Es ist zwei Jahre her. Da ließ Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) den Begriff erstmals fallen. In der Handelskammer ging es an diesem Januarabend um die Frage, wie Bremen die zusätzlichen 400 Millionen Euro ab 2020 einsetzen soll. Vor allem Schulden tilgen? Das Geld komplett investieren? Darüber gab es Uneinigkeit auf dem Podium zwischen CDU und SPD.
Die hält bis heute an. Die SPD will den Betrag komplett ausgeben. Sieling kündigte damals an, dass er eine Diskussion über die Verwendung der Mittel vorsehe in einer Art „Zukunftskommission“. Ganz ausgereift klang der Plan in diesem Moment noch nicht. Sieling machte aber deutlich: „Es geht darum, in den Dialog zu treten. (...) Wenn wir das nicht als Gemeinschaftsleistung sehen, dann passiert mit dem Geld nichts Gescheites.“ Schließlich kam die Zukunftskommission. Im Oktober vergangenen Jahres präsentierte der Senat die Ergebnisse. Wie geht es nun weiter? Schlägt sich das Papier in den Wahlprogrammen nieder?
Vorzüge des ÖPNV frühzeitig kennenlernen
Die Ideen wirken weiter fort, sagt Sascha Aulepp, die Landesvorsitzende der SPD, dazu. „Das ist ein wichtiges Projekt gewesen.“ Im Wahlprogramm der SPD hätten viele Punkte Eingang gefunden, seien dort weiter konkretisiert worden. Das gelte zum Beispiel für den angedachten Berufsschulcampus für Blumenthal. „Das steht nun genauso im Wahlprogramm.“ Die SPD sieht darin zudem vor, 1000 Plätze für Studenten in Wohnheimen zu schaffen. Die Zahl der Stundenten soll auf 40 000 wachsen – davon um 5000 in Bremerhaven. Das ist bereits im Zukunftspapier festgehalten.
Die SPD greife Aulepp zufolge auch den Plan der Kommission auf, die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zu stärken. Kinder und Jugendliche sollen nach dem Wahlprogramm in Zukunft Straßenbahnen und Busse umsonst nutzen können. Das habe den Vorteil, dass sie frühzeitig die Vorzüge des ÖPNV schätzen lernten, sagt die Landesvorsitzende. „Dann können sie, ohne sich Gedanken machen zu müssen, aus dem Stadtteil in die Innenstadt oder woanders hinfahren.“ Anfang Februar will die SPD zu diesem Thema diskutieren.
Überhaupt diskutieren: Grünen-Fraktionschefin Maike Schaefer sieht im Ergebnis der Zukunftskommission eine „Grundlage für jede neue Regierung“ – zumindest für eine Diskussion. Denn es seien für Bremen sinnvolle Ziele skizziert. Aulepp betont ebenfalls, die Zukunftskommission sei eben „keine parteipolitische Veranstaltung“ gewesen. Denn relevante Akteure der Bremer Gesellschaft, darunter die Handelskammer oder Wissenschaftler, hätten daran mitgearbeitet.
Die Opposition hält dagegen an ihrer Kritik an den Plänen für Bremen 2035 auch mit ein paar Monaten Abstand fest. Schon einen Tag nach der Präsentation der Ergebnisse im Oktober hatte Carsten Meyer-Heder, Spitzenkandidat der CDU, eine Absage erteilt: Wenn seine Partei die Bürgerschaftswahlen gewänne, gebe es keine Verpflichtung, das Papier umzusetzen. Darin stehe viel, was zum „Brot-und-Butter-Geschäft“ einer Regierung gehöre. Die große Vision, Leuchttürme für Bremen fehlten dagegen.
Nicht innovativ, nicht überzeugend
„Das ist ein Projekt des rot-grünen Senats“, teilt Kristina Vogt, Fraktionschefin der Linken, die Ansicht. „Wir fühlen uns nicht an die Ergebnisse gebunden. Wir sind wie alle Parteien ausdrücklich rausgehalten worden.“ Die Zukunftskommission sei keine transparente Veranstaltung gewesen. Vogt kritisiert den Alleingang, auf diesem Weg einen Plan für Bremens Zukunft bis 2035 zu entwerfen. „Und zwischendurch finden noch Wahlen statt.“ Innovation entstehe durch Reibung und Kontroverse. „Das hat der Senat gescheut.“ Sie habe zudem von Verbänden und Organisationen gehört, die während der Arbeit ausgebremst worden seien.
Die Ergebnisse waren laut Vogt ohnehin nicht innovativ, nicht überzeugend. Ernüchterung statt Euphorie. „Im Grunde steht die Zukunftskommission für ein ‚Weiter so.’“ Ihrem Eindruck nach hätten die Ressorts des Senats bereits bestehende Projekte fortgeschrieben. „Das sieht man am Ergebnis.“ An manchen Stellen sei der Stand sogar überholt gewesen – etwa im Bereich Bildung. Der Schulkonsens sei in einigen Punkten bereits weiter fortgeschritten. Regelrecht enttäuscht hätten Vogt die Ideen für die Wirtschaft. Zukunftsgerichtete Perspektiven für Bremen und Bremerhaven fehlten ihr.
Hauke Hilz, stellvertretender Fraktionschef der FDP, findet, das Papier umfasse eine Menge guter Ideen, die von der Stadtgesellschaft mitentwickelt worden seien. Doch schon im Oktober bemängelte seine Partei: Wo ist das Preisschild für die Projekte? Die FDP habe nachgerechnet. Die Projekte seien nicht finanzierbar. Im Jahr kosteten die Vorstöße etwa eine Milliarde Euro pro Jahr und damit deutlich mehr als die zur Verfügung stehenden 400 Millionen Euro.
Uneins sind sich die Parteien nicht nur über das Zukunftspapier, sondern generell über die Frage, wie Bremen die zusätzlichen Mittel verwenden soll. Die CDU plädiert dafür, die 400 Millionen Euro komplett für den Schuldenabbau zu nutzen, damit Bremen weniger Zinsen zahlen muss. Es geht der CDU-Sprecherin Rebekka Grupe zufolge auch darum, nachhaltig zu denken. Durch die geringere Zinsbelastung ergeben sich Grupe zufolge über die Jahre ebenfalls neue Spielräume in Milliardenhöhe. „Das Geld lässt sich dann nutzen, um zu investieren.“ Auf keinen Fall dürften die Millionen dafür genutzt werden, um im Alltag löcher zu stopfen.
SPD will neuen Spielraum umfänglich nutzen
Dieser Ansatz ist in Kristina Vogts Augen „ziemlich irre“. Die Zinsen seien niedrig wie nie und gerade Bremens geringstes Problem. Zudem müssten die Christdemokraten dann erklären, wie sie ihre Projekte finanzieren wollen. Derzeit gebe es überhaupt einen „Überbietungswettbewerb aller Parteien“, sagt die Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl. Es gelte nun in die Zukunft zu investieren, in die Bildung, in die Infrastruktur oder Gewerbegebiete. „Das kommt uns sonst teuer zu stehen.“
Die SPD will den neuen Spielraum ab dem 1. Januar 2020 „umfänglich“ nutzen zum Wohl Bremens und Bremerhavens, sagt Aulepp: Die 400 Millionen sollen investiert und 87 Millionen zur Schuldentilgung verwendet werden. Die Grünen plädieren laut Fraktionschefin Maike Schaefer ebenfalls für diese Aufteilung und halten es für richtig, Schwerpunkte damit zu setzen wie im Bereich Bildung oder beim Klimaschutz.
Da die Zukunftskommission „längere Linien gezogen“ habe bis 2035, könnten nicht alle Projekte in der Legislaturperiode bis 2023 versprochen werden, sagt Aulepp. Die SPD habe sich darum dagegen entschieden, die Medizinfakultät im Wahlprogramm einzubringen. „Denn es ist noch nicht klar, was das kosten wird. Das ist überhaupt noch nicht abzusehen. Es geht hier nicht um ein ‚Wünsch-dir-was‘.“ Aulepp kritisiert damit das in der vergangenen Woche vorgestellte Programm der CDU. Darin taucht die Medizinfakultät auf. Die Oppositionspartei wolle alles zugleich, sagt Aulepp: Geld in die Tilgung der Schulden stecken, in die Bildung, Polizei und die Medizinfakultät.
Hauke Hilz von der Bremer FDP fragt sich ebenfalls, wie die CDU ihre Pläne im Bildungsbereich umsetze wolle, wenn das Geld völlig zur Tilgung verwendet werde. Das wäre dann eine Investitionsverlagerung. „Das können wir uns nicht leisten.“