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Streit über Umgestaltung des Knotenpunktes Die Domsheide: Von der Chefsache zum Problemfall

Für Bau- und Verkehrssenatorin Maike Schaefer schien bei der geplanten Umgestaltung der Domsheide alles in trockenen Tüchern. Dann machten ihr SPD und Linke einen Strich durch die Rechnung.
25.04.2021, 21:46 Uhr
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Die Domsheide: Von der Chefsache zum Problemfall
Von Jürgen Hinrichs

Mit der Chefsache ist das so eine Sache. Sie ist wie ein Stempel, der Wichtigkeit ausdrückt, absolute Priorität. Ein starkes Mittel. Genauso kann dieser Akt aber auch zum Problem werden, denn ist der Stempel erst einmal aufgedrückt, kriegt man ihn nicht mehr herunter – so ist das Carsten Sieling ergangen. Er war Bürgermeister, Chef des Senats. Seine Chefsache damals, feierlich erklärt: die Domsheide, Bremens zweiter Verkehrsknotenpunkt neben dem Bahnhof.

„Das Ganze ist ein Chaos.“

Sieling wollte dem Ort vor zweieinhalb Jahren eine neue Prägung geben, ihn radikal aufwerten, mit mehr Aufenthaltsqualität, wie die Stadtplaner gerne sagen. Denn bei diesem Zustand, meinte er, könne es nicht bleiben: „Das Ganze ist ein Chaos.“ Alles durcheinander, gefährlich ungeordnet: Fußgänger, Bahnen, Busse und Radfahrer. Dazu noch, wegen des Lärms und der Erschütterungen, ein Unglück für die Glocke, das Konzerthaus an der Domsheide. Als Kultursenator, der Sieling gleichzeitig war, musste ihn auch das bekümmern.

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Aus der Chefsache wurde eine Verwaltungssache, denn so ist das in Bremen: Der Bürgermeister darf zwar moderieren, auch Ansagen machen und allerlei Arbeitskreise einberufen, demnächst zum Beispiel wieder den Innenstadtgipfel. Die konkrete Planung von Projekten liegt aber nicht bei ihm, zuständig sind allein die einzelnen Ressorts des Senats. Sieling war, was Andreas Bovenschulte als Bürgermeister heute ist: ein König ohne Reich. Einfluss hat er schon, aber wenn es, wie zum Beispiel bei der Domsheide, um ganz praktische Fragen geht, ist er raus.

Bovenschulte hat sich jetzt trotzdem eingemischt, nicht wegen der Details, davon weiß er wenig, sondern weil die Planung für den Platz plötzlich den Zusammenhalt seiner Koalition in Gefahr gebracht hat. Seit die Regierung im Sattel sitzt, seit knapp zwei Jahren, treibt die grüne Bau- und Verkehrssenatorin Maike Schaefer den großen Plan für die Domsheide voran. Es gab ein aufwendiges Beteiligungsverfahren, öffentliche Präsentationen und den Abgleich von 14 Varianten, wie das Gewusel auf dem Platz am besten in den Griff zu bekommen ist.

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Der Verkehr allein ist es nicht. Sieling bezeichnete den Platz mal als „Trittstein von der Innenstadt zur Kulturmeile im Ostertor“. Trittstein, gut, genauso aber auch ein Stolperstein: Von Barrierefreiheit kann keine Rede sein, ein großes Problem für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.

Plötzlicher Widerspruch von SPD und Linke

Das alles galt es zu bedenken, als die Domsheide von den Planern und der Bremer Straßenbahn AG in Angriff genommen wurde. Am Ende hatten sie mithilfe der vielen anderen Teilnehmer an dem Verfahren eine Lösung ausgeknobelt. Maike Schaefer wollte sie vor einer Woche in großer Runde absegnen lassen. Doch Pustekuchen: Nicht die Opposition, nein, ihre politischen Partner in der Koalition grätschten der Senatorin übel rein. Plötzlich wurden Bedenken laut, die SPD und Linke vorher nicht formuliert hatten, obwohl sie so lange Gelegenheit dazu hatten.

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Schaefer hatte sich mit ihren Fachleuten darauf festgelegt, die Straßenbahnen auf der Domsheide künftig zwischen dem alten Postamt und der Glocke halten zu lassen. Die letzte übrig gebliebene Alternative, eine zentrale Haltestelle in der Balgebrückstraße, wurde verworfen. Überraschend kam das nicht, wer es wissen wollte, war bereits Monate vorher im Bilde. Auch darüber, dass die Freunde der Glocke es lieber anders hätten.

Als die Handelskammer unter anderem wegen des Konzerthauses intervenierte und nach zwei Jahren Planung ein zweijähriges Moratorium forderte, nahm das nicht wunder, bei den vielen Hakeleien, die es zwischen der Kammer und der Schaefer-Behörde gibt. Dass sich dann aber auch die SPD und die Linken noch einmal viel Zeit nehmen wollten, war ein Schlag ins Gesicht der Senatorin. Der Bürgermeister schaltete sich ein und machte zur Besänftigung den Vorschlag, noch eine Schleife zu drehen. Geklärt werden soll dabei unter anderem, ob die Straßenbahn von der Obernstraße in die Martinistraße verlegt werden kann. Eine Debatte, die Ähnlichkeit mit dem Murmeltier hat, das täglich grüßt. Also prüfen die Fachleute ein weiteres Mal, nicht zwei Jahre, sondern zwei Monate. Ein Akt der Gesichtswahrung für alle Seiten, mehr nicht, wenn es nach Schaefer geht. Das Ergebnis dieser Untersuchung steht für sie nämlich schon fest: technisch vielleicht möglich, aber viel zu teuer.

Auch städtebaulich soll noch einmal draufgeguckt werden. Die Domsheide – mehr als ein Verkehrsknotenpunkt? Portal der Innenstadt, ein Platz, eine Piazza? Mit Gebäuden drumherum, die man ganz anders zur Geltung bringen könnte? Das sind die Fragen, und wenn es ernsthaft Antworten darauf geben soll, müsste tatsächlich alles auf Anfang gestellt werden, wird es aber wahrscheinlich nicht. Maike Schaefer lässt das nicht zu, sie will handeln, möglichst schnell, und wird sich allenfalls bis zum Sommer gedulden. „Das ist eine Verzögerung, mit der ich leben kann“, sagte die Grünen-Frau im Interview mit dem WESER-KURIER. Politisch wohl unumgänglich, aber eigentlich nicht nötig, meint Schaefer: „Aus meiner Sicht könnte es genauso schon jetzt mit der konkreten Planung des Umbaus losgehen.“ Spätestens 2025 solle alles fertig sein.

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Die Einwände wegen der Glocke sieht Schaefer längst entkräftet. Lärm und Erschütterung werde es vor dem Konzerthaus nach dem Umbau nicht mehr geben. Dafür sorgten die sündhaft teuren, aber effizienten sogenannten Flüsterschienen, die neu verlegt würden. „Außerdem verhandele ich gerade über eine neue Zuwegung für die Anlieferung. Die schweren Lastwagen werden dann nicht mehr vor der Glocke stehen, sondern im rückwärtigen Bereich des Gebäudes“, so die Senatorin in dem Gespräch. Eines der Häuser dort müsste abgerissen werden, die Zufahrt würde über die Violenstraße organisiert.

Doch ist es das schon mit dem Konzerthaus und seiner Rolle bei der Neugestaltung der Domsheide? Was bis vor einem halben Jahr niemand auf der Rechnung hatte, auch Schaefer nicht, sind die 40 Millionen Euro, die der Bund für den Ausbau der Glocke zu einem Musikzentrum zur Verfügung stellt. Dieser Batzen Geld hat die Fantasie sprießen lassen, schnell war wieder von den alten Plänen die Rede, das Gebäude nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich zu öffnen. Ein neues Entree zur Domsheide hin. Aber geht das überhaupt, wenn vor dem Konzerthaus künftig geballt die Straßenbahnen halten? Ein bisschen Musik ist in dem Thema also doch noch.

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