Wenn die Tage kürzer, dunkler und kälter werden, ist die Jahreszeit gekommen, die für Obdachlose besonders hart und gefährlich ist. 500 bis 600 Obdachlose leben nach Schätzung der Inneren Mission in Bremen. Sie müssen bei kalten Temperaturen darauf achten, nicht zu erfrieren. Auch bei Fieber oder nach einem Krankenhausaufenthalt müssen sie auf ein warmes Bett verzichten, um wieder zu Kräften zu kommen.
Im März hat Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) deshalb ein neues Angebot vorgestellt, das der rot-grüne Senat auf den Weg gebracht hatte: die Krankenstube. Die Idee ist, dass obdach- und wohnungslose Menschen, die zwar aus dem Krankenhaus entlassen, aber nicht komplett fit sind, einen Ort erhalten, an dem sie sich für ein paar Nächte auskurieren können. Laut einer Mitteilung der Senatorin sollte die Krankenstube im April ihren Betrieb aufnehmen.
Doch das hat nicht geklappt. „Es gibt die Krankenstube immer noch nicht“, kritisiert Sigrid Grönert, sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Dabei sei der Antrag des Senats schon im vergangenen Winter in der Bürgerschaft beschlossen worden. „Dass es letzten Winter nicht geklappt hat, ist ja noch nachvollziehbar. Aber dass es sie zu diesem Winter immer noch nicht gibt, nicht“, sagt Grönert.
Der Oppositionspolitikerin zufolge ist das Problem, dass es kein richtiges Konzept für die Krankenstube gebe. So sei etwa offen, wie viele Personen aufgenommen werden können, ob diese ihren Hund mitbringen dürfen, wie die Betreuung genau aussehen soll. „Jetzt zeigt sich, dass wenn es kein Konzept gibt, es auch nicht funktioniert“, konstatiert Grönert, deren Fraktion im Winter 2018 einen eigenen Antrag eingebracht hatte, den die Bürgerschaft ablehnte. Er forderte den Senat auf, im Konzept Fragen zur Finanzierung und Mitnahme von Hunden zu klären.
Wasserschaden verhinderte Eröffnung
Warum die Krankenstube noch nicht in Betrieb ist, erklärt der Sprecher der Sozialsenatorin, Bernd Schneider: „Die Einrichtung der Krankenstube hat sich wegen technischer Probleme (Wasserschäden) verzögert, wir hoffen, dass wir dieses neue Angebot im November in Betrieb nehmen können.“ Ein genaues Datum stehe noch nicht fest. Die Krankenstube soll im „Haus Herdentor“, einer früheren Einrichtung für Geflüchtete eingerichtet werden. Dort können seit Dezember 2018 auch psychisch kranke Obdachlose unterkommen.
Zwei Zimmer sollen als Krankenstube hergerichtet werden. Die genaue Zahl der Betten ist noch unklar, sagt Schneider, aber Einzelzimmer werden es nicht. Je nach Bedarf werde das Angebot weiterentwickelt. Die Obdachlosen würden zur Krankenstube ausschließlich über die Medizinische Versorgung Obdachloser zugewiesen. Diese betreue Menschen in den Tagestreffs „Café Papagei“, „Frauenzimmer“ und „Bremer Treff“.
Die Innere Mission betreibt das „Haus Herdentor“. Auch sie kann nicht sagen, wann die Krankenstube öffnet. „Das hängt an Sachen, die wir nicht beeinflussen können“, sagt Axel Brase-Wentzell, stellvertretender Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe. Wer sich unter Wohnungslosen und Streetworkern umhört, nimmt eine gewisse Ungeduld wahr. Nicht wegen der Krankenstube, sondern wegen der Winterangebote allgemein. Es sei noch nicht klar, was es in diesem Jahr in Bremen alles gebe, während in Hamburg das Winterprogramm schon Anfang November gestartet sei.
Nachfrage bei der Sozialbehörde. Sie verweist auf den aktuellen Stand von 340 Plätzen in Notunterkünften, in denen Wohnungslose eine Nacht oder über die Zentrale Fachstelle Wohnen bis zu drei Monate bleiben können. Hinzu kommen 100 Betten in sogenannten Notwohnungen, die in Kooperation mit Wohnungsunternehmen entstehen und in denen Menschen nach dem Obdachlosenpolizeirecht untergebracht werden. Zudem versorgen die Bremer Suppenengel, die Bahnhofsmission und weitere Tagestreffs Betroffene.
Ob es den sogenannten Kältebus, in dem sich Wohnungslose in vielen anderen Städten bei Minusgraden aufwärmen können, in diesem Jahr geben wird, ist noch nicht geklärt. Das bestätigt BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer. Wenn es draußen friert, stellt das Unternehmen in der Regel einen beheizten Bus zur Verfügung. Man wolle das Angebot natürlich sehr gerne bieten, erklärt Meyer. „Aber momentan wissen wir noch nicht, ob wir können.“ Es sei unklar, ob ein ausrangierter Bus dafür zur Verfügung stehe. Der Kältebus sei immer ein Bus, der nicht mehr im Linienbetrieb im Einsatz ist.
Fest steht indes, dass die Mitfahrregel in diesem Jahr wieder gilt, versichert Meyer. Wenn es draußen friert, können wohnungs- und obdachlose Menschen auch ohne Fahrkarte mit den Bussen und Bahnen in Bremen fahren. „Der Kältebus wäre schon wichtig“, sagt Axel Brase-Wentzell. Der neue Szenetreff am Gustav-Deetjen-Tunnel neben dem Hauptbahnhof biete kaum Schutz vor Kälte.
Die SPD-Sozialpolitikerin Birgitt Pfeiffer ist zufrieden mit der Versorgung von Obdachlosen in Bremen. „Besser geht immer, aber schlechter auf jeden Fall auch“, sagt sie. Die Krankenstube hält sie für eine gute Erweiterung der Angebote. Pfeiffer, die vor ihrem Einzug in die Bürgerschaft die Freiwilligenagentur geleitet hat, hebt hervor, dass sich viele Ehren- und Hauptamtliche für Obdachlose engagieren. Das gehöre wertgeschätzt. Ein waches Auge für Obdachlose sei notwendig. „Wir müssen sensibilisieren, dass man im Zweifel mal die Rettung ruft“, sagt Pfeiffer. Es sei in Ordnung, einer Person mal einen Euro zu geben, selbst wenn sie Alkohol damit kaufe. „Wenn jemand stark alkoholkrank ist, braucht er den Stoff auch“, findet sie. Eine Geldgabe sei ein Geschenk, das man nicht an eine Gegenleistung binden dürfe. Alternativ könne man fragen, was jemand braucht, einen Kaffee oder ein Brötchen zum Beispiel.
Sofia Leonidakis (Linke) sagt hingegen: „Die Situation in Bremen ist nicht wie in Berlin, aber das heißt nicht, dass sie gut ist.“ Sie verweist darauf, dass Obdachlosigkeit zunehme. Darum sei ein „Paradigmenwechsel“ nötig. Der rot-grün-rote Koalitionsvertrag sieht die Umsetzung des „Housing first“-Ansatzes in Bremen vor. Das heißt: Erst eine Wohnung, dann weitere Stabilisierung. Bislang müssten sich Obdachlose erst in Notunterkünften und betreutem Wohnen beweisen, kritisiert Leonidakis. „Das ist ein paternalistischer Ansatz.“ Um Obdachlose unterbringen zu können, solle die Stadt Belegrechte für Wohnungen ankaufen.