, schaut er die Post durch, räumt die Waschmaschine oder den Trockner aus. Ab etwa 22 Uhr liegen meist noch einige Stunden Arbeit für die Kanzlei in seinem Arbeitszimmer vor ihm. Er stemmt mehr Aufgaben im Haushalt als zuvor, vom Großeinkauf bis zum abendlichen Kochen. Die Routinen eines Sechsjährigen, die er mit seiner Frau teilte, erledigt er alleine, vom morgendlichen Broteschmieren bis zum Zur-Schule- und abends Ins-Bett-Bringen.
Der Betriebswirt geht strukturiert vor, pragmatisch, praktisch. Das scheint in seinem Naturell zu liegen, sein Beruf erfordert es ebenfalls. Er ist Arbeitgeber und Kollege, alleinerziehender Vater und Haushaltsvorstand, hat Ehrenämter inne. Der Alltag sei enger getaktet als zuvor, „man wird dünnhäutiger“. Nicht jeder familiäre Interessenskonflikt könne ausdiskutiert werden, es gebe mehr klare Ansagen. In seltenen Momenten stoße er an die Grenzen seiner Belastbarkeit, räumt er ein, und durchlebe dunkle Minuten. „Aber es hilft nichts, herumzusitzen, sein Schicksal und seine Probleme zu beklagen. Man muss sie annehmen und angehen.“
Diszipliniert und zuverlässig
Ihr Alltag habe sich wenig verändert, sagen die größeren Söhne, Thorben und Jan-Malte. Sie brauchen noch Vaters Rat und Zuspruch, sind aber volljährig, erwachsen, selbstständig. Sie haben immer schon Aufgaben in Haus und Garten übernommen. „Meine Frau hat die Jungs schon ein bisschen mehr verwöhnt“ und bei ihren häuslichen Pflichten entlastet, sagt Udo Jendroschek. Doch seine Söhne seien nicht nur „tolle Jungs“, sondern auch diszipliniert und zuverlässig – Tugenden, die noch wichtiger für das Zusammenleben geworden sind.
Dominik, der 15-Jährige, musste schneller selbstständig werden, „es ist schon ein bisschen anstrengender geworden“, sagt er. Die liebevolle, aber unnachgiebige Kontrolle der Mutter fehlt. „Eine enorm wichtige Bezugsperson ist uns allen verloren gegangen“, ergänzt Udo Jendroschek. „Von Anfang an war klar: Niemand soll deshalb weitere Verluste hinnehmen müssen. Deshalb fahren wir auf den gleichen Schienen und halten an denselben Bahnhöfen wie vorher.“
Jendroscheks sind auf diesem Weg noch enger zusammengewachsen. „Das emotionale Band zwischen uns war immer schon stark. In den letzten Monaten hat sich gezeigt, wie belastbar es ist“, sagt der Vater. Es gibt ein neues Ritual: Die Männer gehen zusammen zum Fußball, eine vierte Dauerkarte wurde organisiert, nur der Älteste ist nicht dabei, er ist Handball-Fan. Die älteren Brüder kümmern sich um die jüngeren, bringen Rune ins Bett, wenn ihr Vater verhindert ist. Das Verhältnis der Geschwister sei sehr harmonisch, es gebe keine Konflikte, das erleichtere das Zusammenleben sehr.
Die Familie setzt auf Hilfe technischer Art, um den hohen Organisationsaufwand von fünf Jendroscheks samt ihrer Verpflichtungen, Aufgaben und Termine zu bündeln. Sie nutzt eine App, auf der jeder Termin, vom Friseurbesuch bis zur Klausur festgehalten wird, für jeden abrufbar. „Das ist eine Riesenerleichterung“, sagt der Vater. Der Männerhaushalt bekommt auch Unterstützung von außen. Es gibt eine Haushaltshilfe, zupackende Verwandte und „sehr zugewandte Freunde“. Eine große Stütze in Person von Udo Jendroscheks Schwiegermutter reist alle drei Wochen für fünf Tage aus Hannover an.
Antje Schneider fand durch eine Zeitungsannonce zur Familie. Sie stieß durch Zufall auf Udo Jendroscheks Anzeige. Sie ging ihr so zu Herzen, dass sie sich bei ihm meldete. „Das ist ein Geschenk“, sagt er. Antje Schneider übernimmt Runes Betreuung ab mittags. Sie sei der Familie sehr zugetan, der Kleine und sie hätten ein inniges Verhältnis entwickelt. „Sie hat aber auch die anderen im Blick, ohne zu fordern.“ Udo Jendroschek sagt: „In diesem stabilen Kreis bewegen wir uns.“
„Ich bewundere, was er leistet“
„Der Vater macht das großartig“, so Antje Schneider. „Ich bewundere, was er leistet.“ Es gehöre eine unglaubliche Kraft dazu, sich der neuen Lebenssituation so konsequent zu stellen. „Er geht das ungeheuer strukturiert und klug und mit großer Hingabe an.“
Für sich hat Udo Jendroschek wenig Zeit. „Aber ich beklage das nicht, ich denke einfach nicht darüber nach.“ Kinder seien ein großes Glück, er genieße es, Vater zu sein, „die Jungs halten mich fit“. Es ist nicht die Freizeit, die Udo Jendroschek vermisst. „Claudia hat die Spur der innigen Liebe zu ihrer Familie hinterlassen, die die Kinder im Herzen tragen. Deshalb lebt sie in uns weiter. Dafür sind wir voller Dankbarkeit“, sagt er. Doch der Verlust ist allgegenwärtig.